Fraunhofer-Studie: Gebäude aus Mauerwerk sind dauerhafte CO2-Speicher
05.12.2022Das politische Ziel, Gebäude bis zum Jahr 2045 ausschließlich klimaneutral zu errichten, ist mit mineralischen Baustoffen zu erreichen. Diesen Beleg erbringt eine aktuelle Studie, die das Fraunhofer Instituts für Bauphysik (IBP, www.ibp.fraunhofer.de) gemeinsam mit der TU München erstellte. Wie diese Studie und weitere Untersuchungen aufzeigen, muss das CO2-Speicherpotenzial von Mauerwerk – über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet – zu einer produktoffenen Bewertung und Analyse von Baustoffen und Bauweisen führen.
Wenn künftig, wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre weiter gebaut wird, steigt die gebundene Menge an CO2-eq. bis 2050 auf gut 52 Mio. Tonnen. Und diese CO2-Bindung bleibt im Unterschied zur thermischen Entsorgung von Holz auch beim Abbruch der Gebäude erhalten.
Grafik: DGfM
„Dass auch Baustoffe wie Mauerwerk eine CO2-Speicherwirkung haben, stand - im Gegensatz zur CO2-Speicherwirkung von Holz – beim öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs bisher nicht im Fokus, obwohl die materialtechnologischen Hintergründe der Recarbonatisierung seit Jahren bekannt und unstrittig sind“, macht Dr. Sebastian Pohl (LCEE Life Cycle Engineering Experts GmbH) das Problem deutlich. Recarbonatisierung ist die Fähigkeit, CO2 zu binden. Diese natürliche chemische Reaktion betrifft alle zement- und kalkgebundenen Baustoffe. Sie nehmen über den Produktlebenszyklus das bei der Herstellung von Zement und Branntkalk freigesetzte CO2 aus der Umgebungsluft wieder auf und speichern es dauerhaft.
Nachweis des Prozesses der Recarbonatisierung im Kalksandstein durch Phenolphthalein.
Quelle: DGfM
„Bereits heute sind in den seit 1970 errichteten Bauten aus Kalksandstein, Leichtbeton und Porenbeton rund 31 Mio. Tonnen CO2-eq. durch die Recarbonatisierung gebunden. Wenn künftig, wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre weiter gebaut wird, steigt die gebundene Menge an CO2-eq. bis 2050 auf gut 52 Mio. Tonnen. Und diese CO2-Bindung bleibt im Unterschied zur thermischen Entsorgung von Holz auch beim Abbruch der Gebäude erhalten“, so Matthias Günter vom Pestel Institut.
Gebäude aus Mauerwerk im Lebenszyklus betrachten
Eine treibhausgasneutrale Gebäudebestand bis 2045 ist das erklärte Ziel der Bundessregierung. Ein wesentliches Bewertungssystem, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen, sind Ökobilanzierungen, die das Gebäude über seinen gesamten Lebenszyklus betrachten. Hierbei sind Aspekte der Senkung von Treibhausgasemissionen und der CO2-Speicherung im Gebäude mit zu berücksichtigen. Dies wird bei biobasierten Baustoffen wie etwa Holz bzw. bei Gebäuden in Holzbauweise seit Jahren umgesetzt, indem die temporäre Speicherwirkung für biogen gebundenes CO2 in der Ökobilanz abgebildet wird. Das CO2-Speicherpotenzial von Mauerwerk findet dabei bislang keine Beachtung. Zur Erläuterung dieses CO2-Speicherpotenzials macht Dr. Sebastian Pohl deutlich, dass „über die Nutzungsphase eines Gebäudes von 50 Jahren hinweg Mauersteine aus Kalksandstein, Leicht- und Porenbeton in der Lage sind, bis zu 150 kg CO2-Äquivalente pro Tonne Mauerwerk dauerhaft zu speichern.“
Darstellung des CO2-Kreislaufs bindemittelgebundener Bauprodukte.
Grafik: LCEE GmbH
Innerhalb einer umfassenden neuen Studie „Potenziale im Mauerwerksbau“ des Fraunhofer Instituts IBP sowie der TU München wurden anhand von Typengebäuden (Mehrfamilien- und Einfamilienhaus) lebenszyklusorientierte Ökobilanzierungen durchgeführt. Über Betrachtungszeiträume von 50 und 80 Jahren wurden dabei Gebäude aus verschiedenen Wandbaustoffen untersucht: Kalksandstein, Ziegel, Leichtbeton und Porenbeton sowie Stahlbeton, Holzmassivbau und Stahlbeton mit vorgehängten Holzrahmentafeln. Im Ergebnis ist sichtbar, dass die Recarbonatisierung von Mauerwerk dazu führt, dass z.B. die lebenszyklusorientierte CO2-Bilanz eines MFH-Typengebäudes auf Ebene der Mauerwerksprodukte erheblich (bis zu 52 %) und auf Ebene des Gesamtgebäudes immer noch nennenswert (bis zu 7 %) reduziert wird. „Die Chancen für die Umsetzung klimaneutraler Gebäude sind auch im Mauerwerksbau gegeben: Hierzu müssen für die Mauerwerksprodukte u.a. deren Langlebigkeit, die Effekte aus Recarbonatisierung sowie klimafreundliche Rezepturen Berücksichtigung finden. Als Bewertungsmethode setzen wir die ökologische Lebenszyklusanalyse – als Element der Nachhaltigkeitsbewertung – ein“, so der stellvertretende IBP-Leiter Prof. Gunnar Grün.
Mit Mauerwerk klimaneutral bauen
Über 40 Prozent aller Wohnungsbauten werden seit Jahrzenten in Deutschland aus zement- und kalkgebundenen Mauersteinen errichtet. Bei diesen Gebäuden entfallen anteilig nur 10 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf die Konstruktionen aus Mauerwerk – die durch Recarbonatierung über den Lebenszyklus auch noch halbiert werden. Nahezu zwei Drittel der Treibhausgasemmissionen werden bisher durch die Gebäudenutzung mit dem heutigen Energiemix verursacht. So wird deutlich, worauf der Fokus im Gebäudebereich zu richten ist. Die Gebäude selbst sollten zukünftig mit weniger und möglichst vollständig mit Erneuerbarer Energie genutzt werden.
Eine wesentliche Stellschraube zum Erreichen der Netto-Null-Emissionen liegt auch für die Mauerwerksindustrie in der Umstellung der Produktionsprozesse auf Erneuerbare Energien. Erdgas ist durch grünen Wasserstoff oder grünen Strom zu ersetzen.Dr. Hannes Zapf, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) unterstreicht, dass das Potenzial von Mauerwerk dringend genutzt werden muss: „Seit über 125 Jahren speichern mineralische Baustoffe CO2 ein und geben es nicht mehr ab. Mauerwerk kann deshalb in Zukunft einen entscheidenden Beitrag zum klimapositiven Bauen leisten.“
Recarbonatisierung in Kombination mit dem Einsatz Erneuerbarer Energien ermöglicht klimaneutrales Bauen mit Mauerwerk. Hier appelliert die DGfM an die Politik zum einen, das CO2-Speicherpotenzial von mineralischen Baustoffen in der Lebenszyklusbewertung gleichwertig zu anderen Baustoffen, insbesondere Holz, zu betrachten. Zum anderen muss es eine zügige Umstellung auf Erneuerbare Energien im Produktionsprozess und entsprechende politische Rahmenbedingungen dafür geben.