Individuelles Bauen mit System
Am Nürnberger Nordostbahnhof entstanden 106 neue Mietwohnungen. Bei der Verteilung der Funktionen, den Finanzierungsformen und bei den Architekturbüros hat die wbg bewusst auf Vielfalt und Differenzierung gesetzt.
Im Rahmen eines umfangreichen Neubauprogramms hat die wbg Nürnberg GmbH Immobilienunternehmen die ehemalige Bahnbrache des Nordostbahnhofs in Nürnberg wiederbelebt. In drei Bauabschnitten entstanden bis 2017 insgesamt 106 Mietwohnungen und eine Kindertagesstätte.
Die drei Bauteile gruppieren sich U-förmig um einen begrünten Innenhof mit Spielplätzen und wirken dadurch als geschlossenes städtebauliches Ensemble. Bei der Verteilung der Funktionen, den Finanzierungsformen und selbst bei den Architekturbüros hat die wbg jedoch bewusst auf Vielfalt und Differenzierung gesetzt. So realisierte das Büro Aicher + Hartmann den quer stehenden Bauteil A mit 28 freifinanzierten Mietwohnungen und der Kindertagesstätte im Erdgeschoss. Für die beiden parallelen Gebäude bekam das Büro Loebermann + Bandlow den Zuschlag, die den zur Straße und zum Bahnhof weisenden Bauteil B als geschlossenen Riegel konzipierten, während das rückwärtige Bauteil C in der Formensprache an Stadtvillen erinnert. Tatsächlich stehen die drei (Hoch-)Baukörper jedoch auf einer durchgehenden Tiefgarage mit 93 Stellplätzen und bilden ein zusammenhängendes Gebäude.
So unterschiedlich wie die Formensprache sind im Loebermann + Bandlow-Projekt auch die Finanzierungsmodelle: 38 freifinanzierte Mietwohnungen im Bauteil C werden ergänzt durch 40 öffentlich geförderte Wohnungen im Bauteil B, womit die wbg einerseits den auch in Nürnberg dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum schafft und andererseits eine ausgewogene soziale Mischung in ihrem neuen Quartier erreicht.
Derartig kombinierte Finanzierungsformen dürften in vielen Wohnungsbaugesellschaften überlegt und in vielen Fällen auch umgesetzt werden. Das eigentlich Besondere des Bauvorhabens am Nürnberger Nordostbahnhof ist deshalb eher, dass die Bauteile B und C in ihrer ökonomischen Unterschiedlichkeit trotzdem bautechnisch in ein und derselben Bauweise errichtet werden konnten. Möglich wurde dies durch die besonders wirtschaftliche Ausführung der Baukonstruktion mit Kalksandsteinmauerwerk. Die Außenwände, die Wohnungstrennwände und die tragenden Innenwände entstanden mit dem rationellen Bausystem KS-Quadro, dass große Steinformate für den schnellen Baufortschritt mit einer intelligenten Versetztechnik und einer sehr flexiblen, steingenauen Planung der Grundrisse verbindet.
Bausystem mit variabler individueller Anpassung
Rein materialtechnisch gesehen sind KS-Quadro klassische Kalksandstein-Produkte, die aus den heimischen Rohstoffen Kalk, Sand und Wasser ohne chemische Zusatzstoffe gepresst und unter Dampfdruck gehärtet werden. Die relativ niedrige Härtetemperatur beträgt ca. 200° C und sorgt für eine umweltfreundliche Steinherstellung mit geringem Energieaufwand bei der Produktion.
Die speziellen Vorteile von KS-Quadro als Bausystem ergeben sich aus der konsequenten Orientierung auf ein 12,5 cm-Längenraster und die Verwendung großer Steinformate. Das Regelformat ist 50 cm lang und erlaubt mit zwei Ergänzungsformaten von 37,5 cm und 25 cm Länge eine einfache Planung auch mit kleingliedrigen Maßketten und abweichenden Wandlängen.
Kimmsteine in variablen Höhen komplettieren das System und ermöglichen die Anpassung an beliebige Wandhöhen. Dadurch wird eine steingenaue Planung möglich, deren Verlegepläne mit einer speziellen Versetztechnik im sogenannten „Ein-Mann-Mauern“ sehr wirtschaftlich und schnell umgesetzt werden können. Dabei ist nur ein Maurer je Arbeitsplatz im Einsatz, der den Dünnbettmörtel mit dem Mörtelschlitten aufzieht und über eine spezielle Steuereinheit gleichzeitig das Versetzgerät und die Versetzzange bedient. Obwohl – oder gerade weil – der Maurer körperlich entlastet wird, lassen sich Arbeitszeitrichtwerte von 0,25 h/m² erreichen.
Vorteile funktionsgetrennter Außenwände
Mit KS-Quadro wurden in den Wohnhäusern am Nürnberger Nordostbahnhof vor allem die Außenwände sowie die tragenden Trennwände errichtet. Der funktionsgetrennte Aufbau der KS-Außenwände ermöglichte dabei schlanke, flächensparende Wanddicken und gleichzeitig eine hohe Variabilität bei der Fassadengestaltung.
Bei der Funktionstrennung wird die tragende KS-Schale allein nach den statischen Anforderungen optimiert, wofür in den Bauteilen B und C überwiegend 175 mm Wanddicke ausreichten. Den Wärmeschutz übernimmt die äußere Wärmedämmung, die hier in der Regel 140 mm und in einigen Bereichen bis 180 mm dick ausgeführt wurde. Mit den beiden Putzschichten außen und innen ergeben sich dadurch Gesamt-Wanddicken um 360 mm, was ziemlich genau der traditionellen „36er-Außenwand“ entspricht. Auch mit dieser im Vergleich zu anderen Bauweisen geringen Wandstärke erfüllen die Gebäude in der Energieeffizienz den anspruchsvollen KfW 70-Standard.
Der schlanke Wandaufbau lässt den Investoren und ihrem Architekten alle Freiheit bei der Fassadengestaltung. Die Hauptflächen erhielten ein Wärmedämm-Verbundsystem mit mineralischem Putz, weil dieser Aufbau nach den Erfahrungen der wbg langlebiger ist und weniger Instandhaltungsbedarf verursacht. An den Laubengängen auf der zur Bahn gewandten Seite wurde jedoch auch mit einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade gearbeitet, die sich problemlos im KS-Mauerwerk verankern ließ.
Bei den tragenden Trennwänden im Inneren des Gebäudes, die Wohnungen untereinander oder zum Treppenhaus abgrenzen, war neben den statischen Anforderungen vor allem ein hoher Schallschutz zu beachten. KS-Quadro in 240 mm Dicke stellt hier die Einhaltung der normativen Vorgaben sicher und schafft für die Bewohner eine ungestörte, ruhige Wohnatmosphäre.
Urbanes Wohnen wirtschaftlich errichtet
Um die Elektroinstallationen zu vereinfachen kam das Bausystem auf Basis von Kalksandstein in Nürnberg als KS-Quadro E zum Einsatz, bei dem die Steine bereits ab Werk über senkrechte Installationskanäle verfügen. Zur weiteren energietechnischen Ausstattung gehören der Anschluss an die Fernwärme, die Ausstattung der Wohnungen teils mit Fußbodenheizungen und teils mit Radiatoren sowie – je nach Situation – zwei- oder dreifach verglasten Fenstern.
Es entstanden also moderne Mietwohnungen, die den funktionalen Anforderungen unserer Zeit entsprechen, aber aufgrund der wirtschaftlichen Bauweise trotzdem ein ausgewogenes Mietniveau aufweisen können: in den freifinanzierten Wohnungen liegt die Spanne der Grundmiete zwischen 10,43 und 11,93 Euro/m², in den öffentlich geförderten aber bei nur 8,10 bis 8,50 Euro/m². Es kam EOF-Förderung zum Einsatz, bei der der Bauherr eine Grundförderung erhält und der Mieter eine Zusatzförderung, die gestaffelt und von seinem Einkommen abhängig ist. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Sozialwohnungen des ersten Förderwegs wird die Förderfähigkeit und Förderhöhe hier alle zwei Jahre überprüft.
Die Bauteile B und C in ihrer ökonomischen Unterschiedlichkeit konnten trotzdem bautechnisch in ein und derselben Bauweise errichtet werden.
Es entstanden moderne Mietwohnungen, die aufgrund der wirtschaftlichen Bauweise ein ausgewogenes Mietniveau aufweisen können.