Holzhäuserwachsen in die Höhe

In der Schweiz zeigt ein sechsgeschossiger Holzbau, welche Möglichkeiten der uralte Roh- und Baustoff für den verdichteten Wohnungsbau bereithält. Die weitreichende Vorfertigung garantiert dabei kurze, witterungsunabhängige Bauzeiten, die trockene Bauweise einen sofortigen Bezug.

Der touristische Betrieb im Feriengebiet Lenzerheide benötigt für die saisonalen Ar­­beitskräfte Wohnraum in unmittelbarer Nähe der Bergbahnstation. Die Kapazität des von einem Investor getragenen, neuen Personalhauses Canols beträgt 13 Doppel- und 42 Einzelzimmer für insgesamt 68 Personen. Die großvolumige Kubatur des rechteckigen Gebäudekörpers fügt sich nahtlos an die bestehenden Betriebsgebäude der Bergbahnen an. Der sechsgeschossige Wohnbau, der vornehmlich aus heimischem Fichtenholz errichtet wurde, verkündet ein kraftvolles Statement an präsenter Nachhaltigkeit in alpiner Umgebung.

Damit sich die Menschen in den nur 15 m² kleinen Einzelzimmern während ihres zeitlich begrenzten Aufenthaltes von der harten Arbeit erholen können, statteten die Planer diese mit sichtoffenen, unbehandelten Holz-oberflächen an  Wänden und Decken aus. Aus vielen Beispielen ist bekannt, dass großzügig verbautes Holz im Innenraum dem Wohlbefinden des Menschen zuträglich ist. Zudem wurde das Gebäude diffusionsoffen konzipiert, was den Faktor Behaglichkeit durch ein entsprechendes Raumklima abermals verstärkt. Dadurch konnte ebenso auf eine Dampfbremsfolie in der Gebäudehülle wie auf eine zentrale, kontrollierte Lüftungsanlage verzichtet werden, was die Baukosten senkte und zukünftige Wartungskosten minimiert.

Natürliche Raumoberflächen

Die auf den ersten Blick sparsame Durchfensterung wird durch deren südwestseitige Öffnung zum Bergpanorama mit Rothorn und dem Heidsee kompensiert, zumal der Lichteinfall mit den Raumgrößen korre­liert. Ferner lassen sich die innen angeschlagenen Fenster der Obergeschosse über die ganze Breite der Zimmer öffnen. Die bewusst schmal gehaltenen und ohne natürlichen Lichteinfall versehenen Korridore sollen die Aufenthalte und damit etwaig verbundene Lärmemissionen auf den Flurbereichen minimieren. Von hier werden die Einzel- und Doppelzimmer in Längs- und Querrichtung erschlossen, wobei die gleichförmige Linienführung der Korridore über Eingangsnischen bei den Zimmertüren als kleine Vorräume der Begegnung geschickt aufgelöst werden.

Dieses Konzept findet in den Zimmern eine Fortführung, als sich dort die schmalen Durchgänge vom Bad zum Wohnraum hin weiten. Die Möblierung fügt sich, ebenfalls platzsparend, an die Innenwände an. Bedingt durch die Beschränkung auf wenige, gleichwohl ausgesuchte Materialien und Oberflächen, z.B. einen naturbelassenen Ziegenhaar-Schurwollteppich, wird in den Wohnräumen ein Höchstmaß an Ruhe erzielt. Im Erdgeschoss befinden sich die Areale für soziale Interaktion. Ein Gemeinschaftsraum mit Eichenholzmöbeln und großzügigen, an der Außenschale angeschlagenen Fensterflächen, offeriert Möglichkeiten des Austauschs und der Begegnung. Ferner können sich die Bewohner in einer Gemeinschaftsküche selbst oder gruppenweise versorgen, zumal in der Speisekammer jedem Zimmer ein eigener Vorratsschrank zugeordnet ist.

Holzrahmen- und BSP-Konstruktion

Da sämtlichen Geschossen der gleiche Grundriss zu Grunde liegt, erfolgt die Lastabtragung beim Personalhaus Canols gleichmäßig und ohne Unterbrechung. Die Konstruktion des Beherbergungsgebäudes erfolgte unter Berücksichtigung verschiedener Bedingtheiten in unterschiedlichen Ausführungen. Das Erdgeschoss und das Treppenhaus führte man aus statischen und brandschutztechnischen Gründen in Stahlbeton aus. Um diesen mineralischen Erschließungskern mit der Form eines aufgeständerten L, dessen Vertikale die schmale Südwand ausbildet, baute man den Sechsgeschosser in einer elementbasierten, systemischen Holzbauweise auf.

Die beiden Längsseiten des Personalhauses bestehen aus einer mit innenseitigen Dreischichtplatten in Sichtqualität beplankten Holzrahmenkonstruktion. Bei der schmalen Nordseite hingegen setzten die Holzbauingenieure aus Gründen der Erdbebensicherheit auf eine Brettsperrholzlösung: hier prangt über die ganze Gebäudehöhe eine 18 cm mächtige BSP-Wand mit innenseitiger, sichtbarer Holzoberfläche, die nach außen mit einer 20 cm dicken, mineralischen Dämmung versehen wurde.

Heimisches Fichtenholz

Das Dach und die Geschossdecken bestehen aus verklebten Hohlkastenkonstruktionen. Diese setzen sich aus großflächigen, 27 mm dicken Dreischichtplatten zusammen, die mit rippenförmigen BSH-Balken verklebt sind, wobei die untere Beplankung der Decken, ebenso wie bei den Wänden, in Sichtqualität ausgeführt wurde. Sie eignen sich für den mehrgeschossigen Wohnbau, da sie große Spannweiten bei geringem Eigengewicht und ebensolcher Konstruktionshöhe zu überbrücken vermögen.

Die Hohlräume wurden mit einer mineralischen Dämmung ausgefüllt. Des Weiteren stellen bei den Geschossdecken u.a. ein Vlies, eine Gartenplatte und eine mineralische Trittschalldämmung die Erfordernisse an den Schall- und Brandschutz sicher. Final schloss man die Geschossdecken mit einem verschiebbaren Anschluss oben an die Zimmertrennwände an, während das Flachdach mit einer 50 mm Kiesschüttung finalisiert wurde.

Die Aussteifung des Gebäudes erfolgt über den Erschließungskern, die gegenüberliegende, nordseitige BSP-Wand sowie über die Geschossdecken und das Dach. Sämtliche Decken, Böden, Außen- und Innenwände wurden mineralisch gedämmt. Die das Personalhaus prägende Holzfassade besteht aus einer einfachen, 21 mm dicken Nut + Feder Brettschalung aus Bündner Fichtenholz, die mit einer offenporigen Holzlasur vorvergraut wurde, da die unterschiedlichen Bewitterungen der Gebäudeseiten eine einheitliche, gleichmäßige Vergrauung verhindert hätten.

Vorfertigung inklusive Sprinkler

Der mittels CAD-Planung weitestgehend automatisierte Planungs- und Herstellungsprozess garantierte eine realistische Organisation und Strukturierung der gesamten Bauphase. Die vergleichsweise kurze Bauzeit von nur acht Monaten bedingte sich durch den hohen Grad der Vorfertigung: Ende Mai 2014 startete die Produktion der Holzelemente, Mitte Oktober stand der hölzerne Rohbau, und bereits Mitte Dezember konnte das Gebäude schlüsselfertig übergeben werden. Insgesamt wurden 335 Wand- und 145 Deckenelemente inkl. der Sprinklerleitungen in den Geschossdecken im Werk fertig vorproduziert.

Im Zuge dessen verband man auch die sichtbaren, tragenden und aussteifenden Dreischichtplatten der Holzrahmenkonstruktion mittels einer Pressverleimung direkt mit den BSH-Rippen. Dadurch konnte sowohl den Ansprüchen der Optik an die Oberflächen, da das Fichtenholz sichtbar bleiben sollte, als auch der Statik entsprochen werden, da die Zugkräfte über die BSH-Rippen auf diese Art effektiv in die Holzkonstruktion verteilt werden. Die Anlieferung der Elemente auf die Baustelle erfolgte dann just-in-time, wo sie mittels Kran aufgrund ihrer millimetergenauen Präzision in rascher Abfolge dem Baukastenprinzip ähnlich montiert wurden.

Vorgriff auf neue Brandschutzvorschriften

Die Einstufung des Personalhauses Canols durch die zuständige Brandschutzbehörde, die Kantonale Feuerpolizei Graubünden, erfolgte gemäß der Schweizer Brandschutzvorschriften VKF (Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen) in der Fassung vom 1. Januar 2005 auf Basis des Artikels 12a der VKF Brandschutznorm als sechsgeschossiger Beherbergungsbetrieb (Hotel, Pension, Ferienheim). Dem Bauvorhaben wurde gemäß Artikel 11 der Brandschutznorm eine Ausnahmebewilligung erteilt, die ein objektbezogenes Brandschutzkonzept als Grundlage für die feuerpolizeiliche Bewilligung erforderte, da Bauten dieser Gebäudekategorie und Nutzungsklasse normalerweise nicht mit brennbaren Oberflächen und Tragwerken ausführbar sind. Das Brandschutzkonzept inkludierte eine Reihe von baulichen und technischen Maßnahmen, die sich teilweise an den Vorgaben der neuen VKF-Brandschutzvorschriften anlehnte, die erst am 1. Januar 2015 in Kraft traten. Die für die Bewilligung wesentlichen Brandschutzmaßnahmen lauten wie folgt:

– Sprinkleranlage als Vollschutz im gesamten Gebäude

– Brandmeldeanlage als Vollüberwachung im gesamten Gebäude

– Rauch- und Wärmeabzugsanlage

– Konstruktion der Holzaußenwand inkl. Bekleidung gemäß der Lignum Dokumentation Brandschutz 7.1    ‚Außenwände – Konstruktion und Bekleidung‘

– Einstufung des Gebäudes in die Qualitätssicherungsstufe Q 4 mit Begleitung durch Fachingenieur als Kontrollorgan gemäß Lignum Dokumentation ‚Brandschutz – Bauen mit Holz - Qualitätssicherung und Brandschutz‘

– Schutzabstand zu Nachbargebäuden von min. 7,5 m

Während das mineralische Erdgeschoss und der Treppenhauskern mit Feuerwiderstand REI 60 erstellt wurden, stufte man die tragenden Bauteile des in Holzbauweise errichteten 1. bis 5. Obergeschosses in die Feuerwiderstandsklasse R 60 ein. Die Anforderung an die brandabschnittsbildenden Bauteile Geschossdecke und Korridorwand beträgt gemäß der Holzbauweise EI 60, die der Zimmertrennwand dank des Sprinkler-Vollschutzes lediglich EI 30.

Die mit einem verzinnten, nichtrostenden Edelstahl bekleideten Brandschutzschürzen und Fensterzargen ziehen sich Bändern gleich um das Gebäude. Sie bilden einen symmetrischen, den Holzbau typisierenden Rahmen, der von den Fensteröffnungen aufgelöst wird. Diese im außen sichtbare Brandschutzmaßnahme steht symbolisch für das Personalhaus Canols als Vorreiter einer modernen, mehrgeschossigen Bauweise in Holz, die den bewährten Bau- und Werkstoff innen wie außen präsentiert, und nicht mehr, wie bis dato üblich, hinter Bekleidungen versteckt.

Konstruktion und Energieversorgung aus heimischen, nachwachsenden Rohstoffen

Ebenso wie der Sechsgeschosser weitestgehend aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz errichtet wurde, so erfolgt auch die Energieversorgung über ebendiese, heimische Ressource. In der Region Lenzerheide existiert ein Wärmeverbund, der die Siedlungen zentral über ein Nahwärmenetz mit Heizenergie und Warmwasser versorgt. Hierbei werden die Grund- und Spitzenlastzeiten über zwei Hackschnitzel-Holzvergaserkessel mit einer Leistung von 2.500 bzw. 1.600 kW bedient, während zur Redundanz und für Wartungszeiten ein Ölkessel und zwei weitere Notkessel bereitstehen.

Der Hackschnitzelverbrauch beläuft sich auf 18.000 Standdardkubikmeter im Jahr, woraus sich eine CO2 Einsparung gegenüber fossilen Brennstoffen von 3.000 t ergibt. Das Personalhaus Canols, dessen Anschluss über eine Leistung von 62 kW verfügt, hat sich über die Nahwärmelösung zudem den Bau einer eigenen Heizungsanlage sowie eines Kamins nebst regelmäßiger Reinigung durch einen Schornsteinfeger gespart. Insgesamt wurden beim Personalhaus etwa 280 m³ an massivem Holz verbaut. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % besteht, von ca. 70 t, was einer CO2-Speicherung von über 257 t gleichkommt. In Summe erfüllen das Bauvorhaben und dessen Versorgung die Kriterien der avisierten 2000-Watt-Gesellschaft in der Schweiz.

Der Sechsgeschosser wurde nicht nur aus Holz errichtet, er wird auch mit Energie aus ­Holzhackschnitzeln  beheizt.

Die Zimmer sind mit sichtoffenen, unbehandelten Holzoberflächen an Wänden und Decken ausgestattet.

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