Serielles Sanieren auf dem Sprung zur Schlüsseltechnologie
Unter dem Motto „Piloten. Produkte, Perspektiven“ trafen sich jetzt mehr als 300 Akteure der seriellen Sanierung zur Energiesprong Convention 2023 in Berlin. Im Mittelpunkt des Branchenevents standen innovative Lösungsansätze, die die klimaneutrale Bestandssanierung schneller, einfacher, kostengünstiger und mieterfreundlicher machen.
Dr. Volker Hoppenbrock, Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), hob in seiner Keynote das Innovationspotenzial serieller Sanierungslösungen hervor: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Aus einer unkonventionellen Idee hat sich innerhalb weniger Jahre ein wachstumsstarkes Marktsegment entwickelt, das allen Akteuren attraktive Geschäftschancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eröffnet. Und es ist ein innovativer Ansatz, der Bauherren und Bewohnende gleichermaßen begeistert. Mit diesem Rückenwind kann das serielle Sanieren zu einer Schlüsseltechnologie für die Wärmewende im Gebäudebestand werden.“
Von Piloten zu Portfolios
Nach erfolgreicher Pilotphase im Mehrfamilienhausbereich wird das hier gesammelte Know-how nun auf ganze Portfolios, höhergeschossige Gebäude, Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Nichtwohngebäude übertragen. Die Ausweitung auf weitere Gebäudetypen spiegelt sich in deutlich ansteigenden Zahlen wider: 49 serielle Sanierungsprojekte wurden fertiggestellt (2022: 4), 25 sind im Bau (2022: 9), 146 weitere befinden sich in unterschiedlichen Planungs- und Vorbereitungsphasen (2022: 51). Erste Wohnungsunternehmen wie die Gewobau Erlangen sanieren ganze Quartiere mit mehreren tausend Wohneinheiten seriell. Parallel dazu erweitert die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten. Giga-Fabriken zur Herstellung vorgefertigter Fassadenelemente sind in konkreter Planung, die erste nimmt in Kürze den Betrieb auf. Große Player wie Saint-Gobain, Knauf, Sto, Vaillant, Vonovia und LEG sind in die serielle Sanierung eingestiegen und senden mit ihrem Engagement ein wichtiges Signal in den Markt.
Von einfachen zu komplexeren Gebäuden
Konzentrierte sich serielles Sanieren in der Anfangsphase zunächst auf die „Low Hanging Fruits“ – bis zu viergeschossige Mehrfamilienhäuser mit einfacher Kubatur – gibt es mittlerweile immer mehr Lösungen für „Higher Hanging Fruits“ – Gebäude, die bis dato als nicht optimal galten. In Frankfurt zeigt ein 7-geschossiges Wohnhaus in Ostend, dass sich auch architektonisch anspruchsvolle Ansätze mit seriellen Sanierungslösungen realisieren lassen. In Witten lässt die Vonovia einen Wohnkomplex mit 3 bis 8-geschossigen Gebäuden von GAP Solutions mit einer seriellen Sanierungslösung aus innovativen Solarwaben auf den klimaneutralen NetZero-Standard bringen. In Kaiserslautern wurde ein 8-geschossiges Geschäftshaus mit einer Hybridlösung saniert. Da es den Architekten wichtig war, die charakteristische Brutalismus-Struktur der Betonfassade an der Rückwand und den Seitenwänden zu erhalten, entschied man sich für eine pragmatische Mischlösung:Während an der Vorderseite vorgefertigte Massivholz-Elemente zum Einsatz kamen, wurden die restlichen Flächen mit einer Innendämmung versehen.
Von der Sanierung zur Sanierung hoch 2
Serielles Sanieren lässt sich vielfach mit einer Aufstockung kombinieren. Im Zuge der klimaneutralen Bestandsmodernisierung kann so dringend benötigter Wohnraum zu Kosten geschaffen werden, die weit unter denen eines Neubaus liegen. Die zusätzlichen Mieteinnahmen leisten zudem einen wesentlichen Beitrag zur Refinanzierung der Sanierungsinvestition. Laut einer Studie der TU Darmstadt bietet allein das Mehrfamilienhaussegment Potenzial für über eine Million zusätzliche Wohnungen. In München werden aktuell zwei fünfgeschossige Punkthäuser der Baugenossenschaft Hartmannshofen e.V. seriell saniert und um drei zusätzliche Stockwerke nachverdichtet. Zu den 50 Bestandswohnungen kommen auf diese Weise 24 großzügige Familienwohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von 1.900 m² hinzu. Eine Strategie, die auch die Gewobau in Erlangen- Süd verfolgt. Hier wird derzeit ein Quartier mit 475 Wohneinheiten seriell saniert und durch Aufstockung 135 neue Wohnungen geschaffen.
Von der Strangsanierung zum Backpacker
Zu jeder Sanierung gehört auch die Erneuerung der Haustechnik. Konventionelle Sanierungslösungen sind zumeist mit einer Strangsanierung verbunden, die für die Mieterinnen und Mieter eine große Belastung darstellt. Serielles Sanieren setzt auf moderne, minimalinvasive und mieterfreundliche Plug-and-Play-Lösungen. Im Reallabor der LEG im Mönchengladbach sowie im Quartier der Gewobau-Erlangen wurden sogenannte Ground Cubes verbaut, unterirdische Betonkuben, in denen die gesamte Gebäudetechnik inklusive Heizungstechnik, Elektroanschluss, Trinkwasseranschluss, Telekommunikation und Internet vorinstalliert ist. Die technische Versorgung der Wohnungen erfolgt über Backpacker-Stränge in der neuen Fassade, sodass sich der Eingriff in die Wohnungen und damit die Beeinträchtigung der Bewohnerinnen und Bewohner auf ein Minimum reduziert.
Von kommunalen Kostentreibern zum klimaneutralen Bestand
Rund 85 Prozent der 175.000 kommunalen Gebäude sind in einem schlechten energetischen Zustand. Dementsprechend hoch sind die Kosten: Fast vier Milliarden Euro pro Jahr geben die 12.000 deutschen Kommunen für die Wärme- und Stromversorgung ihrer Liegenschaften aus. Serielles Sanieren in Kombination mit Energiespar-Contracting könnte ein vielversprechender Weg sein, um den kommunalen Bestand trotz angepannter Haushaltslage fit für die klimaneutrale Zukunft zu machen. Beim Energiespar-Contracting übernimmt ein Dienstleister die Finanzierung, Planung und Umsetzung der Effizienzmaßnahmen. Die Refinanzierung der Investition erfolgt über einen Teil der vertraglich garantierten Energieeinsparungen.
Von Lessons Learned zu gemeinsamen Standards
Die dynamische Entwicklung des seriellen Sanierungsmarktes ist vor allem den Frontrunnern zu verdanken, die den Mut hatten, erste Pilotprojekte umzusetzen. Von ihren Erfahrungen, Erkenntnissen und teilweise auch Ernüchterungen profitiert die gesamte Branche. Die aus den Pilotprojekten gewonnenen Lessons Learned bilden die Basis für die Entwicklung gemeinsamer Prozess- und Qualitätsstandards. Ein vor Kurzem erschienener Leitfaden informiert die Bauwirtschaft über die technischen Besonderheiten der seriellen Sanierung mit Holz. Weitere Leitfäden für die Wohnungswirtschaft sowie Planer und Architekten sind kurz vor der Fertigstellung.