Wohnungswirtschaft appelliert an die Politik: Fokus auf CO2-Einsparung, Technologie-Offenheit und weitere Förderung zum Erreichen der Klimaziele unverzichtbar

Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW und die Initiative Wohnen.2050 (www.iw2050.de) stellten auf der Expo Real 2021 den ersten Praxisbericht „Gemeinsam. Handeln. Jetzt.“ zum Erreichen der geforderten Klimaneutralität vor. Die Fakten aus der wohnungswirtschaftlichen Praxis großer und kleiner Unternehmen untermauern die Forderungen der Branche: Es ist eine noch weitreichendere Zuschuss-Förderung für bezahlbaren Klimaschutz notwendig. Der Fokus muss auf CO2-Einsparung statt Effizienz-Maximierung liegen, zeitliche Herausforderungen müssen anerkannt, regulatorische Rahmenbedingungen angepasst, Technologie-Offenheit sowie Sektorkopplung gewährleistet werden.

Ein Viertel mehr an CO2-Einsparungen, ein Sechstel weniger Zeit, gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum erhalten und neu schaffen – die Transformation zur Klimaneutralität bis 2045 stellt selbst für engagierteste Wohnungsunternehmen eine immense Herausforderung dar. Um in nur noch 24 Jahren das im Pariser Klimaabkommen fixierte Kleiner-Zwei-Grad-Ziel und einen absolut klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, müssen ab sofort jährlich über fünf Millionen Tonnen CO2 im Gebäudesektor eingespart werden. Eine Herkulesaufgabe für eine Branche, die üblicherweise in 40-Jahres-Zyklen investiert. Sie kann nur mit fundierten und gut geplanten Klimastrategien bis 2045 gemeistert werden, die allerdings die Unternehmensentwicklung über Jahrzehnte maßgeblich beeinflussen. Die Mehrheit der Partner der 2020 gegründeten Branchen-Allianz Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) steckt derzeit noch mitten in der Entwicklung einer solchen Strategie. Viele von ihnen erstellen in diesem Zuge erstmals eine strukturierte CO2-Bilanz. Allein für die Datenerfassung wird rund ein Dreivierteljahr benötigt. Von Vorteil bei diesem Vorstoß: Die in der IW.2050 entwickelten Instrumente, die von der Erstellung der CO2-Bilanz bis zur Finanzierungsplanung unterstützen. 

Fakten aus der Praxis

Zahlen, Daten und Fakten von 30 Unternehmen mit je 800 bis über 400.000 Wohneinheiten, Stellungnahmen von zehn Verbänden der Wohnungswirtschaft sowie des Europäischen Bildungszentrums der Immobilienwirtschaft (EBZ) finden sich im erstmalig erschienenen „IW.2050-Praxisbericht 2021: Gemeinsam. Handeln. Jetzt. – Praxisfakten einer Branche auf dem steilen Weg zur Klimaneutralität.“ In Statements, Berechnungsbeispielen und Pilotprojekten wird aufgezeigt, an welchen Lösungen die IW.2050-Partner bereits intensiv arbeiten. Die Ergebnisse undErkenntnisse aus dem betrieblichen Alltag verdeutlichen die Vielschichtigkeit der Problematik. Dabei tritt auch zutage, dass nach wie vor akuter Handlungsbedarf seitens der Politik besteht. Die im Praxisbericht enthaltenen unternehmerischen Fakten dienen daher insbesondere der politischen Arbeit der Branchenverbände im Zuge der aktuell anstehenden Neubildung der Bundesregierung.

Die Wohnungswirtschaft wird zum Spagat gezwungen

„Wir brauchen einen echten Paradigmenwechsel, um Klimaschutz und sozialen Frieden miteinander vereinen zu können: Damit die extrem ambitionierten Klimaziele beim Wohnen sozial verträglich umgesetzt werden können, brauchen wir ein neues, langfristiges Versprechen für bezahlbare Mieten. Dafür ist eine Klima-Förderung notwendig, die über die BEG-Förderung hinausgehend unterstützt, und im Gegenzug die Garantie eines bestimmten Mietniveaus beziehungsweise einer stark begrenzten Steigerung der Mietpreise einfordern darf. Nur so kann bezahlbares Wohnen dauerhaft für breite Schichten der Bevölkerung gesichert werden“, konstatierte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW und Vorsitzender der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050), bei der Präsentation des Praxisberichts auf der Expo Real in München. Er fordert: „Es müssen finanzielle Mittel in ausreichender Höhe langfristig gesichert, bestehende regulatorische Hemmnisse abgebaut und neue Technologien einbezogen werden.“

Modernisierungsquote kaum zu realisieren

Situationsbeschreibungen und Argumente aus der Wohnungswirtschaft im Praxisbericht stützen diese Thesen. Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW, 59.000 Wohnungen), Initiator und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IW.2050: „Gemäß unserer bereits vorliegenden Klimastrategie spielen regenerative Energien und neue Technologien die entscheidende Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität. Innovative Systeme können die Klimabilanz auch älterer, unmodernisierter Gebäude – immerhin 45 Prozent unseres aktuellen Bestands – signifikant verbessern. Angesichts der Planungen der EU Renovation Wave und der derzeitigen Marktsituation im Bausektor steht allerdings zu befürchten, dass die erforderlichen Steigerungen der Modernisierungsquoten in der Praxis kaum zu realisieren sein werden. Und das, obwohl gerade diese einen zentralen Hebel in den klimastrategischen Planungen aller Wohnungsunternehmen darstellen, die sich seit 2020 in der IW.2050 zusammengeschlossen haben.“  

Regenerative Energien statt Effizienz-Maximierung

Ein Förder- und Ordnungsrecht, das ein Umstellen auf erneuerbare Energien unterstütze, sieht die Branche daher als notwendig an. Anstatt die Anforderungen an die Gebäudehüllen immer weiter zu verschärfen, sei die konsequente Ausrichtung an CO2-Emissionen als Messgröße erforderlich. Parallel sei der Schulterschluss mit der Energiewirtschaft unumgänglich: „Nur mit defossilisierten Energieträgern werden wir die gesetzten Klimaziele erreichen. Insbesondere benötigen wir verbindliche Zeitläufe für das Bereitstellen grüner Fernwärme durch die Energieversorger. Nur dann können Wohnungsunternehmen diesen als verlässliche Wärmeabnehmer langfristig zur Seite stehen,“ so Felix Lüter, Leiter des NHW-Kompetenzcenters Nachhaltigkeitsmanagement und geschäftsführender Vorstand der IW.2050. „Daneben ist ein weiterer maßgeblicher Faktor die Finanzierbarkeit der notwendigen Maßnahmen. Wir prüfen aktuell, welche Szenarien unter Zuhilfenahme der Zuschüsse unternehmerisch überhaupt realisierbar sind.“ Denn: Auch mit der neuen, sehr guten Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude (BEG) sind laut GdW weitere fünf Milliarden Euro pro Jahr für die vermieteten Wohnungen nötig, um die derzeit noch immer bestehende Finanzierungslücke zu schließen – ohne die Mieter übermäßig zu belasten.

Im Fokus: ganze Quartiere

Auch Pilotprojekte mit potenziellen Lösungen zur Klimaneutralität sind Teil des Praxisberichts. Darunter: Das Einbeziehen innovativer lokaler Energieerzeuger, die Nutzung von Abwärme oder Brennstoffzellen sowie der Ansatz, nicht auf das Einzelgebäude, sondern ganze Quartiere zu fokussieren. Ein Weg, den zahlreiche Wohnungsunternehmen bereits verfolgen. „Ganz wesentlich wird die Lösung im Quartier liegen. Unsere Marschrichtung ist klar: Wir werden dort zum Wärme- und zum Stromerzeuger. Das wird unser Premiumfaktor bei der zukünftigen Quartiersversorgung: Grünen Strom erzeugen und damit möglichst auch die Wärmeerzeugung und den Allgemeinstrom füttern. Die ersten Ergebnisse der entsprechenden Berechnungen einzelner Quartiere zeigen, dass wir dann unser Ziel erreichen können“, so Thomas Hummelsbeck, Geschäftsführer der Rheinwohnungsbau GmbH, Düsseldorf (6.200 Wohnungen), von Beginn an ebenfalls Partner der IW.2050.

Um den von allen derzeit 129 Partnern der IW.2050 geforderten Paradigmenwechsel auch auf politischer Ebene zu forcieren, ist zeitnah eine Verteilung des Berichts an Politiker:innen auf Bundes- und Länderebene geplant.

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