Nachhaltig durch Solar entkoppelt

In der ersten Solarsiedlung in Münster werden die Bewohner durch vollständige Eigenversorgung unabhängig vom Energiemarkt.




In Zeiten ständig steigender Energiepreise und knapper Ressourcen sind Wohnraumkonzepte gefragt, die durch ihre zukunftsfähige Verknüpfung von Energietechnik und energieeffizienten baulichen Maßnahmen den Weg weisen. Solarthermie, Geothermie und Photovoltaik können dabei so miteinander kombiniert werden, dass Energiekosten für die Gebäudenutzer dauerhaft zur Nullrunde werden - das beweist die 1. Solarsiedlung in Münster „Das Passivhaus“, die gleichsam ihre Bewohner durch vollständige Eigenversorgung vom Energiemarkt nachhaltig entkoppelt.

Der Architekt Jörg Petzold war überzeugt davon, seine Vision von einem sich energetisch selbst versorgenden Haus notfalls auch in eigener Regie umsetzen zu können. Da sich sein Konzept mit den Vorstellungen der am Markt befindlichen Bauträger nicht in Einklang bringen ließ, gründete er eigens die 3E-Projekte GmbH, um nachhaltiges Bauen in die Praxis umzusetzen. Einen Technikpartner fand er in der Schüco International KG, die sowohl im Bereich der Gerätetechnik als auch beim Service seinen Vorstellungen entsprach.

 

Lebenszyklus-Planung kommt an

Ausgangspunkte der Planung waren eine hoch wärmegedämmte Außenhülle des Gebäudes und ein Energiekonzept, dass die benötigte Restenergie aus einem Mix regenerativer Energiequellen wie z. B. Erdwärme, Solarthermie und Photovoltaik beziehen sollte. Ausdruck der Überzeugung vom eigenen Projekt sollte ferner der Wunsch sein, das eigene Architekturbüro im Objekt auf 200 m² Fläche unterzubringen. So sollte Bauinteressierten das Projekt aus erster Hand näher gebracht werden, indem man als Anwender praxisnah die Vorzüge eines Passivhauses darstellt. Interessierte Bauherren, die es mit der Lebenszyklus-Planung ernst nehmen, scheint es dabei genügend zu geben. Die Eigentumswohnungen der Solarsiedlung wa­­ren kurz nach Fertigstellung vollständig verkauft. Am Tag der Architektur 2010 informierten sich über 500 Besucher, darunter auch Vertreter großer Wohnungsbaugesellschaften, über das nachhaltige Energiekonzept der mittlerweile national und international prämierten Solarsiedlung. Der Erfolg dieser Solarsiedlung führte zu einem Anschlussprojekt gleichen Konzeptes: Die 1. Klimaschutzsiedlung in Münster „Das Solarhaus“ mit der Solarhaus GmbH wird mit 33 Wohneinheiten das derzeit größte Solarhaus Europas. Bereits vor Baubeginn hatte dieses Projekt schon zu rund 90 % seine festen Interessenten gefunden.

Nachhaltigkeit plus Werthaltigkeit

Mit dem verbreiteten Vorurteil, Nachhaltigkeit in der Architektur sei ein teuer erkaufter Luxus und derzeit vornehmlich imageträchtigen Referenzobjekten vorbehalten, räumt der Architekt Jörg Petzold sofort auf. Die neuen Eigentümer hatten verstanden, was es bedeute, auch langfristig keine „zweite Miete“ durch Heizungs-, Warmwasser- und Stromkosten zahlen zu müssen. Eigentümer, die die Wohnung weitervermieten, schätzen nach Aussage des Architekten und Projektleiters die Werthaltigkeit der Immobilie. Sie ergibt sich aus einer langfristigen Entkoppelung vom Energiemarkt und macht es möglich, über ein solches „nachhaltiges“ Wohneigentum dauerhaft einen deutlich höheren Mietzins zu erzielen, da kaum energetische Nebenkosten entstehen. Nachhaltigkeit plus Werthaltigkeit? Für Jörg Petzold tritt die Solarsiedlung den Beweis an, dass sich beides gegenseitig be­­fruchtet.

 

Energieeffizienz auf höchstem Niveau

Als Passivhaus konzipiert, erreicht die Solarsiedlung mit ihrem energetischen Standard die Spitze des energieeffizienten Bauens. Durch den Energiestandard »Das Passivhaus« wird der Jahresheizwärmebedarf auf 15 kWh/m² a gesenkt, was gegenüber dem Niedrigenergie-hausstandard eine Einsparung von weiteren ca. 80 % bedeutet. Hinzu kommt, dass durch den Einsatz regenerativer Energien eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern erzielt wird, ohne dass dabei auf Wohnqualität und Wohnkomfort verzichten werden müsste.

Ein Passivhaus ist damit die konsequente, durch eindeutige Kriterien geforderte und belegbare Weiterentwicklung des energieeffizienten Bauens. Es zeichnet sich durch hohe Behaglichkeit bei niedrigerem Energieverbrauch aus – ein Grundprinzip des Passivhauses. Rein äußerlich unterscheiden sich Passivhäuser dabei nicht von konventionellen Häusern, denn das Besondere steckt in baulichen und anlagentechnischen Details, nämlich

– dem optimalen Wärmeschutz durch eine hochwärmedämmende Außenhülle

– der 3-fach-Wärmedämm-Isolierverglasung der Fensterelemente (hier mit Ug-Wert von 0,6 W/m²K)

– der hohen Luftdichtheit der Außenhülle

– der automatischen Frischluftzufuhr mit Wärmerückgewinnung und

– dem konsequenten Einsatz regenerativer Energien (Geothermie plus Solarthermie sowie Photovoltaik).

 

Lage, Grundriss und Konstruktion

Die Grundstückssituation stellte den Architekten vor eine komplexe Aufgabe, die durch die Trennung des Gebäudes in drei Bauteile gelöst wurde. Die beiden rechtwinklig außen angeordneten, viergeschossigen Gebäudeteile beinhalten jeweils sieben Wohneinheiten. Der mittlere Gebäudeteil ist zu den anliegenden Bauteilen 1 und 3 um anderthalb Etagen höhenversetzt worden. Daraus ergibt sich ein so genannter Splitlevel. Es wurde ein offener Bereich geschaffen, der sich zum Garten und zum Grüngürtel öffnet. Der im Viertelkreis zum öffentlichen Raum zugewandte mittlere Bauteil ist dreigeschossig und bildet so das Verbindungselement zwischen den beiden äußeren Bauteilen. Durch diese Teilung erhält das Gebäude eine eindeutige, für den Bewohner zuzuordnende Anordnung.

Die Fassaden der Bauteile sind als Wärmedämmfassade ausgebildet. Im Gegensatz dazu sind die Vor- und Rücksprünge sowie die Balkone farbig abgesetzte Elemente. Durch den Einsatz verschiedener Farben wird das Wechselspiel zwischen Vor- und Rücksprüngen von Gebäudeteilen farblich verstärkt, welches die Massivität des Gebäudes nimmt. Das Farbkonzept des Gebäudes hebt sich damit von den farblich neutralen Fassaden der stilisierten Architektur unserer heutigen Zeit ab. Deshalb soll die Solarsiedlung auch in diesem Punkt einen Gegenpol darstellen und Farbe bekennen. Einzelne Gebäudeteile werden durch ihre Farbigkeit und Materialität hervorgehoben. Für das Auge des Betrachters entsteht ein interessantes Wechselspiel, welches das Gebäude strukturiert, das Volumen kleiner erscheinen lässt und die Massivität eines Mehrfamilienhauses nimmt.

Zusammen werden die drei Gebäudeteile von zwei offenen, lichtdurchfluteten Treppenhäusern mit integrierten Aufzügen erschlossen. Die gewählten Farbtöne der Materialien als auch der Einsatz von farbiger LED-Beleuchtung setzen einen Akzent zur umgebenden Bebauung und heben es von dieser ab.

Die drei Gebäudeteile unterscheiden sich nicht nur optisch, sondern auch konstruktiv von »normalen« Häusern. Die 1. Solarsiedlung Münster basiert auf einer Tiefgarage aus Stahlbeton. Darauf sind die äußeren Gebäudeteile in einer Massivbau-Konstruktion und mit flach geneigten Dächern errichtet. Der mittlere Gebäudeteil steht im Bereich des Erdgeschosses auf Stahlbetonstützen. Darüber entwickeln sich die drei Geschosse in Massivbaukonstruktion, die ebenfalls mit einem flach geneigten Dach abschließen. Als vertikale Aussteifung und zum besseren Schallschutz sind die massiven Treppenhäuser mit tragenden Innenwänden erstellt worden. Die horizontalen Aussteifungen bilden die Stahlbetondecken.

 

Die Energietechnik: Wohnen ohne

Heizkostenabrechnung

Das hochwärmegedämmte Gebäude ist wohnungsweise mit einem Lüftungssystem ausgestattet. Zusätzlich verfügt das Gebäude über eine 20 kW-Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung sowie über eine solarthermische Anlage zur Wärmegewinnung, die 60 m² Fläche aufweist und durch den Einsatz neu entwickelter Tieftemperatur-Solarkollektoren von Schüco die Kombination mit dem Erdwärmekreislauf ermöglicht – gesteuert über zwei Sole-Wasser-Wärmepumpen des gleichen Herstellers. Durch diese Kombination wird die Effizienz des Systems nochmals deutlich gesteigert. Die Solarkollektoren dienen den Wärmepumpen als zusätzliche zweite Energiequelle und mit der Solarwärme lässt sich das Erdreich aktiv regenerieren.

So wird über die beiden Sole-Wasser-Wärmepumpen mit insgesamt sechs Sonden die in 90 m Tiefe erzeugte Energie dem System wie bei einem Airbag als Sicherheit zugeführt. Die benötigte Wärme erhalten die einzelnen Wohneinheiten zentral gesteuert über eine Fußbodenheizung. Das Warmwasser wird erst jeweils in den Wohnungen über eine Trinkwasserstation lokal erwärmt. Dadurch werden Wärmeverluste in den Leitungen verhindert, eine Warmwasserzirkulation entfällt, und die bei zentralisierten Warmwasserversorgungen bisweilen auftretende Legionellenproblematik wird ausgeschlossen. Eine Heizungsregulierung über Raumthermostate gibt es nicht mehr, weil sie in einem hochisolierten Haus und mit einem trägen, zentralisierten Heizsystem keinen Sinn macht.

Derartige Innovationen sind von der Gesetzgebung und den Technischen Regeln derzeit noch nicht erfasst. So sieht die Heizungsanlagenverordnung noch die Einzelregulierung der Temperatur vor und auch eine Heizkostenabrechnung gehört zu den gesetzlich fixierten Pflichten eines Gebäudebetreibers - in beiden Fällen musste die Solarsiedlung von diesen Auflagen befreit werden. Denn Heiz-kosten gibt es dort nicht mehr – sie wurden sozusagen „regenerativ abgestellt“.

Nachhaltigkeit in der Architektur ist kein teuer erkaufter Luxus.

Die Heizkosten wurden sozusagen „regenerativ abgestellt“.

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