Die Reform des Vergaberechts im Baubereich
Neuregelung enthält mittelstandsfreundliche Akzente
Am 18. April 2016 ist das novellierte Vergaberecht fristgemäß in Kraft getreten. Im Rahmen der Vergaberechtsreform wurde das Vergaberecht nicht von Grund auf neu gestaltet. Es hat allerdings eine Reihe von strukturellen und inhaltlichen Änderungen erfahren. Die maßgeblichen Vorschriften für die Vergabe von Bauleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte finden sich weiterhin im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/A EU).
Die Regelungen für die Vergabe von Aufträgen mit einem Auftragswert unterhalb der EU-Schwellenwerte werden derzeit überarbeitet. Hierbei wird überprüft, welche neu gefassten Regelungen für die Vergabe im Oberschwellenbereich auch in den Unterschwellenbereich überführt werden sollen. Bislang hat der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) in einem ersten Schritt die Struktur an den 2. Abschnitt VOB/A angepasst und lediglich punktuell Regelungen der VOB/A im Unterschwellenbereich überarbeitet. Diese treten – wie auch einige wenige Änderungen der VOB/B – ebenfalls zum 18. April 2016 in Kraft.
Mit der Vergaberechtsreform sind die Vorgaben der neuen europäischen Vergaberichtlinien – insbesondere der Richtlinie 2014/24/EU – in nationales Recht umgesetzt worden. Der hohe Detaillierungsgrad der EU-Richtlinien hat zu einer Fülle von Neuregelungen und damit auch zu einem Anwachsen des Abschnitts 2 der VOB/A geführt. Dies hat den DVA dazu bewogen, die Struktur moderat zu ändern, um die VOB/A übersichtlicher zu gestalten. Dazu wurden die bisherigen Zwischenüberschriften als eigenständige Paragrafen ausgestaltet.
Insbesondere die folgenden Neuregelungen der VOB/A sind zu beachten: Der Vorrang des offenen Verfahrens entfällt. Stattdessen stehen dem öffentlichen Auftraggeber das offene und das nicht offene Verfahren nach seiner freien Wahl zur Verfügung. Die übrigen Verfahren stehen dagegen nur zur Verfügung, wenn die entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 3a EU).
Die Wahl des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb wird erleichtert, im Gegenzug wird der Ablauf des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb detaillierter geregelt. Die Voraussetzungen für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb werden weiter konkretisiert. Dies gilt unter anderem für die Frage, wann der öffentliche Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb aus Gründen der Dringlichkeit durchführen darf (§ 3a EU).
Die VOB/A folgt im zweiten Abschnitt dem Konzept der Eignungskriterien in EU-Vergaberichtlinie und GWB. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen. Sie müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Der deutsche Begriff der Zuverlässigkeit wird aufgegeben. Zuverlässig ist nach dem neuen Konzept des EU-Vergaberechts, wer keine bieterbezogenen Ausschlussgründe erfüllt (§ 2 EU).
Der öffentliche Auftraggeber kann jetzt gemäß § 6d EU Abs. 4 auch bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte vorschreiben, dass bestimmte kritische Aufgaben vom Bieter selbst oder – wenn der Bieter einer Bietergemeinschaft angehört – von einem Mitglied der Bietergemeinschaft ausgeführt werden. Das aus dem ersten Abschnitt der VOB/A bereits bekannte sog. Selbstausführungsgebot gilt somit – jedenfalls in bestimmten Fällen – jetzt auch im zweiten Abschnitt der VOB/A.
Die VOB/A wiederholt die in §§ 123 und 124 GWB geregelten bieterbezogenen Ausschlussgründe. Es bleibt bei der bekannten Unterscheidung zwischen zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen. § 6e Abs. 6 Nr. 7 (entspricht § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB) regelt erstmals ausdrücklich und im Detail, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen aufgrund früherer Schlechtleistungen ausgeschlossen werden kann. Die Regelung der Ausschlussgründe ist, wie in der EU-Vergaberichtlinie, abschließend. Einen darüber hinausgehenden Ausschlussgrund „Unzuverlässigkeit“ enthält der zweite Abschnitt der VOB/A nicht.
§ 6f EU legt – in Wiederholung von § 125 GWB – fest, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen sich nach früheren Verfehlungen erfolgreich „selbstreinigen“ kann. Der öffentliche Auftraggeber hat die vorgenommenen Selbstreinigungsmaßnahmen im jeweiligen Vergabeverfahren gemäß § 6f EU Abs. 2 selbst zu bewerten.
§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 5 VOB/A stellt klar, dass der öffentliche Auftraggeber Nebenangebote auch dann zulassen darf, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Der öffentliche Auftraggeber hat durch das Aufstellen von Mindestanforderungen insbesondere sicherzustellen, dass kein Nebenangebot bezuschlagt wird, das preislich lediglich wenig günstiger, dafür aber qualitativ deutlich schlechter ist.
Die VOB/A übernimmt die verkürzten Angebotsmindestfristen der EU-Vergaberichtlinie und sieht weiterhin die bekannten Verkürzungsmöglichkeiten für die Fälle von Dringlichkeit vor. Trotz der Verkürzung der Mindestfristen gilt gemäß § 10 EU Abs. 1 in Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie: Bei der Festsetzung der Angebotsfrist und der Teilnahmefrist muss der öffentliche Auftraggeber die Komplexität des Auftrags und die Zeit, die für die Ausarbeitung der Angebote bzw. Teilnahmeanträge erforderlich ist, beachten. Er muss also immer eine angemessen bemessene Angebots- bzw. Teilnahmefrist festlegen. Die in §§ 10a ff. EU genannten Mindestfristen sind demnach immer daraufhin zu überprüfen, ob sie im Einzelfall angemessen sind. Es handelt sich ausdrücklich nicht um Regelfristen. Die Angebotsfrist endet zudem nicht mehr mit der Öffnung des ersten Angebotes, sondern mit Ablauf des festgelegten Zeitpunktes.
Bei der Regelung der Frage, wie viel Zeit dem öffentlichen Auftraggeber für die Prüfung und Wertung der eingegangenen Angebote zur Verfügung steht, stellt die VOB/A jetzt maßgeblich auf die Dauer der Bindefrist und nicht mehr auf Zuschlagsfrist ab. Die vom öffentlichen Auftraggeber festgesetzte Bindefrist beträgt regelmäßig 60 Kalendertage. Eine längere Bindefrist ist nur in Ausnahmefällen festzusetzen und im Vergabevermerk zu begründen.
Der bisherige Eröffnungstermin in Anwesenheit der Bieter entfällt bei EU-Verfahren. Stattdessen informiert der öffentliche Auftraggeber die Bieter unverzüglich elektronisch über das Ergebnis der Submission.
Eine wichtige Neuerung stellt die schrittweise Umstellung auf eine vollelektronische Abwicklung des gesamten Vergabeverfahrens dar. In § 11 EU regelt die VOB/A – in wörtlicher Übernahme der entsprechenden Vorschrift der VgV – die Voraussetzungen für eine solchevollelektronische Durchführung des Vergabeverfahrens. Die Übergangsbestimmungen des § 23 EU räumen dem öffentlichen Auftraggeber das Recht ein, die Einführung der elektronischen Vergabe aufzuschieben. Wie bereits nach geltender Rechtslage darf der öffentliche Auftraggeber im Oberschwellenbereich vollelektronische Vergabeverfahren durchführen. Jedenfalls nach Ablauf der Übergangsfristen ist das vollständig elektronische Vergabeverfahren mit Ausnahme weniger aufgezählter Ausnahmefälle verpflichtend.
Nach § 11 EU Abs. 6 kann der öffentliche Auftraggeber von jedem Unternehmen die Angabe einer eindeutigen Unternehmensbezeichnung sowie einer elektronischen Adresse (Registrierung) verlangen. Für die bloße Einsicht in die Auftragsbekanntmachung und in die Vergabeunterlagen darf der öffentliche Auftraggeber aber keine Registrierung verlangen. Eine freiwillige Registrierung ist – insbesondere, um vor Eingang des Angebots bzw. Teilnahmeantrags eine Kontaktaufnahme durch den Auftraggeber zu dem Unternehmen sicherzustellen – immer zulässig.
In Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie regelt die VOB/A ausführlicher als bislang in § 16d EU Abs. 2 Nr. 5 und 6, unter welchen Voraussetzungen der öffentliche Auftraggeber die Lebenszykluskosten des Beschaffungsgegenstands berücksichtigen kann. Auch darüber hinaus kann der öffentliche Auftraggeber strategische Ziele in das Vergabeverfahren einführen und unter bestimmten Voraussetzungen bei der Wertungsentscheidung berücksichtigen.
In Wiederholung der Regelung in § 132 GWB regelt die VOB/A, unter welchen Voraussetzungen die Änderung eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordert. Nach § 22 EU gilt der Grundsatz, dass wesentliche Auftragsänderungen ein neues Vergabeverfahren erfordern. Zu beachten ist, dass vorgenommene Änderungen ggf. nach § 22 EU im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen sind.
Dr. Nils PlengeReferent im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit