„Auf uns warten große Aufgaben“
Wohnraumoffensive 2.0 statt schöngerechneter Neubauzahlen, Technologieoffenheit statt Marketing für einen Baustoff und mehr Tempo beim Infrastrukturaufbau von grünem Wasserstoff – im Interview erläutert Dr. Hans Georg Leuck, Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM), was er von der neuen Bundesregierung erwartet.
Herr Dr. Leuck, der Bundestagswahlkampf nimmt allmählich Fahrt auf. Wie bewerten Sie die inzwischen vorliegenden Programme?
Dr. Leuck: Zunächst einmal, alle Programme sehen das Problem der hohen Bau- und Wohnkosten. Das ist grundsätzlich positiv zu bewerten, weil es aus unserer Sicht in der neuen Legislatur einer Wohnraumoffensive 2.0 bedarf. Als DGfM sind wir in den letzten Jahren nicht müde geworden, mehr finanzielles Engagement der Politik einzufordern, um die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum voranzutreiben. Eine Studie des Pestel Instituts und der Arge Kiel zu Jahresbeginn hat ergeben, dass bundesweit 670.000 Wohneinheiten mit bezahlbaren Mieten und Sozialwohnungen fehlen. Die Wohnraumoffensive der letzten vier Jahre kann bei ehrlicher Betrachtung nicht als der umfassende Erfolg gesehen werden, wie Ende Februar von der Regierung konstatiert wurde.
Wie kommt es zu der unterschiedlichen Einschätzung?
Dr. Leuck: Die Regierung schaut vor allem auf die Baugenehmigungen. So erfreulich die Rekordzahl hier ist, Genehmigungen sind keine Fertigstellungen. Vor allem, lassen Sie uns doch die Praxis betrachten. Als bezahlbar gelten Wohnungen, deren Warmmiete weniger als ein Drittel des Haushaltseinkommens ausmacht. Legt man das durchschnittliche Haushaltseinkommen von Geringverdienern mit 2.200 Euro zugrunde, dann dürfte die Warmmiete 660 Euro im Monat nicht überschreiten. Umgerechnet auf den Quadratmeter wären das z. B. für eine 92 Quadratmeter große Wohnung, wie sie für eine vierköpfige Familie typisch ist, 7,20 Euro Miete je Quadratmeter.
In welcher deutschen Metropole oder Universitätsstadt finden Sie im Neubau noch Mieten von 7,20 Euro? Der doppelte Satz ist die Regel, sogar der dreifache nicht selten. Wer soll das bezahlen? Wir müssen dringend preiswerter bauen – und das geht nachgewiesen mit der Mauerwerksbauweise. Grundstückskosten und wuchernde technische Vorschriften, die für alle Bauweisen gelten, einmal außen vor: In Deutschland können Sie nur mit Mauerwerk für weniger als 2.000 Euro pro Quadratmeter bauen.
Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft stellen Ihre Branche vor erhebliche Herausforderungen. Wie weit sind Sie?
Dr. Leuck: In der Tat – das Klimaschutzgesetz verpflichtet uns zur klimaneutralen Produktion bis 2050. Alle, und ich meine wirklich alle Baustoffproduzenten arbeiten intensiv an der Dekarbonisierung ihrer Prozesse und Produkte. In den letzten Monaten wurden dafür diverse Roadmaps vorgelegt, die den Weg bis 2050 beschreiben.
Auch an dieser Stelle ist die neue Bundesregierung gefordert – was wir dringend brauchen, sind verlässliche Rahmenbedingungen, eine Infrastruktur für grünen Wasserstoff im großindustriellen Maßstab und Technologieoffenheit bei der Baustoffwahl. Aus gutem Grund treffen in Deutschland Architekten, Bauherren und Fachleute die Wahl, wie und womit sie Gebäude errichten. Einseitige politische Festlegungen oder gar Quoten darf es nicht geben.
Gibt es denn Anlass zur Sorge?
Dr. Leuck: Oh ja. Es wird Sie kaum überraschen, dass wir Holzbau-Offensiven nach dem baden-württembergischen Vorbild eine klare Absage erteilen. Der Staat darf einfach kein Marketing für einen einzelnen Marktteilnehmer machen.
Daher haben wir von Linkspartei bis zur FDP mit Interesse das Bekenntnis zum Erhalt unserer Wälder und vor allem ihrer Wiederaufforstung zur Kenntnis genommen. Darum muss es nach den drei Dürresommern gehen, nicht um noch mehr Holzeinschlag. Um die Konsequenzen von unstillbarem Hunger nach Holz zu sehen, schauen Sie nach Schweden. Die Dokumentation „More Of Everything - A film about Swedish forestry“ macht deutlich, was Monokulturen und Plantagenwirtschaft bewirken. Aufforstung statt Abholzung sollte auch in Deutschland das Gebot der Stunde sein.
Zusätzlich sind wir wegen der jüngsten Zahlen aus Bayern in Sorge. Es kann doch nicht richtig sein, dass bayerisches Fichtenholz nach Kanada oder China exportiert wird! Dadurch werden heimische Bauvorhaben erheblich teurer, weil Bauholz etwa für Dachstühle, Treppen oder Türen nicht verfügbar ist oder Preissprünge von bis zu 50 Prozent seit Jahresbeginn zu verzeichnen hat. Wie außerdem ein solcher ökologischer Fußabdruck jemals kompensiert werden soll, bleibt eine spannende Frage.
Wie geht es weiter?
Dr. Leuck: Als Mauerwerksindustrie werden wir uns weiterhin in die politische Debatte einbringen. Vor der Wahl mit unseren jüngst publizierten Wahlprüfsteinen und nach der Bundestageswahl im konstruktiven Diskurs mit der neuen Bundesregierung.
Zudem treiben wir die Netzwerkbildung aktiv voran. Unsere Kollegen in Baden-Württemberg und Bayern haben sehr gut vorgearbeitet, jetzt gilt es die stärkere Vernetzung von Forschung, Planung, Baustoffherstellung und Verarbeitung auch im Bund deutlich zu machen. Aktuell ist dafür ein Netzwerk Mineralisches Bauen im Entstehen, von dem noch zu hören sein wird.