Interview Hartmut Goldboom, Hagebau

Handel, Systeme – Dienstleister

Wie stellt sich der Baustoffhandel auf die Bedürfnisse der Wohnungswirtschaft ein und wie werden diese definiert? Auf diese und andere Fragen stand dem BundesBauBlatt Hartmut Goldboom, Hagebau, mit seiner Erfahrung Rede und Antwort.

Welche Erfahrungen haben Sie schon mit der Wohnungswirtschaft gemacht?

Goldboom: Unsere Erfahrungen mit der Wohnungswirtschaft sind sehr vielschichtig. Wir stellen fest, dass die Wohnungswirtschaft heute nicht nur das reine Material benötigt, sondern sie möchte eher komplexe Strukturen haben oder Lösungen. Die Wohnungswirtschaft ist getrieben vom Markt der Mieter und sie muss sich auf die Bedürfnisse der Kundenstruktur einstellen. Wenn dies nicht erfolgt, leidet sie im Wettbewerb und hat einen hohen Mieterwechsel. Mieterwechsel ist immer ein Kostenfaktor und es kommt zudem darauf an die Modernisierung der Wohnung in kürzester Zeit durchzuführen. Das sind wichtige Finanzrecourcen, die für die Wohnungswirtschaft greifen. Also insofern haben wir die Erfahrung gemacht, Wohnungswirtschaft ja - attraktive Gesprächspartner müssen sich aber zum modernen Dienstleister mit komplexen Problemlösungen für den Kunden wandeln .

Das heisst, die Wohnungswirtschaft stellt an den Handel besondere Anforderungen, aber der Handel stellt auch an die Woh­­nungs­wirtschaft besondere Anforderungen?

Goldboom: Erstens – der Handel fordert heute folgende Voraussetzung: Die Wohnungswirtschaft muss sich vom Hausverwalter zum modernen Immobiliendienstleister wandeln. Sie muss sich loslösen aus den kommunalen und finanziellen Abhängigkeiten und zusehen, dass sie ihr Geschäft aus einem vernünftigen Cashflow generieren kann. Es ist wichtig, dass die Immobilienwirtschaft die Prozesse als Ganzheitliches sieht. Zum Beispiel: Wenn Balkone saniert werden hat man nicht das Thema Balkone, sondern man muss die Fassade sehen.

Und das sind aus unserer Sicht Anforderungen, mit denen sich die Immobilienwirtschaft auseinandersetzen muss. Ganz wichtig: Im Zuge des demografischen Prozesses steht ja die Immobilienwirtschaft unter Umständen auch vor Leerstandsszenarien, die sie abarbeiten muss. Es müssen gemeinsame Perspektiven geschaffen werden, also langfristig sicheres Wohnen und guten Service zu fairen Preisen auf der einen Seite, gleichzeitig aber auch das Einbinden in bestimmte Entscheidungs- und Innovationsprozesse. Das Ganze müsste unter Umständen sogar in einer Rahmenvereinbarung zwischen Mieter und Wohnungswirtschaft definiert werden.

Nun zu den Anforderungen an den Baustoffhandel: Der Baustoffhandel in dieser Form sieht sich dann, vorausgesetzt er bringt das Know-how mit, als Netzwerker und damit gleichzeitig Mitarbeiter in zentralen Projekten. Er bietet das Thema Produktlösung/Konzept an.

Den Flaschenhals bildet der Verarbeiter, weil dieser oftmals das schlechteste Image im gesamten Netzwerk hat. Wir brauchen speziell geschulte Verarbeiter, denn diese befinden sich in bewohnten Wohnungen. Ich sage es mal salopp, wenn die Kippe morgen unter den Estrich fliegt, spielt es im Neubau keine Rolle. Aber hier ist eben adäquates Verhalten angesagt und damit muss eigentlich sicher gestellt werden, dass z. B. der Handel dann bei einer Balkonsanierung die Palette logistisch packt, durchnummeriert und just in time zum Ort der Verwendung anliefert.

Also eine Entwicklung, die schon sehr stark in Richtung Dienstleister geht?

Goldboom: Ja, zu einem prozessorientierten Dienstleister.

Tritt der Baustoffhandel als gemeinschaftlicher Partner auf oder agiert jedes Unternehmen – aus Sicht der Industri – für sich?

Goldboom: Man muss sich das so vorstellen: Es gibt einige Große und viele Kleine Hersteller in den unterschiedlichsten Produktbereichen. Die Aufgabe des Handels ist es, im Netzwerk der Baustoffhändler dafür zu sorgen, dass bei der Durchführung der Baumaßnahmen kein heilloses Durcheinander bei der Anlieferung entsteht, sondern gefiltert über den Puffer des Baustoffhändlers erfolgt. Da gilt es aus Sicht des Baustoffhandels die entsprechenden infrage kommenden Lieferanten in Form eines Sortiment-Scouts zu sichten. Am Ende wird dann aus der Summe der zur Verfügung stehenden Produkte und Dienstleistungen das richtige Servicepaket für die Baumaßnahme und deren Problemanwendung geschnürt.

Nun gibt es ja in den letzten Jahren in der Woh­­nungswirtschaft strukturelle Verände­run­gen. Es haben sich inzwischen Wohnungsgiganten gebildet, die durchaus noch weiter wachsen wollen. Wie reagiert der Baustoffhandel auf solche Woh­­nungsunternehmen und deren Marktposition?

Goldboom: Wir müssen in Deutschland unterscheiden: Es gibt Wohnungshändler, für die steht der kurzfristige Gewinn im Vordergrund. Dann gibt es sogenannte Bestandsmanager, die sehen die langfristige Perspektive der Immobilie. D.h. die Zufriedenheit der Mieter und die Stadtentwicklung stehen dort im Vordergrund. Das heißt nicht, dass die letztendlich auf sozialisierte Almosen angewiesen sind, aber grundsätzlich müssten wir hier unterscheiden.

Die große Frage ist ja, welche Strukturen bilden sich. Am Ende zählt die Zufriedenheit der Mieter. Und die Mieter, das ist der Markt, die werden entscheiden, was funktioniert. Insofern sehen wir das Geschäft der Immobilienwirtschaft sicherlich auf der einen Seite in einem zentralen Partnergespräch. Aber die Probleme sind ja dann regionaler, lokaler Art, um die einzelnen Bedürfnisstrukturen dieser Wohneinheiten entsprechend zu bedienen.

Sicherlich, das Potential der Nachfrage, des Nachfragevolumens oder Angebotsvolumens, das dort entsteht, ist riesengroß ohne Frage. Aber am Ende zählt ja auch die Qualität der Leistung auf der Fläche. Es ist dann wieder ein kleinteiliges Geschäft.

Sehen Sie im Bereich der Wohnungswirtschaft in den kommenden Jahren noch signifikante Veränderungen oder Entwicklungen, auf die Sie in Gesprächen mit Ihren Geschäftspartnern angesprochen werden?

Goldboom: Ich glaube, wir sind erst an der Spitze des Eisberges. Ich glaube, die Wohnungswirtschaft steht vor brutalen Veränderungen, weil zum Beispiel die demografische Entwicklung die Wohnungswirtschaft direkt trifft. Es gibt Studien über die demografische Entwicklung, z. B. Matthias Horx (Zukunftsforscher, Anmerk. der Redaktion), da wird einem bewusst, welche Potentiale dort bewegt werden. 2010 – und das ist in zwei Jahren – wird jeder fünfte älter als 60 Jahre sein, 2015 ist im Prinzip jeder vierte schon älter als 60 Jahre.

Die Anzahl der Haushalte verteilt sich heute so, dass 18 % der Bevölkerung (14,6 Mio.) im Einpersonenhaushalt leben und 82 % in Zwei- und Dreipersonenhaushalten. Das heißt, die Haushaltsgrößen werden kleiner, aber nicht unbedingt weniger. Und damit steigt eigentlich das wahnsinnige Anforderungspotential an die Wohnunsgwirtschaft. Das bedeutet: Wir brauchen qualitativ vernünftigen Wohnraum, damit diese Ein- und Zweipersonenhaushalte perspektivisch ihre Lebensstile verwirklichen können. Darüber hinaus werden wir einen Wandel vom dem Land in die Stadt haben, weil ältere Menschen dort für sich den höchsten Grad an Unabhängigkeit und der Individualisierung sehen.

Grundsätzlich ist das ein riesen Chancenpotential für die Immoblienwirtschaft sich modern aufzustellen. Auch die ältere Generation will lifestylen, will moderne Wohnungen, d.h. unter Umständen altengerecht aber nach dem neuesten Standard wohnen. Man wünscht sich ein attraktives Umfeld und das bieten dann eher Städte als ländliche Regionen. Es kommt eben jetzt darauf an, dass sich die Immobilienwirtschaft sich darauf einstellt.

Wie sieht der Handel seine Rolle in Zukunft bezogen auf die Woh­­nungswirtschaft?

Goldboom: Ich glaube, wir müssen heute folgende Prozesse berücksichtigen: Am Ende muss die Immobilienwirtschaft und der Handel in Summe für die Stadtrendite, d.h. für die lokale, kommunale Situation ein positives Ergebnis erziehlen. Das ist jetzt nicht betriebswirtschaftlich zu verstehen, sondern bewertet die sozialen kommunalen Aspekte. Industrie plus Wohnungswirtschaft müssen sich zu kommunalpolitischen sowie sozialpolitischen Moderatoren entwickeln, um die Rolle des Netzwerkers richtig zu spielen.

D.h. der mittelständische Baustoffhändler ist in der Regel inhabergeführt und hat damit eine exzellente Ausgangslage sich auch politisch in diesem Netzwerk zu bewegen. Da sind für uns folgende Punkte im Vordergrund: Nachhaltige Entwicklung der Wohnqualität steht an ganz vorderster Stelle. Sozialer Frieden und Integration müssen sicher gestellt werden über vernünftige kommunale Rahmenbedingungen und Stadtumbau. Gemeinsame Kooperationen müssen dafür gesorgen, dass soziale Brennpunkte unter Umständen rückgebaut werden und damit letztendlich die Situation frei wird für neue innovative Konzepte.

Natürlich bewegt uns das Thema der energetischen Sanierung: Wenn wir die Gebäude vernünftig sanieren, reduzieren wir das Gesamtvolumen CO2 um 30 %. Das ist einer der größten Treiber und da müssen einfach die Konzepte stimmen. Es bringt wenig sich über Windenergie, Photovoltaik und den ganzen Kram zu unterhalten, wenn in der Grundsubstanz nicht die Voraussetzung geschaffen werden.

Es gibt mittlerweile entsprechende Fördertöpfe für die professionelle Wohnungswirtschaft und auch die Verschärfung der ENEV 2009 führt hoffentlich aus unserer Sicht dazu, dass hier zu einer stärkeren qualitativen Verbesserung der Wohnqualität kommt.

Wir werden in der nächsten Ausgabe darüber berichten. Herr Goldboom, herzlichen Dank für das Gespräch!

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