„Klimaneutral zu werden, ist unsere Pflicht – klimapositiv zu werden die Kür“
Im Juni 2021 übernahm Jan Dietrich Radmacher, Geschäftsführer der Radmacher Gruppe, den Vorstandsvorsitz des Bundesverbands Kalksandsteinindustrie von Jochen Bayer. Radmacher will die erfolgreiche Arbeit seines Vorgängers fortführen und die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Im Interview erläutert der neue Vorstandsvorsitzende, wie die Kalksandsteinbranche die Transformation schaffen will und welche Hürden es auf dem Weg in die Klimaneutralität zu nehmen gilt.
Herr Radmacher, mit welchen Maßnahmen will die Kalksandsteinindustrie die klimaneutrale Produktion erreichen?
Jan Dietrich Radmacher: Als Unternehmer haben wir politische Entwicklungen immer fest im Blick und handeln entsprechend vorausschauend. Gerade die Themen Energieeinsparung und Ressourceneffizienz beschäftigen uns seit mindestens 10 Jahren. Sie können sicher sein, dass keiner meiner Kollegen bei null anfängt, alle sind schon ein Stück des Weges gegangen. Ob energieeffiziente Anlagentechnik, digitalisierte Produktionsprozesse oder verbesserte Rezepturen – es wurden schon viele Hebel in Bewegung gesetzt. Und weitere Maßnahmen werden folgen. Aktuell arbeiten wir als Verband an einer Roadmap, die mögliche Wege unserer Branche in die Klimaneutralität bis 2045 aufzeigt. Auch in meinem Unternehmen stellen wir unter anderem unseren gesamten Fuhrpark auf Elektrofahrzeuge um. Außerdem verzichten wir bei großformatigen Planelementen komplett auf die Folierung. Die Paletten werden lediglich gebändert, was pro Jahr rund 100 Tonnen Plastikmüll einspart.
Wird die Kalksandsteinindustrie ihre Anlagentechnik auf grünen Strom oder Wasserstoff umstellen und wie viel werden die Werke in klimaneutrale Technik investieren müssen?
Jan Dietrich Radmacher: Da es beim Thema Wasserstoff noch viele ungeklärte Fragen gibt, setzen wir als Unternehmer auf das, was technisch und kaufmännisch machbar ist. Derzeit scheint die Umstellung auf grünen Strom für unsere Branche der sicherste Weg in die klimaneutrale Zukunft zu sein. Auch weil wir die notwendige Energie mit Windkraft- oder Photovoltaikanlagen auf unseren Werksgeländen zumindest teilweise selbst erzeugen können. Aus den ersten Gesprächen mit Anlagenbauern weiß ich, dass es kein Problem ist, den Wasserdampf für unsere Autoklaven elektrisch zu erzeugen. Allerdings muss die entsprechende Anlagentechnik erst noch entwickelt werden. Das wird einige Jahre dauern und sicherlich kostenintensiv sein. Ich rechne mit mehreren Millionen Euro pro Anlage. Das könnte vor allem für kleinere Betriebe problematisch werden. Ohne eine Investitionsförderung in einer Größenordnung zwischen 30 und 50 Prozent wird das für viele vermutlich nicht zu stemmen sein.
Die Politik sorgt für regenerativen Strom und grünen Wasserstoff, die Industrie kümmert sich um die klimaneutrale Transformation ihrer Produktion. Glauben Sie, dass diese Arbeitsteilung funktionieren wird?
Jan Dietrich Radmacher: Ich bin da eher skeptisch. Der derzeitige deutsche Strom-Mix stammt gerade einmal zu 50 Prozent aus regenerativen Quellen. Wenn ich mir vorstelle, dass alle Bereiche des Lebens auf grünen Strom und Wasserstoff umgestellt werden, fehlt mir die Fantasie, wie dies gelingen soll. Schon allein meine zwei Werke verbrauchen pro Jahr rund 3,6 Mio. Kilowattstunden Strom und 30 Mio. Kilowattstunden Gas. Die meisten Kalksandsteinunternehmen teilen meine Skepsis und wollen sich nicht allein auf die Politik verlassen. Viele meiner Kollegen planen eigene Photovoltaik- oder Windkraftanlagen auf dem Werksgelände, um ihren Strombedarf in Zukunft mit selbst erzeugtem grünem Strom zu decken. Es gibt auch erste regionale Kooperationen, um gemeinsam mit Unternehmen aus anderen Branchen Elektrolyseure für die Wasserstoffherstellung bauen zu lassen. Mit Blick auf unsere Mitarbeiter und Kunden können wir es uns als Unternehmer schlichtweg nicht leisten, auf die Politik zu warten. Die Unsicherheit, was der Energieträger der Zukunft sein wird, hat bereits zu Verwerfungen an den Energiemärkten geführt und vermutlich auch Spekulanten auf den Plan gerufen. Allein der Gaspreis ist innerhalb kurzer Zeit von 2,6 auf 7,5 Cent gestiegen. Die nächste Bundesregierung muss die Energiefrage schnellstmöglich lösen, damit wieder Ruhe in den Markt kommt.
Sie wollten eine Windkraftanlage auf Ihrem Werksgelände bauen, wurden aber seitens der Politik ausgebremst. Was ist passiert?
Jan Dietrich Radmacher: Seit rund 10 Jahren bemühe ich mich um die Genehmigung für eine Windkraftanlage auf meinem Werksgelände in Wendeburg. Doch laut Raumordnungsverfahren der zuständigen Behörden in Braunschweig sind wir kein Vorranggebiet. Die niedersächsische Regierung setzt auf große Windparks, um einen Flickenteppich aus kleinen Anlagen zu vermeiden. Das kann ich angesichts der Auswirkungen auf die Landschaft und der zu erwartenden Bürgerproteste noch halbwegs nachvollziehen. Ich sehe hier allerdings einen gravierenden Zielkonflikt, den die Politik lösen muss. Einerseits sind Bürgerinitiativen in einer Demokratie ein wichtiges Instrument des Interessenausgleichs, andererseits rückt mit jeder nicht genehmigten Windkraftanlage die Erreichung der Klimaziele weiter in die Ferne. Ich setze meine Hoffnung darauf, dass die nächste Bundesregierung – egal welcher Couleur – den Ausbau der Windenergie auf 2 Prozent der Fläche vorantreibt. In Niedersachsen liegen wir aktuell bei 1,3 Prozent. Da ist also im wahrsten Sinne des Wortes noch Luft nach oben. Auch die Genehmigungsverfahren müssen verschlankt und deutlich beschleunigt werden. Wenn man sich - wie ich - 10 Jahre um den Bau einer Windkraftanlage auf seinem eigenen Werksgelände bemühen muss, läuft etwas komplett schief in diesem Land.
Sie sind mit der Führung und der Transformation Ihrer Unternehmensgruppe mehr als ausgelastet. Warum engagieren Sie sich darüber hinaus noch in führender Position beim Bundesverband Kalksandsteinindustrie?
Jan Dietrich Radmacher: Von meinem Vater, der das Unternehmen 1963 gegründet hat, haben mein Bruder und ich gelernt, dass Unternehmer sein mehr bedeutet, als für sein Unternehmen da zu sein. Wir haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Zudem liegt mir der Baustoff, der mich schon mein ganzes Leben begleitet, am Herzen. Ob Erreichung der Klimaziele, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum oder Schutz vor Wetterextremen – der Baustoff Kalksandstein kann einen wichtigen Beitrag zur Lösung der zentralen Zukunftsaufgaben leisten. In meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender möchte ich dafür sorgen, dass Kalksandstein seitens der Politik die Beachtung erhält, die ihm aufgrund seines Nachhaltigkeitspotenzials und seiner Marktstellung zusteht. Ich bin mir sicher, dass wir mit entsprechender Förderung noch vor 2045 klimaneutral sein werden – und zuversichtlich, dass wir langfristig sogar klimapositiv werden können.