Leipzig Preis für integrierte Stadtentwicklung in der Ukraine

Spannende Projekte beim ersten Wettbewerb

Autoren: Jochen Gauly, Silke Weidner und Oliver Weigel

Um den mit 25.000 € dotierten „Leipzig-Preis zur integrierten Stadtentwicklung in der Ukraine“ hatten sich 95 Projekte aus 42 ukrainischen Städten und Gemeinden beworben.

Nach der orangenen Revolution 2004 und unerfüllten Hoffnungen in den Folgejahren gingen die Menschen im Winter 2013/2014 während des sogenannten Euromaidan erneut auf die Straße, um für ihre Vorstellung einer demokratischen, freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ukraine einzutreten. Eines der Ziele dieser zweiten Revolution war die Annäherung der Ukraine an die europäischen Werte und gesellschaftlichen Prinzipien. Als ein geeignetes Mittel galt dabei von vorne herein die Stärkung der Kommunen in dem hochzentralisierten Staat.

Ukrainische Städten wie Lemberg (Lviv) oder Vinnytsa betrieben bereits vor dem Euromaidan eine bürgernahe und beteiligungsorientierte Politik. Hier wurden auch in der Zeit nach der erneuten Machtübernahme von Viktor Janukowitsch 2010 die Prinzipien der orangenen Revolution weiterverfolgt. Die neue ukrainische Regierung hatte sich schon sehr früh eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses der staatlichen Ebenen auf die Fahnen geschrieben. Bereits 2015 konnten mit dem Gesetz zur Reform der kommunalen Selbstverwaltung[1] und dem Gesetz zur Regionalentwicklung[2] die Stellung und Finanzausstattung der Regionen und Kommunen anders definiert werden. Gleichzeitig regelte eine Funktionalreform die Aufgabenverteilung von Kommunen, Regionen und Regierung neu.

Die Schaffung der hierfür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen war in der „Nachmaidanzeit“ unter den herrschenden Bedingungen innerer Instabilität und bewaffneter Konflikte in der Ostukraine allein schon eine sehr große Herausforderung. Umso schwieriger stellt sich nach wie vor die Aufgabe dar, die Ziele dieser Gesetze nach jahrzehntelangem sowjetischem und zentralistischem Staatsaufbau auch in den Strukturen der Kommunen umzusetzen. Vielerorts, insbesondere in den kleineren Gemeinden, stellen kaum ausgeprägtes demokratisches Handeln und fehlendes qualifiziertes Personal inBereichen wie Stadtentwicklung und Stadtplanung eine zusätzliche Herausforderung dar.

Der ukrainischen Regierung und den progressiven Kräften in der Stadtentwicklung, die im Jahr 2012 eine Akademie  für ukrainischer Städte ins Leben gerufen hatten, war schon früh bewusst, dass die Realität in den Kommunen den Erfolg auch der nationalen Politik bestimmen würde. Deshalb setzte sich der damalige Minister für Regionalentwicklung, Bau, Wohnen und Kommunale Dienstleistungen und heutige Ministerpräsident Groismann sehr zeitig für die Einbindung der ukrainischen Stadtentwicklungspolitik in die Leitlinien der 2007 beschlossenen „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ ein; obwohl die Ukraine anders als zum Beispiel Russland nicht an dem Verhandlungsprozess zur Leipzig Charta teilgenommen hatte. Seit 2014 nahmen dann ukrainische politisch hochrangige Vertreter auch an den Bundeskongressen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik in Deutschland aktiv teil. Dies stärkte auch jene Projekte, die in Kooperation zwischen dem Ministerium für Regionalentwicklung, Bau, Wohnen und Kommunale Dienstleistungen (Minregion) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) schon länger wertvolle Erkenntnisse für die kommunale Entwicklung lieferten. Gleichzeitig wurden kommunale Initiativen in der Ukraine unterstützt und die Kooperation im Feld der Stadtentwicklung mit Deutschland gesucht.

Engagement des Bundesbauministeriums (BMUB) in der Ukraine

Ergebnis dieser Prozessschritte war die Unterzeichnung einer gemeinsamen Absichtserklärung zur Kooperation in Fragen der Stadtentwicklung zwischen Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (BMUB) und Vizepremierminister Hennadii Zubko (MinRegion) im März 2016[3]. Mit der Erklärung bindet sich die Ukraine nun im Kern an die Ziele und Instrumente der Leipzig Charta. Eine starke Stellung der kommunalen Ebene, ein nationaler Mehrebenenansatz sowie die Einbindung des kreativen Potenzials einer sehr engagierten, vielfältigen und ideenreichen Zivilgesellschaft in die Prozesse der Stadtentwicklung bilden somit die „DNS“ der Kooperation zwischen der Ukraine und Deutschland in der Stadtentwicklung. [4] Um die Zusammenarbeit mit Nachdruck voranzutreiben und eine integrierte sowie strategische Stadtentwicklungspolitik in der Ukraine umzusetzen, haben die Stadtentwicklungsministerien der beiden Länder eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet und  verschiedene Fachinformationsreisen in Deutschland für hochrangige Vertreter der nationalen und lokalen Ebene durchgeführt. Die Kooperation wird 2017 im Rahmen eines Städtenetzwerkes und mittels gemeinsamer Forschungsprojekte vertieft. Vordringliches Anliegen des deutschen Ministeriums ist, die Ukraine beim Aufbau von Stadtentwicklungskompetenzen auf kommunaler Ebene zu unterstützen.

Idee und Rahmen des Wettbewerbs „Leipzig Preis für integrierte Stadtentwicklung“

Einen wichtigen konkreten Schritt stellt der Wettbewerb um den sog. „Leipzig Preis für integrierte Stadtentwicklung in der Ukraine“ dar. Dieser vom BMUB und dem MinRegion im Herbst 2016 ausgelobte sowie von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (giz) organisierte Wettbewerb rief Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure auf, mit passenden Projektansätzen teilzunehmen.[5]  Ziel des Wettbewerbes war es, Aktivitäten zur integrierten Stadtentwicklung im Allgemeinen zu fördern, Maßnahmen und Initiativen ukrainischer Städte oder Akteure der Zivilgesellschaft im Speziellen zu unterstützen sowie gute Lösungen als nachahmbare Beispiele publik zu machen. Als Kriterien für die Bewertung der Wettbewerbsbeiträge wurden die Merkmale der Leipzig Charta zugrunde gelegt, die den Projekten und Maßnahmen einen sektorübergreifenden Ansatz abverlangten, deren Entwicklung und Umsetzung unter Einbeziehung verschiedener Akteure erfolgt und deren Ansätze übertragbar sein mussten. Die Projekteinreicher waren darüber hinaus aufgefordert, die Nachhaltigkeit aufzuzeigen und im ukrainischen Kontext Innovation hervorzubringen.

Resonanz aus den Städten und der Zivilgesellschaft

Schon die Auslobung des Wettbewerbs stieß auf großes Interesse. Die schlussendlich 95 Projekteinreichungen aus 42 Städten bestätigten dies eindrücklich. Der Teilnehmerkreis enthielt aus Raumordnungssicht erwartungsgemäß die Großstädte, aber auch kleine Städte in der Peripherie über das Land verteilt. Thematisch orientiert fanden sich Städte wieder, die etwa von Konversion, Bergbaufolgen o.ä. betroffen oder Militärstandorte sind und vor besonders großen Herausforderungen stehen. Somit reichten die Darlegungen in großer Breite von integrierten Strategien, Beratungs- und Informationsangeboten, neuen Verfahren zur Beteiligung bzw. Formen zur Kooperation bis hin zur Realisierung baulicher, nicht kommerzieller Projekte zur nachhaltigen Entwicklung von Städten, Stadtteilen oder Stadträumen.

Auswahlverfahren

Eine Jury aus ukrainischen und deutschen Experten[6] hatte Mitte Dezember 2016 in Kiew die herausfordernde Aufgabe, die Preisträger zu identifizieren. In einer ersten Runde wurden gut 50 Projekte gewürdigt, die aber vor der zweiten Phase des Verfahrens aussortiert wurden, weil ihr Ansatz sehr sektoral war und/ oder nur geringe Bürgerbeteiligung vorgewiesen werden konnte. Ebenfalls aussortiert wurden Projekte, die kommunales Regelgeschäft darstellten. Auch reine Projektideen wurden nicht weiter berücksichtigt, da eine zumindest begonnene Umsetzung Kriterium der Ausschreibung war. Die daraufhin 43 verbliebenen Projekte konnten in einer nächsten umfänglichen Bewertungsstufe auf gut 30 eingegrenzt werden. Für die abschließende vertiefende Betrachtung setzte die Jury in Anlehnung an die Ausschreibung und aus Erfahrungswissen folgende Bewertungskriterien an:

- Vielfalt (Projektbeteiligung, Beteiligungsprozesse, akteursübergreifende Finanzierung)

- Wirkung (Erfolge bzw. Umsetzung des Umdenkens)

- Nachhaltigkeit (Integrierter Ansatz, Langfristigkeit)

- Innovation (im ukrainischen lokalen Kontext)

- Vorbildcharakter (Übertragbarkeit des Projektes; Lerneffekt)

Elf Projekte qualifizierten sich und es erfolgte in der diskursiven Bewertung in ukrainisch-deutschen Juroren-Tandems eine Sortierung nach thematischer Schwerpunktsetzung (Stränge) innerhalb des integrierten Ansatzes:

- Bürgerbeteiligung

- Sektorale und Bildungs-, Beratungsprojekte

- Strategien und Finanzierungsinstrumente

Die elf ausgewählten Projekte wurden im Rahmen der 25.000 € Dotierung wie folgt prämiert[7].

Projekte und Maßnahmen der Preisträger[8]

Den 1. Preis erhielt das Projekt „Urban Workshop 2016“ des Stadtinstitutes Lemberg/Lviv. Diese Stadtwerkstatt „Maisternja Mista“ stellt einen Ort  für innovative Bürgerbeteiligung und ist in einen bereits mehrjährigen Prozess zur Altstadtsanierung und zur Etablierung von integrierter Stadtentwicklung eingebettet. Die jeweils im Sommer stattfindende Workshopreihe in einem eigens hierfür konzipierten Veranstaltungszelt bietet eine Plattform zur Kooperation und Kommunikation für eine große und wachsende Anzahl an Interessierten, die dabei selbst zu Akteuren werden. Die immense Anzahl und Vielfalt der Beteiligten (Öffentliche Hand, Künstler, Aktivisten/Initiativen, Bürger, Studierende, Fachexperten etc.) führt zu einer breiten Wahrnehmung und schafft sehr differenzierte und niederschwellige Zugänge in den einzelnen Phasen des vierwöchigen Programmes sowie den daraus entstehenden konkreten Projekten. Die Stadtverwaltung stellt sich dabei mit ihren Ideen und Planungen der Öffentlichkeit und die Bürgerschaft erhält vielfältige Möglichkeiten, eigene Ansätze, Bedarfe und Wünsche in die Stadtentwicklungs(politik) einzubringen. Diese Workshops gibt es seit 2013, jedes Jahr in einem anderen Stadtteil. Die Themen und Formate orientieren sich jeweils an aktuellen Fragestellungen und erzeugen vielfältige Effekte in Verständnis und Wertung von zukunftsfähiger Stadtentwicklung. Dass Lviv mit diesem Format in allen Dimensionen der integrierten Stadtentwicklung eine Vorbildfunktion einnimmt, zeigt die Tatsache, dass der Urban Workshop bereits in anderen Städten aufgegriffen wurde.[9]

Der 2. Preis wurde dem Projekt „Urban Space 100: inclusive platform and community fund for urban development. Social enterprise. Public restaurant“ und damit der NGO Teple Misto in der Stadt Ivano Frankivsk (Universitätsstadt im Karpatenvorland) zugesprochen. Das Projekt zeichnet ein hoher Innovationsgrad bei der Gesamtidee sowie der Zusammenstellung der einzelnen Projektbausteine aus. Hervorzuheben ist, dass ein tatsächlicher physischer Raum angeboten wird, in dem sich Bürger und Vereinigungen treffen und gemeinsam diskutieren können. Der innovative Finanzierungsansatz des Crowdfundings führte dazu, dass in nur 85 Tagen gut 100 Spender gefunden werden konnten, die jeweils 1.000 US-$ zur Umsetzung des Projektes beigesteuert haben. Der Einsatz der (neuen) Medien ermöglicht es,  gerade auch junge Bevölkerungsgruppen zu erreichen und sie für die Idee zu begeistern. Damit vermittelt das Projekt ein positives Bild der Stadt und trägt zur Identifikationsbildung bei, auch dadurch, dass es Wege aufzeigt, wie und wo(bei) sich die Bevölkerung engagieren und Verantwortung übernehmen kann.[10]

Den 3. Preis gewann die NGO 86 mit ihrem Projekt „Cultural revitalization strategy for the City of Slavutych“. Die dargelegte Strategie der „kulturellen Revitalisierung“ durch multikulturelle Veranstaltungen (zunächst Filmfest „86“ zu urbanen Themen) hat dazu geführt, dass die einzigartige Identität der Kleinstadt am Dnepr in positivem Sinne gesteigert werden konnte und sie zu einem wichtigen Magneten moderner unabhängiger Kultur wurde. Die jüngste Stadt der Ukraine, die nach idealen Vorstellungen Sowjetischen Städtebaus als Folge der Tschernobyl Reaktorkatastrophe entstand, wurde dank dieser Strategie zum Symbol des Nachdenkens über Vergangenheit und Zukunft von Stadtentwicklung. Das immens steigende Interesse an der Stadt  und ihren Aktionen hat auch weitere Projekte im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung ermöglicht, wie z.B. die gemeinschaftliche Aktivierung und Umgestaltung von vernachlässigten öffentlichen Räumen unter Einbeziehung regenerativer Energien.[11]

Neben den drei Preisträgern wurden acht Anerkennungen ausgesprochen, die das sehr vielfältige Bild der Aktivitäten zur integrierten strategischen Stadtentwicklung in der Ukraine abrunden. Zwar können thematische Stränge bei einer integrierten Vorgehensweise nur schwerlich singulär identifiziert werden, um eine Sortierung vorzunehmen, sind im Folgenden jedoch die zentralen Inhalte und Aktivitäten in den Vordergrund gestellt.

Der Überschrift ‚Bürgerbeteiligung‘ zuordnen lässt sich das Projekt „Colours Against Dullness“, das von der gleichnamigen Initiative aus Severodonetsk (Ostukraine) zum Wettbewerb eingereicht wurde. Die Stadt befindet sich seit zwei über Jahren in einer Ausnahmesituation, da das Leben von Kriegsaktivitäten beeinflusst ist und mittlerweile über 50.000 Binnenflüchtlinge (IDPs) beherbergt. Vor diesem Hintergrund überzeugt die sehr einfache Maßnahme, „fröhliche Murals“ auf zahlreichen Hauswänden aufzubringen, um positive Emotionen über die Aktion und die entstehenden großflächigen Wandbilder (Freiraumgalerie) zu erzeugen. Das von Künstlern initiierte Projekt bindet vielfältige Akteure ein (öffentliche Hand, Künstler, Anwohner, Schulen/Schüler, Medien etc.), die sich durch Materialspenden sowie personelle Ressourcen engagieren und in Austausch gelangen. Es sind bereits Maßnahmen umgesetzt und weitere geplant, so dass sowohl die physische Wirkung (gestalterische Aufwertung) also auch Umdenkprozesse angestoßen sind.   

Den Aktivisten des Projektes „Heavenly Hundred Garden“ der NGO Garden City in Kiew ist es gelungen, den vernachlässigte Stadtraum/Hof im dichten historischen Zentrum der ukrainischen Hauptstadt gemeinschaftlich in eine offene und grüne Oase zu verwandeln. Diese Transformation vom vernachlässigten Stadtraum zum Treffpunkt für alle konnte durch die Einbeziehung von zahlreichen Akteuren, Partnern und der breiten Öffentlichkeit erreicht werden. Somit ist dieser Platz zum zentralen Ort für soziale Interaktion und kulturellen Austausch geworden, was in dieser außergewöhnlichen politischen Situation des Landes besonders zu würdigen ist. Auch gibt es hier den Raum, physisch wie gedanklich, für die Verbreitung von Ideen der nachhaltigen und kooperativen Stadtentwicklung.

Unter dem Sammelbegriff ‚Sektorales, Bildungs- und Beratungsangebote‘ überzeugten zwei Weiterbildungsansätze. Zum einen der der städteübergreifenden Stiftung „CanActions“ , die mit ihrer „Canactions school for urban studies” ein informelles Ausbildungsprogramm für Stadtentwicklungsprozesse startete. Dieses wendet sich nicht nur an Mitarbeiter der Verwaltung, sondern auch an Aktivisten, Berufseinsteiger und Forscher. In der Ausbildung werden nationale und internationale Best-Practice-Erfahrungen für die Erarbeitung konkreter Stadtentwicklungskonzepte genutzt. Dieses Vorgehen ist beispielhaft, um integrierte Stadtentwicklung auch langfristig in den Planungsalltag möglichst vieler Städte und der Quartiersarbeit zu verbreiten (Start in Kiew).

Ähnlich funktioniert ein weiterer Beitrag aus Lviv. Die städtische Organisation „Center for Urban History of East Central Europa“ bringt als Bildungsprojekt „Urban summer schools“ Studenten, Forscher und Aktive, aber auch Bürgerinnen und Bürger zusammen, um Stadtentwicklungsthemen konkret vor Ort zu diskutieren. Herauszuheben ist, dass durch interdisziplinäre Seminare, Workshops und Vorträge (alle Materialien sind öffentlich zugänglich) nicht nur Bildungsarbeit zu moderner, integrierter Stadtentwicklung geleistet wird, sondern auch konkrete Projekte entstehen.

Zugespitzt auf den Umgang mit Immobilien ist das Beratungsangebot der städteübergreifenden NGO „Regional Council of Entrepreneurs“. Mit dem Projekt „Sustainable Housing in Ukraine“ werden nachhaltige Entwicklungsstrategien für Häusermodernisierungen verfolgt. In Kooperation von öffentlichen Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen und Bewohnern werden in den vier Partnerregionen Cherson, Odessa, Lviv und Saporischschja Workshops und Seminare durchgeführt sowie Entwicklungsstrategien erstellt. Hervorzuheben ist neben dem partnerschaftlichen Vorgehen, dass durch die Realisierung von sechs Mikroprojekten schnell anschauliche Beispiele entstanden.

Einen thematisch ganz anderen Ansatz verfolgt die gut 650.000 Einwohner zählende, typische Industriestadt Kryvyi Rih in der Südukraine: durch das Projekt „Development of the industrial tourism in Kryvyi Rih” der „Kryvyi Rih City Development Organisation“ werden in Kooperation mit einer Vielzahl von wirtschaftlichen und stadtgesellschaftlichen Akteuren in dem Industriezentrum spezielle touristische Angebote entwickelt. Dadurch ist es gelungen, sowohl ein neues Profil der Stadt zu schärfen als auch das industrielle Erbe zu erhalten und wahrnehmbar zu machen.  

Dem Strang der ‚(gesamtstädtischen) Strategieentwicklung‘ sind zwei weitere Anerkennungen zuzuordnen. Für die traditionelle Hauptstadt der Bukowina (Westukraine) Chernivtsi entstand im Zuge der „Elaboration of integrated development conception of Chernivtsi Downtown des Chernivtsi City Council” in enger Zusammenarbeit von City Council, NGO, Universität, Verwaltung und GIZ eine zentrale Strategie zur künftigen Entwicklung der Innenstadt. Die Strategie basiert auf einem schlüssigen Ansatz der Bürgerbeteiligung (Befragungen, öffentliches Forum) sowie einem detaillierten Arbeitsplan mit fundiert ausgearbeiteten Prozessschritten. Die im Wettbewerbsbeitrag aufgeführten Projekte und Maßnahmen lassen Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt erkennen.

Die „Bila Tserkva 2025 Development Strategy” der „NGO GoLOCAL” für die rund 200.000 Einwohner zählende Stadt (Oblast Kiew) basiert auf einer umfänglichen Beteiligung der Bevölkerung und Einbeziehung zahlreicher Akteure bei der Erarbeitung. Die Strategie ist nicht sektoral, sondern umfasst viele Aspekte des städtischen Lebens. Hervorzuheben ist die frühzeitige Kooperation mit dem Nachbarland Polen mit der Zielstellung, ausländische Erfahrungen einzubringen. 

Deutsch-ukrainische Konferenz zur integrierten Stadtentwicklung

Die im Dezember 2016 in Kiew durchgeführte erste deutsch-ukrainische Konferenz zur integrierten Stadtentwicklung bot mit ca. 300 Teilnehmenden und der hochrangigen politischen Teilnahme durch den Vizeminister des Minregion Lev Partskhaladze und dem Staatssekretär des Bundesbauministeriums, Gunther Adler, den angemessenen Rahmen, um die Preisträger-Projekte zu präsentieren, auszustellen und zu würdigen. Hier hatten Vertreter aller Verwaltungsebenen sowie von Wissenschaft, Wirtschaft und Nichtregierungsorganisationen die Gelegenheit, sich über integrierte Stadtentwicklung in der Ukraine allgemein auszutauschen und zu diskutieren, wie diese als ein erfolgreiches Leitbild etabliert werden kann.

Ausblick

Der Erfolg dieser ersten Maßnahmen im Zuge der deutsch-ukrainischen Kooperation und das beiderseitig ausgedrückte Interesse an der Fortführung gibt dem Vorhaben Rückenwind. Sowohl der Wettbewerb als auch die Konferenz zur integrierten Stadtentwicklung sollen 2017 erneut aufgelegt werden, weitere Projekte zu gemeinsamer Forschung und Weiterbildung sind in Vorbereitung. Deutschland wird die Ukraine beim Aufbau eines Systems integrierter strategischer Stadtentwicklung und der Qualifizierung der Mitarbeiter unterstützen, um für die Zukunft starke Städte aufzubauen. Für die Fortschreibung der Leipzig Charta, die 2017 ihr zehnjähriges Bestehen begeht, und die Anpassung der Nationalen Stadtentwicklungspolitik ergeben sich aus solchen Kooperationsvorhaben der Länder und deren Vertreter wertvolle Erkenntnisse.

[1] Das Gesetz in der Fassung vom 1.7. kann (englisch) unter http://www.venice.coe.int eingesehen werden

[2] ebd.

[3] Die Absichtserklärung kann unter www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de eingesehen werden

[4] Eine weitere Aktivität neben der im Beitrag beschriebenen stellt z.B. das giz-Projekt “Starke Städte. Starke Ukraine- Integrierte Stadtentwicklung in der Ukraine“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie dem politischen Träger Ministerium für Regionalentwicklung, Bau, Wohnen und Kommunale Dienstleistungen der Ukraine (Laufzeit: 2015 bis 2018) dar; www.giz.de; s. auch Brenner, Janosch: Kommunalreform und Änderung des Planungsrechts. Ein hoffnungsvoller Neuanfang in der Ukraine, in: Planerin, Heft 1_17, S. 62-64

[5] Vgl. Ausschreibungstext des Wettbewerbs zum Leipzig-Preis für Integrierte Stadtentwicklung in der Ukraine.

[6] Prof. Dr. Nikolai Diomin (Kiew, Ukraine), Stefan Heinig (Leipzig, Deutschland), Dr. Rupert Kawka (Bonn, Deutschland; Vorsitz), Dr. Anton Kolomeytsev (Lviv, Ukraine), Vladyslava Osmak (Kiew, Ukraine), Prof. Dr. Silke Weidner (Cottbus und Leipzig, Deutschland)

[7] Drei Preise und acht Anerkennungen

[8] In Anlehnung an Würdigungen der Jury formuliert

[9] urban-project.lviv.ua

[10] urbanspace.if.ua/uk

[11] madeinslavutych.org

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