Stadtteilentwicklung
als Chance

Der Kanadaring in Lahr: Unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte bieten individuell zugeschnittene, sozialplane­risch unterstützte bauliche Maßnahmen die ideale Möglichkeit, schwächere Viertel in attraktive Wohngebiete umzu­­wan­deln, ohne die Bewohner zu verdrängen.

Die Zahl der Stadtteile mit hohem Erneuerungs- und Entwicklungsbedarf in Deutschland ist hoch. Immer mehr Migranten und sozial schwache Menschen konzentrieren sich in bestimmten Stadtvierteln – eine weitere negative Entwicklung ist häufig die Folge. Eine Chance, diesem Trend entgegenzuwirken, bieten gezielte bauliche Maßnahmen. Dabei ist die größte Herausforderung, die sich stets ändernden Mieteransprüche in einem zukunftsfähigen Woh­­nungsangebot zu ver­­einen. Ein positives Beispiel für eine Neugestaltung liefert die Städtische Wohnungs­bau GmbH im baden-württembergischen Lahr. Der dortige Ka­­nadaring – ein ehemaliges militärisches Wohngebiet – soll bis 2018 durch bauliche Veränderungen ein neues Gesicht er­­halten.

Stadtteile mit hohem Entwicklungsbedarf gibt es nicht nur in Großstädten: Im 44 000 Einwohner zählenden Lahr hat sich der rund 12 ha große Kanadaring in den letzten knapp 20 Jahren nachteilig entwickelt. Grund dafür ist die zunehmend einseitige und sozial eher schwache Nutzerstruktur. Bis in die 1990er Jahre wurde Lahr wegen der dort stationierten kanadischen Militäreinheit als größte kanadische Stadt außerhalb des Mutterlandes bezeichnet. Die kaufkräftigen Soldaten mit ihren Angehörigen waren gern gesehene Gäste. Mit eigenen Schulen und Kultureinrichtungen fügten sie sich positiv in das Stadtbild ein.

 

Spätaussiedler folgen nach dem Mauerfall

Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 änderte die Situation grundlegend. 1994 zogen die letzten kanadischen Soldaten mit ihren Familien ab. Rund 2 300 Wohnungen standen schlagartig leer. In diesem Zeitraum übernahm die städtische Wohnungsbaugesellschaft einen Großteil der Wohnungen. Ab 1994 fanden hier vorwiegend Spätaussiedler ein neues Zuhause. Es war jedoch vielfach eher die Hoffnung auf Wohlstand als die Verbundenheit mit der Heimat ihrer Ahnen, die die Menschen dorthin zog. Der Kanadaring am Fluss Schutter entwickelte sich deshalb nicht wie gewünscht. Noch zur Jahrtausendwende sprach man im Wohngebiet vorwiegend Russisch.

 

Studentenwettbewerb liefert Ideen

Den Projektverantwortlichen war früh klar, dass hier eingegriffen und das Quartier insbesondere durch bauliche Maßnahmen aufgewertet werden muss. Gesucht wurden Strategien, wie der Weggang jüngerer aktiver Be­­wohnergruppen vermieden und das Viertel gleichzeitig für den Zuzug stabilisierender Personen und Familien attraktiver wird. Ein „Ideenwettbewerb Kanadaring“ mit 50 Karlsruher Architektur- und Städtebau-Studenten wurde mit dem Ziel ausgelobt, bauliche Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Sozialstruktur und des Zusammengehörigkeitsgefühls zu entwickeln. Dieser Prozess wurde bereits 2007 in Gang gesetzt. Die Studentenentwürfe bildeten die Basis für das neue Leitbild des Wohnquartiers „Wasser nutzen und erleben“. In Kürze lobt die Stadt Lahr in Kooperation mit der Städtischen Wohnungsbau einen Architektenwettbewerb aus, nachdem der Antrag auf Fördermittel über das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ durch das Regierungspräsidium bewilligt worden ist. In die weitere Planung fließt auch die Meinung der Quartiersbewohner ein: Im Herbst 2011 führten die Projektträger eine repräsentative Umfrage durch, um die Sicht und Wünsche der Bewohner zu erfahren.

 

Landesgartenschau 2018 als Chance

Dr. Wolfgang G. Müller, Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der Städtischen Wohnungsbau, sieht für den Kanadaring auch durch die Ausrichtung der Landesgartenschau Ba­­den-Württemberg 2018 eine große Chance. Das städtische Tochterunternehmen habe in den letzten Jahren bereits erfolgreiche Beiträge für Stadtentwicklungsmaßnahmen geleistet und steht mit der Neugestaltung des Kanadarings vor einer großen und wichtigen Herausforderung. Im Zuge der Großveranstaltung soll das Quartier als Wohn-, Lebens- und Arbeitsraum neu aufleben. Dank der Förderung und der Bekanntheitssteigerung Lahrs durch die Landesgartenschau bietet sich hier die ideale Gelegenheit zu zeigen, wie das Viertel in ein attraktives Wohngebiet umgestaltet werden kann. Der Ka­­nadaring wurde bewusst als einer der wichtigen Orte für die Veranstaltung fest­gelegt. In Lahr wird die Landesgartenschau 2018 aus einer Ab­­folge von Parks unterschiedlicher Ausprägungen be­­­­­stehen. Das Wohngebiet liegt strategisch günstig am Kreuzungspunkt zwischen ei­­ner Parkabfolge und dem Flusslauf der Schutter.

 

Freiraum als neues Leitbild

Dank der Studentenentwürfe und der strategischen Planung der Wohnbaugesellschaft be­­steht eine Vorstellung, welche baulichen Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Ka­­nadarings notwendig sind. Das Leitbild kann beispielsweise mit der Gestaltung eines Parks am Fluss umgesetzt werden. Ein sich zum Wohngebiet öffnendes Naherholungsgebiet mit verbreiterten Grünstreifen wäre eine Möglichkeit. Auch ausgebaute Rad- und Spazierwege, Stege über das Wasser und Sitzmöglichkeiten entlang des Flusses sind vorstellbar. So würde das Gewässer erlebbar.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Quartiersmitte: Hier ist ein neues Stadtteilhaus als Begegnungsraum zur Steigerung der Identität vorgesehen. Eine großzügige, be­­wohnerfreundliche Freiraumfläche würde die Quartiersmitte aufwerten. Egal ob Generationenspielplatz, Boule-Feld oder internationale Gartenprojekte mit den Bewohnern – den Möglichkeiten zur Neugestaltung sind keine Grenzen gesetzt.

 

Wohnzeilen sollen verbunden werden

In einem ersten Schritt sanierte die Städtische Wohnungsbau 2009 bereits drei markante Rundhochhäuser aus den 1960er Jahren. Die Gebäude wurden wegen des bestehenden Denkmalschutzes aufwendig von innen ge­­dämmt, Wärmebrücken beseitigt. Des Weiteren sollen halböffentliche Räume zur Steigerung des Zusammengehörigkeitsgefühls und des Verantwortungsgefühls für den eigenen Wohnblock geschaffen werden. Neue Eigentumswohnungen und Stadtvillen in Flussnähe würden eine gesunde, soziale Mischung bewirken. Für einen nahtlosen Übergang des Naherholungsgebiets in den Kanadaring sind private Gärten und Freiflächen vorgesehen.

Auch die sinnvolle Vereinigung von Ökologie und Ästhetik ist den Projektverantwortlichen wichtig. Eine Idee: Kleinstwasserkraftwerke im Fluss sorgen für die Beleuchtung bestimmter Wege und Gebäude. Daneben soll das Regenwasser genutzt und in überirdischen Läufen gesammelt werden. So könnten die Quartiersgärten naturfreundlich bewässert werden.

 

Verkehrskonzept wertet Stadtteil auf

Die im Wettbewerb ausgeschriebenen baulichen Maßnahmen beziehen sich auch auf den Verkehr im Wohngebiet. Die Straßen des Viertels sollen beruhigt und wichtige Punkte im Wohngebiet durch neue Fußwege besser erreichbar werden. Die Parkplätze könnten – anders als bisher – genau ausgewiesen und durch eine Begrünung zwischen Straße und Gebäuden hochwertig gestaltet werden. In diesem Zusammenhang ist eine neue Anordnung für die Müllstandorte der Wohneinheiten vorgesehen. Diese sollen sich nahtlos in das Gesamtbild eingliedern.

 

Neues Image durch bauliche Maßnahmen

Zur Landesgartenschau 2018 entsteht im Wohngebiet durch gezielte bauliche Maßnahmen ein attraktiver Lebensraum mit vielen Grünflächen. Eine Neugestaltung von Stadtteilen mit hohem Entwicklungsbedarf wie im Wohngebiet Kanadaring stellt alle Beteiligten vor eine große Aufgabe: Denn in einem solchen Projekt müssen städtebauliche, technologische, soziale, ökonomische, politische, rechtliche und ökologische Faktoren berücksichtigt werden. Auch die Einbindung der Bewohner in den Entwicklungsprozess ist zur Identitätsstiftung von höchster Bedeutung. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte bieten individuell zugeschnittene, sozialplanerisch unterstützte bauliche Maßnahmen die ideale Möglichkeit, schwächere Viertel in attraktive Wohngebiete umzuwandeln, ohne die Bewohner zu verdrängen.


1994 zogen die letzten kanadischen Soldaten mit ihren Familien ab. Rund 2 300 Wohnungen standen schlagartig leer.

Im Herbst 2011 führten die Projektträger eine repräsentative Umfrage durch, um die Sicht und Wünsche der Bewohner zu erfahren.

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