Serie, Teil 2: ERP-Software - Bewertung statt Bauchgefühl
Die Anschaffung einer wohnungswirtschaftlichen ERP-Software ist für ein Wohnungsunternehmen eine auf Jahre hin angelegte Investition. Mit einem sorgfältig aufgesetzten Auswahlprozess lassen sich die Risiken einer Fehlentscheidung minimieren. Teil 2 unserer Serie mit dem Haufe Verlag.
Nüchtern betrachtet ist der Kauf einer wohnungswirtschaftlichen ERP-Software ein Beschaffungsvorgang wie jeder andere auch. Nach Maßstäben der Vernunft, Wirtschaftlichkeit und Weitsicht gilt es den Anbieter herauszufiltern, der mit seinem Produkt die Anforderungen am besten erfüllt.
Dass die Realität oft anders aussieht, hat verschiedene Gründe. So ist eine Software ein schwer zu fassendes Produkt. Ihr Wert für das Unternehmen – beispielsweise Effizienzsteigerung – erschließt sich erst, wenn sie eine Weile im Einsatz ist. Gleichzeitig werden die Aufgaben, die ein Unternehmen elektronisch abbilden möchte, immer umfangreicher, die Anforderungen wie die Geschäftsvorgänge selbst immer spezialisierter. Wohl dominiert das wohnungswirtschaftliche Hauptsystem rund um die Kernanwendungsgebiete Mietverwaltung, Mietenbuchhaltung, Technik und Rechnungswesen noch die IT-Landschaften in den Unternehmen. Doch zunehmend wird das zentrale System durch Satellitenanwendungen ergänzt, zum Beispiel elektronische Archive, Geo-Informationssysteme oder Portalapplikationen. Die Digitalisierung der Welt des Kunden, die neuen Möglichkeiten im Bereich von Social Media oder der mobilen Applikationen sind ebenfalls zu berücksichtigen. So muss bei CRM-Funktionen mitbedacht werden, dass der Kunde heute immer mehr über Smartphone und Tablet kommuniziert.
Die Vertrauensfalle
Doch natürlich muss vor allem den individuellen Erfordernissen des Unternehmens Rechnung getragen werden, wenn es gilt, sich für die eine und gegen die andere Software zu entscheiden. Projektionen in die Zukunft sollen dabei möglich sein. Angesichts dieser Komplexität mag es verständlich erscheinen, wenn sich ein Entscheider mehr vom Vertrauen leiten lässt, das er einem bestimmten Anbieter entgegenbringt, als von Fakten. Doch so wichtig das Vertrauen in den Anbieter ist, als Entscheidungsgrundlage reicht es nicht aus. Vielmehr bedarf es überprüfbarer, sachgerechter Kriterien, die eine objektive Beurteilung der Alternativangebote erlauben und die jeweiligen Vor- und Nachteile darlegen. Der Weg, die Kaufentscheidung abzusichern, führt über einen professionellen, strukturierten Auswahlprozess, bei dem sämtliche Anforderungen systematisch erarbeitet und geprüft werden.
Mit welchem Aufwand dabei zu rechnen ist, hängt von der Größe des Unternehmens und dem Umfang der erforderlichen Investitionssumme ab. In einer großen Wohnungsgesellschaft oder einer größeren Genossenschaft lohnt es sich, den Auswahlprozess von einer Projektgruppe leiten zu lassen. Alle betroffenen Fachbereiche sollten daran beteiligt sein. Das Projektteam begleitet später auch die Einführung.
Strategische Vorentscheidungen
Am Anfang steht die Aufgabe, einen Überblick über das Spektrum wohnungswirtschaftlicher Software zu erhalten. Wer nicht ohnehin permanent Marktbeobachtung betreibt, sich etwa regelmäßig auf Messen informiert, findet für die gezielte Anbietersuche im Internet spezielle Marktplätze wie den „Haufe Anbieter-Check“ (www.anbietercheck.de/immobilien) oder den „Software-Marktplatz“ (www.software-marktplatz.de). Eine Einstiegshilfe für wechselwillige Unternehmen ist der jährlich erscheinende HMC-Marktreport, der in der Ausgabe 2013 kompakte Informationen zu zwanzig Softwarelösungen von 16 Anbietern wohnungswirtschaftlicher ERP-Systeme enthält.
Bevor es um die Detailanforderungen geht, müssen grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel: Soll das System in ein externes Rechenzentrum ausgelagert werden oder legt man Wert auf eine Inhouse-Lösung, also den Server im eigenen Unternehmen? Soll die Software SAP-basiert sein? Und welcher Anbieter passt zum eigenen Unternehmen (Kapazitäten für Schulungen, Support)? Nach diesen Vorentscheidungen wird das Feld der Marktteilnehmer auf etwa drei bis fünf Anbieter reduziert.
Detailarbeit, ja bitte
Die gewünschten Produkteigenschaften, auch die spezifizierten Grundentscheidungen, werden möglichst detailliert in einem Anforderungskatalog (Pflichtenheft) beschrieben, am besten in tabellarischer Form. Eine Anforderung „Das System führt ein Kassenbuch“ wäre etwa dahingehend zu spezifizieren, ob automatisch ein Quittungsbeleg für den Einzahler erzeugt werden soll oder ob der eingezahlte Betrag in einem Arbeitsgang direkt dem Mieterkonto gutgeschrieben werden kann. Bei einer umfassenden ERP-Software können so 1.500 bis 2.000 Einzelanforderungen zustande kommen.
Der Anforderungskatalog wird jedem der in der Vorauswahl stehenden Anbieter zugeschickt. Zusammen mit Angebot und Vertragsentwurf sollten die Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist ausgefüllt zurückgesendet werden. Für jede Anforderung muss der Anbieter angeben, ob und unter welchen Bedingungen er diese erfüllen kann: Ist die Funktionalität im Grundpreis der Software enthalten, nur mit Zusatzkosten oder gar nicht zu realisieren? Die Ergebnisse werden schließlich unter Einbezug der Preisinformationen genau verglichen. Die zwei bis maximal drei Anbieter, die hier am besten abschneiden, kommen in das finale Auswahlverfahren.
Live-Beurteilung: User entscheiden mit
Für die endgültige Entscheidung werden die Anbieter einzeln eingeladen, um ihr Unternehmen und ihr Angebot zu präsentieren. Bei einem umfangreichen System dürfen zwei bis drei Tage pro Anbieter eingeplant werden. Für den ersten Termin, eine allgemeiner gehaltene Vorstellungsrunde, genügt auch bei größeren Auswahlprozessen ein halber Tag. Davon abgekoppelt wird ein zweiter Termin, bei dem die Anbieter ihre Produkte detailliert vorführen; hier steht auch die Projektierung (Softwareeinführung) auf der Agenda. Nach der ersten Präsentation kann die Vorauswahl noch weiter eingeschränkt werden. In der Regel fällt erst nach einer zweiten Intensivpräsentation – mit definierten Szenarien bzw. Testfällen oder Themenworkshop – die Entscheidung.
Damit nicht jeder Anbieter nur zeigt, was er besonders gut beherrscht, und die Produkte vergleichbar werden, sollten die gleichen Geschäftsvorfälle vorgeführt werden. Dafür definiert das Projektteam des Anwenderunternehmens ausgewählte Prozesse (Testfälle) aus allen wesentlichen Bereichen – Miete/Mietenbuchhaltung, Technik (Projekte, laufende Instandhaltung usw.), Rechnungswesen/Controlling – und lässt diese Aufgabenstellungen den Softwarehäusern ein bis zwei Wochen vor der Präsentation zukommen.
Bei der Beurteilung stehen die Programmfunktionalitäten im Mittelpunkt, doch auch weiche Faktoren wie Fach-und Servicekompetenz der Mitarbeiter des Anbieters spielen eine Rolle. Nützlich sind standardisierte Beurteilungsbögen, die während der Präsentation ausgefüllt werden. Die Softwarepräsentation sollte nicht nur vor Führungskräften des Wohnungsunternehmens, sondern auch vor Vertretern der späteren Anwender stattfinden. Nur sie können Funktionalitäten und Zusatznutzen, wie ergonomische Programmfolgen, umfassend einschätzen.
Der Preis dominiert selten
Losgelöst vom konkreten Auswahlverfahren sind Aussagen zum Einfluss des Preises nur bedingt möglich. Die Erfahrung zeigt, dass sich in einer Endausscheidung meist zwei Produkte gegenüberstehen, die in der Funktionalität und im Preis annähernd ähnlich sind. Ist das Unternehmen wirtschaftlich stark, ist eine Entscheidung für das System, das den Anwendern aufgrund seiner Funktionalität stärker zugesagt hat, zu vertreten. Muss hingegen gespart werden, sollte das besondere Augenmerk den Kernfunktionalitäten der Software gelten. An eine solide Grundfunktionalität können später, wenn wieder finanzielle Mittel vorhanden sind, immer noch Zusatznutzen wie ein elektronisches Archiv angedockt werden. Im Vergleich besonders billige Angebote sind – bei gleicher zugesagter Funktionalität und gleichem zugesagten Service – wie auch sonst im Leben immer verdächtig. Hier könnte der Anbieter nach erfolgtem Zuschlag noch während des Projekts z.B. einen Bedarf an zusätzlichen Coaching-Tagen feststellen und so versuchen, den Projektgesamtpreis zu erhöhen.
Fazit:
Das Risiko, bei der Softwareanschaffung eine Fehlentscheidung zu treffen, ist durchaus gegeben. Ein einmal installiertes ERP-System wieder kurzfristig auszuwechseln, käme in Anbetracht des Einführungsaufwands und der Anschaffungskosten einem starken wirtschaftlichen Rückschlag gleich. Umso wichtiger ist für den verantwortlichen Geschäftsführer oder Vorstand, dass eine neue Software genau das leistet, was sie soll: Prozesse beschleunigen, Vorgänge korrekt abbilden und wenn möglich vereinfachen, für mehr Transparenz sorgen. Das lässt sich erreichen, wenn sich die Auswahl auf sachgerechte Kriterien stützt, die in einem strukturierten Prozess erarbeitet und systematisch für jede infrage kommende Alternative überprüft werden. Wenn diese Vorarbeit sorgfältig erledigt wurde, ist eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Softwareeinführung gegeben.
Eine Software ist ein schwer zu fassendes Produkt. Ihr Wert für das Unternehmen erschließt sich erst, wenn sie eine Weile im Einsatz ist.
Ein einmal installiertes ERP-System wieder auszuwechseln, käme in Anbetracht des Aufwands und der Anschaffungskosten einem wirtschaftlichen Rückschlag gleich.