An einem Strang ziehen
Wohnungsunternehmen, Verbände und Weiterbildungsinstitutionen schließen sich in der Initiative Wohnen.2050 zusammen, um die hochgesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Interview mit dem geschäftsführenden Vorstand Felix Lüter über Hintergründe und die Frage wie die Branche diese Mammutaufgabe bewältigen will.
Was sind die Herausforderungen, denen sich die Wohnungsgesellschaften in den nächsten Jahren stellen müssen?
Felix Lüter: Die Wohnungswirtschaft ist es gewohnt, mannigfaltige Herausforderungen parallel zu bewältigen. Die Dimension der Aufgaben ist aktuell mehr denn je historisch. Die daraus resultierenden konkurrierenden Zielkonflikte leider auch. Um nur zwei zentrale Themen zu nennen: Bezahlbarer Wohnraum ist ein Feld, Klimaschutz das zweite. Allein um die Verpflichtungen der Bundesregierung bis 2030 einzuhalten, müssen wir in den nächsten zehn Jahren die CO2-Emissionen im Gebäudesektor um 48 auf nur noch 70 Millionen Tonnen herunterfahren.
Nehmen wir die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW), Hessens größtes Wohnungsunternehmen, so heißt das: Der Primärenergieverbrauch muss von derzeit 155 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter im Jahr auf sage und schreibe 27 kWh reduziert werden, wenn wir bis 2050 klimaneutral sein wollen. Anders ausgedrückt: Auf Basis von ca. 60 % Emissionseinsparung in den letzten drei Jahrzehnten muss die Wohnungswirtschaft in weiteren 30 Jahren nun nochmal 80 % CO2 einsparen.
Das klingt nach gigantischen Aufgaben.
Felix Lüter: Durchaus - wir haben schon eine Menge erreicht, aber die größte Herausforderung steht noch vor uns. Ein weiteres Beispiel: Derzeit liegt die Modernisierungsquote branchenweit bei einem Prozent – es müssten aber zwei sein. Und nur ein Bruchteil der etwa 3.000 Mitglieder des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) stellen heute schon eine eigene CO2-Bilanz auf. Vor allem kleineren und mittelständischen Unternehmen fehlt es an Zeit, Ressourcen und Instrumentarien.
Und exakt diese Defizite wollen Sie mit Ihrem Zusammenschluss auffangen?
Felix Lüter: Das ist der Plan. Die IW.2050, die die NHW in Kooperation mit den Branchenverbänden zur Expo Real 2019 angeschoben hat, ist die Antwort auf kommende Herausforderungen. Dass sie genau zur richtigen Zeit kommt, kann man allein an der überwältigenden Resonanz ablesen: Bereits zur Gründungsversammlung hatten sich 24 Unternehmen eingefunden, die bundesweit insgesamt über eine Million Wohneinheiten repräsentieren. Wir wünschen uns indes noch viel mehr Mitstreiter.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der IW.2050?
Felix Lüter: Zuerst wollen wir eine Plattform bilden, uns austauschen, voneinander lernen, Kompetenzen und Know-how bündeln, uns gegenseitig unterstützen. Wir brauchen Benchmarks, einheitliche Standards, konkrete Erfahrungs- und Messwerte, um Technologie zu evaluieren und Investitionssicherheit herzustellen. Fehlallokationen können wir uns nicht erlauben. Wenn wir bis 2050 klimaneutral sein wollen, muss jeder Euro an der richtigen Stelle ausgegeben werden.
Haben Sie bereits inhaltliche Weichen gestellt?
Felix Lüter: Wir haben uns ein ziemliches Arbeitspensum vorgenommen. Als wesentliche Felder haben wir drei Bereiche identifiziert: „CO2-Bilanzierung“, „Technik“ und „Finanzierung“. Zu jedem sind noch in diesem Jahr Workshops geplant, der erste ist bereits für Ende März terminiert. Er dient dazu, nützliche Instrumente zu entwickeln, um eine CO2-Bilanz aufzustellen. Ferner sollen die Klimaschutzziele für das eigene Unternehmen definiert werden, ein Maßnahmen-Katalog entworfen und geeignete Evaluierungswerkzeuge geschaffen werden, die den jeweiligen Fortschritt messen. Im Juni und September folgen ähnliche Workshops zu den Bereichen „Technik“ und „Finanzierung“.
Welche politische Bedeutung hat der Zusammenschluss?
Felix Lüter: Fakt ist: Wir müssen mit einer Stimme sprechen und deutlich machen, dass Klimaschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Verantwortung dafür können wir nicht alleine schultern. Das Fraunhofer Institut spricht von Gesamtkosten von über 450 Mrd. Euro, die die Sanierung aller Gebäude verschlingen wird. Da wir darauf achten müssen, dass das Grundrecht Wohnen für alle erschwinglich bleibt, kommen wir nicht umhin, das Thema Finanzierung vom Start weg auch auf die Tagesordnung zu setzen.
Konkret heißt dies zum Beispiel Entwicklung zielgerichteter Zuschüsse und Förderprogramme, die der Wohnungswirtschaft helfen – von der kleinen Genossenschaft bis zum Großkonzern. Diese sollen zugleich aber auch Millionen privater Eigenheim-Besitzer motivieren, in Klimaschutz zu investieren. Fast genauso wichtig: Gelder bereitzustellen, um Technologien marktreif zu machen, die die Immobilienbranche bei ihrer Herkulesaufgabe unterstützen. Mit der IW.2050 hat sich die Wohnungswirtschaft einen Motor für die eigene Transformation geschaffen – unsere Aufgabe ist jetzt, dafür zu sorgen, dass er nicht ins Stottern kommt.
Klimaneutral in die Zukunft
Die Initiative Wohnen.2050 (www.iw2050.de) ist ein bundesweiter Branchenzusammenschluss mit dem Ziel, die CO2-Emissionen der teilnehmenden Unternehmen gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen so zu minimieren, dass das globale kleiner-2-Grad-Ziel eingehalten wird. Unter den bislang 29 Unternehmenspartnern sind sechs der zehn größten Wohnungsunternehmen in Deutschland. Insgesamt vereinen die Gesellschaften über eine Millionen Wohneinheiten.