Interview mit BFW-Präsident Andreas Ibel

Zuwanderung trifft auf Wohnungsmangel: „Jetzt heißt es anpacken“

Die Flüchtlingswelle stellt auch die Immobilienbranche vor große Herausforderungen. Es gilt, nun den Neubau von 400.000 Wohnungen im niedrigen und mittleren Preissegment zu stemmen. Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen spielt dabei eine zentrale Rolle: Dem Verband gehören rund 1.600 mittelständische Immobilienunternehmen an, die rund 50 % des Neubaus in Deutschland verantworten. BFW-Präsident Andreas Ibel berichtet im Interview, wie die derzeitige Zusammenarbeit mit den politischen Entscheidungsträgern verläuft und was nun zu tun ist.

Es hat den Anschein, die Politik ist von der Flüchtlingswelle überrascht worden. Trifft dies auch auf die Immobilienbranche zu?
Ibel: Wenn man sich die geringe Anzahl an leerstehenden Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment anschaut, könnte man schnell zu diesem Schluss kommen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Rahmenbedingungen der letzten Jahre einen wirtschaftlichen Neubau in diesen Segmenten kaum noch zugelassen haben.Auch ohne die Flüchtlingswelle hat sich hier dringender Nachhol- und Änderungsbedarf aufgestaut. Gerade der BFW hat dies seit Jahren auf den Wohnungsbautagen angesprochen und mit Gutachten belegt.

Also ist die jetzige Situation auch Ergebnis einer langfristig verfehlten Wohnungsbaupolitik?
Ibel: Die Vergangenheit wird analysiert, wenn die Gegenwart bewältigt ist, um in der Zukunft Fehler zu vermeiden. Die Mietpreisbremse halten wir weiterhin für einen Fehler, doch Schuldzuweisungen bringen nichts. Jetzt heißt es anpacken. Und dafür haben wir beste Voraussetzungen. In den letzten Monaten hat das Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen unter Führung des Bundesbauministeriums sprichwörtlich jeden Stein umgedreht. Der BFW hat in sechs Arbeitsgruppen, dem wohnungswirtschaftlichen Rat und auch in den lokalen Bündnissen wie in Hamburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen mitgewirkt. Das war für uns sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene eine inhaltliche und personelle Herausforderung.

Wir haben also umfangreiche Vorarbeit geleistet. Und das zahlt sich nun aus. Wir begrüßen, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs am 24. September auf eine befristete Verdoppelung der Kompensationsmittel geeinigt haben – und dass diese nun von den Ländern zweckgebunden eingesetzt werden. Auch der Einigung auf Anreizinstrumente, um den Neubau von preiswertem Wohnraum in Gebieten mit angespannter Wohnungslage zu fördern, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Kommt nun also eine Verbesserung der Abschreibung?
Ibel: Wir gehen angesichts der Übereinstimmung von Bund und Ländern davon aus, dass die regionalisierte degressive Abschreibung kommen wird. Diese Notwendigkeit sieht auch Bundesbauministerin Dr. Hendricks, wie sie uns in einem Spitzengespräch am 22. September 2015 mitgeteilt hat. Der lange Kampf für dieses Instrument könnte nun endlich zum Erfolg führen. Denn klar ist: Der Mietwohnungsbau muss wieder konkurrenzfähig zum Eigentumswohnungsbau werden. Und dafür sind die steuerlichen Rahmenbedingungen entscheidende Faktoren.

Bei der Forderung nach Aussetzung der EnEV dürfte ein Konsens mit der Ministerin, die ja auch den Umweltschutz verantwortet, schon schwieriger sein.
Ibel: Fakt ist: Bei der EnEV stehen Kosten und tatsächliche Energieeinsparung in keinem Verhältnis mehr zueinander. Bei Fortschreibung des bisherigen Bauvolumens im Bereich der Mehrfamilienhäuser würde eine Aussetzung der zweiten EnEV-Stufe ein Potential von 0,02 % der Endenergieverbrauchsminderung ungenutzt lassen. Eine Abkehr von den Klimaschutzzielen wäre dies nicht.

Aber die EnEV steht nur beispielhaft für die gestiegene Komplexität des Bauens, die langfristige Planungszeiten, schwierige Bauabläufe und starke Kostenanstiege verursacht hat. Seit dem Jahr 2000 sind die Baukosten um 45 % gestiegen, die Lebenshaltungskosten jedoch nur um 27 %. Die Baukostenschraube muss zurückgedreht werden.

In der aktuellen BFW-Mittelstandsumfrage haben Sie Ihre Mitgliedsunternehmen befragt, welche Hemmnisse ihnen die Umsetzung ihrer Projekte am meisten erschweren. Was ist dabei herausgekommen?
Ibel: Unsere Mitgliedsunternehmen werden am stärksten durch langfristige Planungs- und Genehmigungsverfahren, sich ständig ändernde Gesetze und Rechtsauffassungen und die Kommunikation mit Behörden eingeschränkt. Die gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung muss zukünftig auch dort zu spüren sein. Veränderungen bei der EnEV, den Schall-, Brandschutzanforderungen, der Statik und dem Bauvertragsrecht sind nicht nur Kostentreiber, sie verhindern auch die Aneignung einer Routine und die Hebung von Effizienzpotentialen bei Bauabläufen. Wozu etwas optimieren, was alle zwei bis drei Jahre verändert wird?

Kurzum: Angesichts dieser Vielzahl an Hemmnissen darf hier nicht im kleinklein verharrt werden – jetzt muss Neubau die Priorität sein. Wenn wir jetzt nicht in größeren Dimensionen denken und handeln, werden wir in wenigen Jahren große gesellschaftliche Probleme haben.

Warum sind die bereits angekündigten Lockerungen der bau- und baurechtlichen Auflagen für Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte nicht ausreichend?
Ibel: Anerkannte Flüchtlinge können ihren Wohnort frei wählen. Wir müssen daher in wenigen Monaten mit einer sprunghaften Ausweitung der ohnehin schon hohen Nachfrage nach kostengünstigen Wohnungen rechnen. Das Gros der Flüchtlinge wird sich nach der Erstunterbringung auf die bekannten Ballungszentren - und somit Wohnraummangelgebiete - konzentrieren. Ohne Lockerungen und Verfahrensverkürzungen beim Bauplanungs- und Bauordnungsrecht kann dies nicht aufgefangen werden.

Aber noch ein anderer Punkt ist wichtig. Wir glauben an die Innovationskraft der mittelständischen Immobilienwirtschaft. Unsere Unternehmen gehen aufgrund ihrer regionalen Wurzeln verantwortungsvoll mit Freiräumen um. Viele der BFW Mitgliedsunternehmen haben sich über mehrere Generationen einen Ruf erarbeitet, den sie in der derzeitigen Situation nicht aufs Spiel setzen werden. Den Kommunen sind diese Unternehmen bekannt. Sie brauchen einen verlässlichen Verhandlungskorridor, damit im Dialog mit der Politik bestehende Hindernisse und Hemmnisse beseitigt werden können. Manchmal reicht hier schon die deutliche Aufforderung zur Nutzung von Ausnahmetatbeständen, wie es BMWI und BMUB bei der Anwendung der EnEV auf Flüchtlingsunterkünfte praktiziert haben. Wir sind optimistisch, dass es jetzt auch hier vorangeht.

Warum werden die Flüchtlinge nicht in Gegenden untergebracht, in denen sowieso Leerstand herrscht?
Ibel: Um Flüchtlinge versorgen und vor allem integrieren zu können, muss die nötige Infrastruktur vorhanden sein. Diese Voraussetzung ist dort nicht in ausreichendem Umfang gegeben. Wir dürfen nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen: Dauerhafte Unterkünfte an Stadträndern, in Leerstandsregionen oder in Großunterkünften würden ein soziales Spannungsfeld hervorrufen und die Integration von anerkannten Flüchtlingen erschweren. Wir müssen auch verhindern, dass Erstaufnahmelager zu Dauerlagern werden, in denen anerkannte Flüchtlinge mehrere Jahre verbringen. Denn klar ist: Die Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern erfolgt mehr als alles andere über die Wohnsituation.

Gerade in den Ballungsgebieten gibt es aber weder nennenswerten Wohnungsleerstand, noch freigegebene Grundstücke. Wo konkret sollen die Flüchtlinge in der zweiten Stufe dann wohnen?
Ibel: Genau hier liegt das Kernproblem. Die Grundvoraussetzung für den erforderlichen Wohnungsneubau ist in erster Linie, dass in Ballungszentren genügend Flächen für Neubau bereitgestellt wird. Es ist deshalb unabdingbar, dass die Kommunen ausreichend Bauland in Ballungsräumen ausweisen – und das nicht nur homöopathischen Dosen, nicht nur für genossenschaftlichen Wohnungsbau oder zu Höchstpreisen.

In dem Zusammenhang begrüßen wir, dass der Bund Kommunen nun über die Konversationsliegenschaften hinaus Immobilien und Liegenschaften schnell und verbilligt für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellen wird. Auch hier gilt: Dies darf nicht nur kommunalen Gesellschaften, sondern muss auch die freie Wohnungswirtschaft gelten! Schließlich sind allein die BFW-Unternehmen für 50 %des Wohnungsneubaus in unserem Land verantwortlich. Angesichts des Neubaubedarfs von 400.000 Wohnungen kann sich Deutschland schlichtweg nicht leisten, manchen Marktteilnehmer bessere Bedingungen anzubieten als anderen.

Das Interview führte Marion Hoppen.

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