Modernes Wohnen im Herzen einer alten Stadt
Mit dem preisgekrönten Projekt „Lutherloft“ gelang der Wohnungsbaugesellschaft der thüringischen Stadt Schmalkalden ein doppelter Coup: Neben der Schaffung von elf individuellen Wohnungen auf dem Grundstück einer denkmalgeschützten ehemaligen Druckerei konnte im Zuge der Bauarbeiten ein kulturhistorisch bedeutender Schatz jüdischen Lebens geborgen und der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden.
Wer durch die kopfsteingepflasterten Gassen der historischen Altstadt von Schmalkalden mit ihren liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern und dem nahezu unveränderten mittelalterlichen Stadtkern bummelt, glaubt sich in eine andere Zeit versetzt. Kommt gleich eine Magd um‘s Eck, die für ihre Herrschaft einkaufen geht oder ein Junker, der sich beim Schneider ein neues Wams machen lassen will? Dass das Kopfkino derartige Bilder imaginiert, ist nicht verwunderlich, gilt die etwa 20.000 Einwohner zählende Kleinstadt doch als eine der schönsten Fachwerkstädte in Südthüringen.
Das architektonische Erbe ist Bürde und Chance zugleich. Einerseits ist es höchst aufwendig, die vielen denkmalgeschützten Gebäude in Schuss zu halten. Andererseits locken sie Tausende Touristen an. Neuerdings ist die Altstadt um zwei Attraktionen reicher: Auf dem Areal der einstigen Druckerei Willich entstanden die „Lutherloft“, die in elf Mietwohnungen modernsten Wohnkomfort bieten.
Außerdem wurde bei den Bauarbeiten zufällig eine Mikwe (ein jüdisches Ritualbad) aus dem 16./17. Jahrhundert entdeckt, orginalgetreu restauriert und Interessierten zugängig gemacht. Für die Bauherrin, die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Schmalkalden, und das Planungsbüro VierRaum Architektur kein alltägliches Vorhaben. Um so bemerkenswerter ist das Ergebnis. Doch der Reihe nach.
Die Demografie im Nacken
Pläne für die Neuausrichtung des 1878 erbauten und in den 1920igern im Bauhaus-Stil erweiterten, inzwischen jedoch stark verfallenen Druckereigebäudes mit Anbauten gab es bereits seit längerem. Die Lage des Grundstücks zwischen Schloßberg, Linkgasse und Hoffnung ist attraktiv, nur wenige Gehminuten vom historischen Stadtkern und dem Renaissanceschloss Wilhelmsburg entfernt. In 2009 überlegte kurzzeitig ein Privatinvestor, das unter Denkmalschutz stehende Gemäuer in eine Studentenwohnanlage umzubauen.
Angesichts von rund 3.000 Studierenden, die die ortsansässige Fachhochschule besuchen und von denen ungefähr 60 Prozent von außerhalb Thüringens kommen, erschien diese Lösung vielversprechend. Erste Entwürfe zur Realisierung der Idee skizzierte das Architekturbüro Bießmann Büttner, das mittlerweile unter VierRaum Architektur firmiert. Doch die Pläne zerschlugen sich.
2013 bot sich der Stadt die Gelegenheit, das Grundstück zu kaufen. Die griff zu, um das Areal selbst weiterzuentwickeln. Seit 2010 arbeitet man im Rathaus daran, das Mittelzentrum für die Zukunft zu rüsten und ersann dazu das „Zukunftsprogramm Schmalkalden 2030“. Neben der Stärkung des Wirtschaftsraums und dem Ausbau des Hochschulstandorts hat die Weiterentwicklung von Immobilien und Grundstücken darin Priorität, damit Zuzügler kommen und Einwohner bleiben. Die Zeit für neue Impulse drängt. Denn Prognosen zufolge wird Schmalkalden bis 2030 auf 17.600 Einwohner schrumpfen. Zudem wird dann jeder Dritte älter als 65 sein, aktuell ist es jeder Vierte. Will die Stadt attraktiv bleiben, braucht sie nicht zuletzt Wohnraum, der Jüngere anspricht.
Ein Gesamtkonzept musste her
Den Auftrag, eine marktgängige Nutzung für die Druckerei und das Grundstück zu finden, erhielt in 2014 die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft. Ein Glücksfall. Denn zu den 1.800 Wohnungen, die das Unternehmen in Schmalkalden bewirtschaftet, zählten neben modernisierten Plattenbauten, einer neuen Wohnanlage für gehobene Ansprüche und einer Vielzahl kleinerer Mehrfamilienhäuser in Randlagen, auch einige behutsam sanierte Fachwerkhäuser in der ensembelgeschützten Altstadt. Mit anspruchsvollen Denkmalvorhaben war man also vertraut. Gemeinsam mit den Architekten, die bereits die Vorentwürfe für die nicht realisierte Studentenwohnanlage erarbeitet hatten, ging es ins Überlegungszimmer. Später kamen Fachplaner und Verantwortliche aus der Denkmalbehörde hinzu.
„Die Herausforderung bestand darin, für die vier Baukörper mit unterschiedlicher Historie ein sowohl architektonisches als auch wirtschaftlich tragfähiges Gesamtkonzept zu finden“, erinnert sich Uwe Eberlein, Prokurist der Wohnungsbaugesellschaft. Denn während es sich beispielsweise bei dem Gebäude in der Hoffnung 38 um ein zweistöckiges, denkmalgeschützes Fachwerkhaus in typischer Holz-Skelettbauweise handelte, war die zum prominenten Schloßberg gelegene ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Druckerei vom Bauhaus inspiriert. mit Flachdach, verglastem Treppenhaus und offenen, nahezu stützenfreien Arbeitsräumen, die große Sprossenfenster erhellten. Der Kontrast der Architekturen hätte kaum größer sein können. Doch genau darin sahen die Architekten das Potenzial für Wohnlösungen, die bisher nicht im Stadtkern zu finden waren.
Gelungener Kompromiss aus Alt und Neu
Zunächst musste Grundsätzliches mit der Denkmalbehörde geklärt werden. „Da war vor allem die an vielen Stellen instabile Statik der Gebäude, die keine Alternative zu einen Ersatzneubau zuließ und erhebliche Eingriffe erforderte“, berichtet Architekt Thomas Hinz. Hinzu gekommen sei das Problem der Parkraumbeschaffung, das oberirdisch nicht zu lösen gewesen wäre. Schließlich fand man einen für alle Beteiligten guten Kompromiss aus Neubau, Umbau und Ergänzung, wodurch elf großzügig geschnittene Wohnungen zwischen 55 und 110 Quadratmetern realisiert werden konnten, die alle über eine ebenerdige Terrasse, Balkon, Loggia oder Dachterrasse verfügen. Überdies gab es grünes Licht für den Bau einer Tiefgarage mit acht Stellplätzen.
Neu errichtet wurde beispielsweise das zuvor erwähnte marode Fachwerkhaus, das sein charmantes Äußeres zurückbekam und auf 55 Quadratmetern und 2,20 Metern Raumhöhe modernste Wohnansprüche erfüllt. Das Highlight sind die sieben bis zu 110 Quadratmeter großen Wohnungen mit Loftcharakter, die in der teilweise neu gebauten und teilweise umgebauten Druckerei sowie in den zum Innenhof und zum Schloßberg orientierten erneuerten und ergänzten Gebäuden geschaffen wurden. Zur Grundausstattung aller Wohnungen gehören ein barrierearmes Bad und eine zeitgemäße Küche sowie dreifachverglasten Fenster, die gleichzeitig als Lärmschutz und Wärmeisolierung fungieren.
„Die Raumaufteilung ist zwar kleinteiliger als in einer Loftwohnung, wie man sie aus Großstädten üblicherweise kennt. Dennoch erzeugt sie eine besondere Atmosphäre, ohne für Schmalkaldener Verhältnisse zu modern zu sein“, meint der Planer. Eine dauerhaft günstige und CO₂-arme Wärme- und Stromversorgung garantiert ein Blockheizkraftwerk, geplant, errichtet und betrieben von der Dezentrale Energien Schmalkalden (DES) GmbH.
Tiefbauarbeiten förderten jüdisches Ritualbad zutage
Die loftähnlichen Wohnungen sollten indes nicht das einzig Spektakuläre auf dem Grundstück sein. Als die Bagger in 2015 dabei waren, das Erdreich für die Tiefgarage auszuheben, förderten sie die gut erhaltenen baulichen Überreste einer sogenannten Kellermikwe zutage, die die hinzugerufenen Archäologen auf das 16./17. Jahrhundert datierten. Bei einer (Keller-)Mikwe handelt es sich um ein jüdisches Ritualbad zur Reinigung von Gläubigen. Das uralte Zeugnis ist ein Beweis für jüdisches Leben in Schmalkalden, das seit dem 1300 Jahrhundert nachgewiesen ist. In direkter Nachbarschaft zur Kellermikwe stand bis zu ihrer Zerstörung in 1938 die Synagoge Schmalkaldens.
„Der Fund war natürlich eine Sensation, brachte aber den Zeitplan durcheinander“, sagt Hinz. Denn erst einmal hieß es für über ein Jahr Baustopp, weil mit der Stadt, der Denkmalbehörde und der jüdischen Landesgemeinde Thüringen zu erörtern war, wie mit der historischen Stätte umgegangen werden sollte. Sie wieder zu verschließen, wäre durchaus eine Option gewesen, so der Planer. In Anbetracht der historischen Bedeutung, habe man sich dann aber einvernehmlich dafür entschieden, sie zu restaurieren und der Öffentlichkeit im Rahmen von Führungen zugängig zu machen. Seit 2021 ist das Denkmal über einen Seiteneingang des begrünten Innenhofs der „Lutherloft“ zu bestimmten Zeiten erreichbar und markiert einen der Höhepunkte auf Besichtigungstouren. Die Betreuung liegt bei der Stadtverwaltung, die Touristen-Information organsiert entsprechende Führungen.
Neue Mieter konnten gewonnen werden
Für die Wohnungsbaugesellschaft hat sich das rund 3,8 Mio. Euro teure Projekt gelohnt, das mit cirka 1,2 Mio. Euro aus den Töpfen von Städte- und Wohnungsbauförderung bezuschusst wurde. „Wir haben neue Mieter gewonnen, die wir mit unseren sonstigen Mietangeboten sicher nicht hätten locken können“, freut sich Prokurist Eberlein. Zudem habe das Projekt gezeigt, dass neue Wohntypen in Schmalkalden schnell Anklang fänden. Denn alle Wohneinheiten seien zu ortsüblichen Preisen sofort vermietet gewesen. Obendrein erhielt das Projekt in 2021 den Denkmalpreis des Landkreis Schmalkalden-Meiningen und in 2022 den Thüringer Denkmalschutzpreis. Der Mut des Wohnungsunternehmens, in historischen Bestand zu investieren, wurde also belohnt.
Warum der Name „Lutherloft“?
Martin Luther weilte während einer Tagung des Schmalkaldischen Bundes im Jahr 1537 im Haus Lutherplatz 7, das direkt neben dem Eingang zu den Gebäuden des „Lutherloft“ liegt. Hier predigte er und veröffentlichte seine berühmten Schmalkaldischen Artikel, die als Glaubensbekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche ihren Weg in die Welt nahmen. Die unmittelbare Nähe gab den Impuls für die Bezeichnung.