IG Bau fordert: „Den Miet-Haien die Zähne ziehen“
26.09.2022Der Staat muss einen neuen Hebel ansetzen, um den Mieten einen Dämpfer zu verpassen: Der Bund soll sich bei großen, börsennotierten Wohnungsgesellschaften einkaufen und sich so eine Mitsprache bei der langfristigen Mietpreispolitik der Immobilienkonzerne sichern. Das fordert der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger.
Ziel des Bundes müsse es sein, eine Sperrminorität bei Wohnungskonzernen zu erreichen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. So könne der Bund in den Aufsichtsräten der Unternehmen wesentliche strategische Entscheidungen beeinflussen. IG BAU-Chef Feiger fordert dazu „den Kauf von Aktienpaketen im großen Stil“ – u. a. beim Marktführer Vonovia (565.000 Wohnungen, davon rund 500.000 in Deutschland) und bei der ehemals landeseigenen LEG Immobilien in Nordrhein-Westfalen (166.000 Wohnungen).
„Der Einstieg des Staates in den Immobilienmarkt wäre ein starkes Signal für die Branche. Wenn der Staat erst einmal bei Vonovia & Co. einen Fuß in der Tür hat, dann sieht der Wohnungsmarkt von morgen deutlich anders aus – und zwar besser für alle, die zur Miete wohnen“, so IG BAU-Chef Robert Feiger. Die Formel dazu laute „25 + 1“: Der Bund müsse bei den Immobilienkonzernen jeweils einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie erwerben – also die geringste und damit günstigste Sperrminorität in der Hauptversammlung und einen entsprechend effektiven Einfluss in den Aufsichtsräten. „Der Staat würde damit signalisieren, dass er sich – nach vielen Privatisierungen – auf dem Wohnungsmarkt wieder einmischt“, so Feiger. Der staatliche Einfluss auf langfristige Strategien großer Wohnungskonzerne sei entscheidend.
Der Staat kann dann bei allem mitreden, worauf es ankommt: auch bei der Mietenstrategie. Konkret geht es darum, den Mieten künftig einen Dämpfer zu verpassen. Denn es wird höchste Zeit, dass Immobilienkonzerne nicht länger nur durch die Renditebrille gucken, sondern auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Wohnen für alle – das ist Daseinsvorsorge, die der Staat gewährleisten muss. Deshalb muss er jetzt an die Mietentreiber ran. Es kommt darauf an, den ‚Miet-Haien‘ die Zähne zu ziehen – zumindest die schärfsten“, sagt Robert Feiger. Außerdem dürfte eine staatliche Beteiligung an Vonovia & Co. auch erheblich den Druck aus der Diskussion um Enteignungen von Immobilienkonzernen nehmen.
Zur staatlichen Beteiligung an Vonovia als bundesweit größten Anbieter von Mietwohnungen hat die IG BAU jetzt eine Machbarkeitsanalyse beim Pestel-Institut (Hannover) in Auftrag gegeben: „Bei einem aktuellen Börsenkurs von 22 Euro pro Aktie zum Handelsschluss in der vergangenen Woche (Hinweis: Schlusskurs vom Freitag, 23. September 2022) und einer Marktkapitalisierung – also einem gesamten ‚Börsengewicht‘ – von 17,51 Mrd. Euro liegt der 25-Prozent-Anteil am Konzern – also ein ‚Vonovia-Viertel‘ – rechnerisch bei knapp 4,38 Milliarden Euro. Berücksichtigt man noch einen Kursaufschlag von 20 Prozent, der durchaus zu erwarten ist, wenn der Einstieg des Bundes bei Vonovia bekannt wird, dann würde die staatliche Beteiligung an Vonovia den Bund derzeit rund 5,25 Mrd. Euro kosten“, so der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.
Auch die Finanzierung dazu rechnet Günther vor: So lägen die Zinsen für eine 30-jährige Staatsanleihe Deutschlands derzeit noch bei knapp 2 Prozent. Für sein Vonovia-Aktienpaket müsste der Bund also rund 105 Millionen Euro an Zinsen pro Jahr aufbringen. Gleichzeitig profitiere der Staat aber auch von seiner Vonovia-Beteiligung: Die aktuelle Dividende betrage 1,66 Euro je Aktie. Bei einem Viertel der Konzernaktien führe dies zu Einnahmen von rund 330 Mio. Euro im Jahr. „Selbst wenn der Bund im Vonovia-Aufsichtsrat kräftig auf die ‚Profitgier-Bremse‘ tritt und die Dividende deutlich sinken würde, kann er durch die Konzernbeteiligung nur gewinnen – und mit ihm vor allem die Mieterinnen und Mieter in Deutschland“, stellt der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, klar. Selbst bei einer Halbierung der Dividende stünde der Bund noch gut da.
Der Gewerkschaftsvorsitzende sieht gerade bei den Mieten den größten Effekt einer staatlichen Beteiligung an Wohnungsunternehmen: So stieg die Durchschnittsmiete bei Vonovia seit 2014 pro Jahr im Schnitt um 3,9 Prozent. Zum Vergleich: Die Mieten von kommunalen, genossenschaftlichen und kirchlichen Wohnungsgesellschaften, die ebenfalls – wie Vonovia – im Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) organisiert sind, haben in dieser Zeit nicht einmal halb so stark angezogen – nämlich lediglich um 1,9 Prozent. Das geht ebenfalls aus der Untersuchung hervor, die das Pestel-Institut für die IG BAU gemacht hat.
IG BAU-Chef Feiger erwartet durch eine staatliche Beteiligung an „profitorientierten Wohnungsunternehmen über das Börsenparkett“ einen deutlichen Effekt für den gesamten Mietmarkt: „Wenn der Staat bei den Mieten für Bodenhaftung sorgen und der Profitgier einen Dämpfer verpassen kann, dann wird das Auswirkungen auf die Mietspiegel haben. Überzogene Mieten korrigieren sich dann. Ein staatliches Engagement könnte in vielen Städten und Regionen ein Brechen der Mietspirale bedeuten. Es wäre der Wiedereinstieg des Bundes in den Wohnungsmarkt und ein Bekenntnis zum ‚Wohnen für alle‘“, sagt der IG BAU-Bundesvorsitzende Feiger. Es gehe darum, „den Mietmarkt wieder neu zu eichen – und den Anstieg der Mieten zu beenden“. Dies sei dringend notwendig – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund explodierender Energiepreise.
Am Ende wäre es aber auch eine dringend notwendige Korrektur einer fatalen staatlichen Wohnungspolitik, bei der die gravierendsten Fehler schon vor Jahrzehnten gemacht worden seien: „Der Staat hat Wohnungen des Bundes, der Länder und Kommunen im großen Stil – nämlich paketweise – verkauft. Genauer gesagt: oft verschleudert. Vor allem bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen, die heute so dringend fehlen. Hungrige Heuschrecken haben sich dabei am öffentlichen Immobilienbestand sattgefressen“, zieht Gewerkschaftschef Robert Feiger Bilanz.
Seit dem Ende der 1990er-Jahre habe der Staat rund eine Million Wohnungen privatisiert – darunter Bestände der Bahn, der Post, der Rentenversicherung, von Landesbanken und vieler Städte. Den sozialen Wohnungsmarkt habe der Staat „mehr oder weniger völlig aus dem Blick verloren“: „Ende der 1980er-Jahre gab es noch rund 4 Mio. Sozialwohnungen – allein im Westen. Heute sind es bundesweit nur noch rund 1,1 Mio.“, rechnet Feiger vor.
Letztlich würde der Bund von seiner Beteiligung an großen Immobilienkonzernen und dem damit gewonnenen Einfluss auf die Entwicklung der Mietpreise langfristig auch indirekt profitieren. Denn bislang finanziert der Staat hohe Mieten erheblich mit: Allein im vergangenen Jahr gab er 18 Mrd. Euro für Mietwohnungen aus – nämlich für die Mieten und Nebenkosten von Menschen, für die der Staat die Kosten der Unterkunft (KdU) übernimmt. Zusätzlich unterstützte der Staat 2021 Haushalte mit rund 1,3 Mrd. Euro Wohngeld.
„Für beides – für die Kosten der Unterkunft und für das Wohngeld – wird der Staat in diesem und vor allem auch im kommenden Jahr noch einmal deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen – völlig zu recht. Aber beides baut keine Wohnungen. Und der Wohnungsneubau ist immer noch das wichtigste Instrument im Kampf gegen den Wohnungsmangel“, so Robert Feiger vor Beginn des IG BAU-Gewerkschaftstages in Kassel.
Ein „staatliches Mitmischen“ bei großen Wohnungskonzernen hätte, so IG BAU-Chef Feiger, über den Aspekt der „Miet-Justierung“ hinaus auch den Vorteil, grundsätzlich die Konzernpolitik mit beeinflussen zu können: Es gehe in Wohnungsgesellschaften schließlich auch darum, wie Wohnungen in Schuss gehalten würden und welchen Service Mieter bekämen – von den Reparaturen im Haus bis zur Höhe von Nebenkosten wie beispielsweise für die Pflege der Wohnanlage, den Winterdienst und Versicherungen. Auch der faire Umgang mit Mietern, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten seien, würde sich bei einigen Wohnungsgesellschaften sicherlich ändern, wenn der Staat ein Wort mitreden würde. Ein wichtiger Punkt sei auch, dass das energetische und seniorengerechte Sanieren sich ändern würde, wenn der Staat dies über seine Anteile am Konzern beeinflussen könnte. Ebenso die „sensible soziale Frage“ der Umlage von Sanierungskosten auf die Mieter.