Flexible Dämmung
Bei der Dämmung eines Gebäudes, das in den 1960er-Jahren errichtet worden war, ging es auch darum, das unebene Außenmauerwerk auszugleichen. Mit nachwachsenden Rohstoffen gestaltete sich diese Aufgabe für den Bauherrn wirtschaftlich.
Zwischen 1958 und 1968 entstanden neben den dominierenden Ein- und Zweifamilienhäusern zahlreiche Geschosswohnungsbauten und erste Hochhaussiedlungen. Dabei wurden die Gebäude hauptsächlich in Mauerwerksbauweise ausgeführt, bestehend aus Ziegel- und Hohlblocksteinen, weitestgehend einschalig gebaut, verputzt wie unverputzt. Die Wärmedämmung eines großen Teils dieses Altbestands ist aus heutiger Sicht mangelhaft. Bei einem Gebäude dieser Bauepoche kam aufgrund unebener Mauerwerksausführungen und starker Verwitterung ein Wärmedämmverbundsystem (WDVS) auf der Basis nachwachsender Rohstoffe (Nawaro) zum Einsatz. Für den Bauherrn, die Deula Witzenhausen GmbH, war die Maßnahme wirtschaftlich, wie Geschäftsführer Henry Thiele betont: „Die Dämmung mit Holzfaserplatten war nicht kostenaufwändiger als eine Dämmung mit EPS. Gerade die weicheren Holzfaserdämmstoffe passen sich hervorragend der jeweiligen Kubatur der Wand an. Bei anderen Dämmstoffen hätte man vor der Dämmmaßnahme durch das Ausputzen großer Wandflächen einen kostspieligen Ausgleich herstellen müssen.“
Architekt und BAFA-Gebäudeenergieberater Arnulf Klöpping, der den Wärmeschutznachweis für die Modernisierung der Werkstätten erstellt hat, plädiert für eine ganzheitliche Wirtschaftlichkeitsbetrachtung: „Im Kontext der zahlreichen Einzelparameter, die bei einer solchen Gesamtmodernisierung zu beachten und zu kalkulieren sind, fallen die singulären Kosten bei der Wahl des WDVSs nicht besonders ins Gewicht. Entscheidend ist, dass der geforderte Dämmstandard erzielt wird, wie dauerhaft die Lösung ist, ob sie relativ einfach anzubringen und wieder rückbaufähig ist und was am Ende die gedämmte Fassade je m² kostet. Dabei besteht letztlich kein großer Preisunterschied mehr zwischen künstlichen oder nachwachsenden Dämmstoffen. Es kommt einzig auf den Einsatzbereich und die gegebenen Anforderungen an.“
Die Gebäude
Der Bundesverband der Deutschen Lehranstalten für Agrartechnik e.V. – kurz Deula – zählt bundesweit zu den ältesten und größten Bildungsträgern für angehende Land- und Forstwirte, Gala- und Weinbauern. An insgesamt 13 Standorten in Deutschland gibt es die Deula-Lehreinrichtungen.
2014 stand eine umfassende Sanierung der Deula-Werkstätten in Witzenhausen bei Kassel an. Die Werkstätten wurden um das Jahr 1960 in U-Form errichtet. Der großdimensionierte Gebäudetrakt bietet auf 2500 m² Nutzfläche Platz für Schulungs- und Maschinenhallen, Unterrichtsräume, Büros, Lager und eine Hausmeisterwohnung.
Nach über 50 Jahren dauerhafter Nutzung waren die Dächer in Teilen undicht und durchfeuchtet, so dass das Tragwerk einer dringenden Ertüchtigung bedurfte. Zudem hatte man die Werkstätten der damaligen Zeit entsprechend komplett ungedämmt gebaut, die großflächigen Fenster verfügten noch über die alte Einfachverglasung.
Auch Heizung, Lüftung und Sanitäranlagen waren erneuerungsbedürftig. Schließlich sollen auch weiterhin jährlich rund 2500 junge Menschen aus ganz Hessen und Thüringen im Rahmen einer dualen Ausbildung in Witzenhausen die „grünen Berufe“ erlernen.
Die Werkstätten der Deula in Witzenhausen wurden in Stahlbeton-Skelettbauweise errichtet. Die wesentlichen Vorteile dieser Konstruktion liegen in der Vereinfachung und Systematisierung von Bauprozessen und Bauteilen. Hinzu kommt eine hohe Flexibilität in der Grundriss- und Fassadengestaltung, die durch enorme Spannweiten frei tragender Konstruktionen ergänzt wird. Hierfür stehen exemplarisch die großen Hallen der Deula, in denen die Auszubildenden z. B. das Rangieren und Bedienen landwirtschaftlicher Zug- und Spezialmaschinen erlernen.
Dem damaligen Standard entsprechend war der Aufbau der Werkstätten mit im Vergleich zu heute großen, konstruktiven Spielräumen erfolgt. Zu der Zeit setzte man die Stützen erst vor Ort zusammen, und die händisch ausgemauerten Wände zwischen den Stahlstützen wurden nur innen bündig ausgeführt. Außen hingegen präsentierte sich das 24er-Ziegelmauerwerk, bei den verputzten ebenso wie bei den unverputzten Oberflächen, mit z. T. erheblichen Unebenheiten, die zwischen 2 cm und bis zu 10 cm ausmachten. Ihren merklichen Teil dazu trugen auch die starke Verwitterung der Gebäudehülle sowie die durch die schweren Maschinenbewegungen hervorgerufenen, permanenten Erschütterungen der Tragwerke bei, was sich im insgesamt hohen Abnutzungsgrad der Werkstätten widerspiegelte. Unter Einbeziehung dieser Aspekte muss dem Gebäude dennoch eine erstaunliche Robustheit zugesprochen werden: so war z.B. die nur 8 cm dünne Bodenplatte nach 50 Jahren starker Beanspruchung noch weitgehend intakt.
Flexible Holzfaserplatten
Bei der Planung der Fassadendämmung stellte sich heraus, dass eine flächendeckende, bündige Verklebung und Verdübelung der verhältnismäßig starren EPS-WDVS-Platten mit der ungleichmäßigen Fassade nicht machbar gewesen wäre. Eine Stückelung schien zu zeitaufwändig, auch wollte man das Risiko entstehender Wärmebrücken vermeiden. Aus denselben Gründen schied auch eine Holzrahmenkonstruktion aus, die mit Einblas-Zellulose gedämmt worden wäre; auch hier wäre die Stückelung zum Ausgleichen der Unebenheiten unter ökonomischen und zeitlichen Gründen nicht durchführbar gewesen. Einzig die in unterschiedlichen Abmessungen erhältlichen Holzfaserplatten wurden den bau- und dämmtechnischen Erfordernissen gerecht. Insbesondere ihre relative Flexibilität erlaubte es den Handwerkern, die Platten auf der unebenen Außenwand flächenbündig mit einfachen Mitteln anzupassen und eine ebene Oberfläche herzustellen, auf der eine Holzweichfaserplatte als Putzträger angebracht werden konnte. Das homogene Ergebnis bestätigt die Richtigkeit der Entscheidung.
Sommerlicher Hitze- und winterlicher Kälteschutz
Die Umsetzung der Fassadendämmung erfolgte mehrstufig. Auf der unebenen Wand wurde zunächst eine Konterlattung in unterschiedlichen Stärken angebracht, um die Unregelmäßigkeiten weitestgehend auszugleichen. Dazwischen platzierten die Handwerker die Holzfaserplatten flächenbündig. Sie bestehen aus unbehandeltem Nadelholz, das aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammt.
In Witzenhausen besteht die erste Dämmschicht aus zwei Holzfaserplatten von 6 cm bzw. 4 cm Dicke, die zwischen die Konterlattung geklemmt wurden. Dabei passten die Handwerker die flexiblen, diffusionsoffenen und winddichten Dämmplatten auf dem unebenen Mauerwerk so an, dass sie eine flächige Ebene herausbildeten. Die Holzfaserplatten weisen eine Rohdichte von etwa 50 kg/m³, eine geringe Wärmeleitfähigkeit von 0,040 bis 0,052 W/m·K und eine Wärmespeicherkapazität von 2100 J/kg·K auf. Diese Eigenschaften schützen die Gebäudehülle im Winter vor Wärmeverlusten und im Sommer vor Überhitzung. Darauf wurde als Putzträger eine Holzweichfaserplatte von 6 cm platziert. Diese Platte verfügt durch ihre hohe Rohdichte von 195 kg/m³ über ein gutes Wärmespeichervermögen und verbessert zugleich auch den Schallschutz.
Ergebnis im Neubaustandard
Mit der Modernisierung, die den 1960er-Jahre-Bau auf Neubau-Niveau brachte, sind alle Beteiligten sehr zufrieden. Das stimmige Gesamtergebnis zeigt sich ebenso in der Außenansicht wie im Inneren der Werkstätten sowie in zahlreichen Details. Die hochgedämmte Gebäudehülle ermöglicht heute einen komfortablen Lehrbetrieb und eine dauerhafte Senkung der Heizkosten.
Die Flexibilität der Holzfaserdämmplatten erlaubte es den Handwerkern, mit einfachen Mitteln eine ebene Oberfläche herzustellen.
Die Holzfaserplatten bestehen aus unbehandeltem Nadelholz aus nachhaltiger Forstwirtschaft.