Bauen mit Holz

Ohne Leim und Metall

In Potsdam hat eine Baugemeinschaft ein Mehrfamiliengebäude als Energieeffizienzhaus 55 errichtet. Die ebenso familienfreundliche wie altersgerechte Ausführung wird von einer selbstbestimmten Nachbarschaft getragen.

Um sich das Bauen und Wohnen im neoliberalisierten Investorenmarkt überhaupt noch leisten zu können, haben sich in den letzten Jahren in den Agglomerationen vermehrt Baugemeinschaften gebildet. Deren Vorteil liegt darin, dass die Bauträgerkosten und die Margen der Immobilienmakler entfallen, was in Summe das Bauen um etwa 20 % vergünstigt. Denn auch in Potsdam waren die Mietpreise für Wohnungen, vornehmlich aus Spekulationsgründen, seit 2014 um 14,8 % gestiegen.

In Baugemeinschaften übernehmen die einzelnen Bauparteien Verantwortung in dem sie zu Unternehmern ihrer selbst werden, zumal sie den von ihnen geschaffenen Wohnraum selbst bewohnen wollen, anstatt damit zu spekulieren. Ferner können sie eigene Ideen und Vorstellungen in den Planungsprozess einbringen, sei es bei den Grundrissen der eigenen Wohnung, sei es bei der Gestaltung des Wohnumfeldes oder der Anlage der gemeinsamen Grünflächen. Des Weiteren lernen sich die zukünftigen Hausnachbarn nicht erst auf dem Bauplatz, denn im Vorhinein kennen, was Konflikten vorbeugt und Synergien im gemeinsamen Handeln ermöglicht.

Vorteil Konzeptvergabe

Das Schmuckstück der Potsdamer Stadtentwicklung bildet eine ca. 300 ha große, ehemalige Militäranlage nördlich der historischen Altstadt – das Bornstedter Feld. Umsäumt von Havelseen, kleinen Wäldern und einer weiten Feldflur, gelangte das Areal nach der Räumung der Kasernen schon früh in das Blickfeld von Investoren. Um den monotonen, exklusiven Bauträgergebilden eine städtebaulich wirksame, inklusive Bauform entgegenzusetzen, unterstützte die Stadt die Gründung von Baugemeinschaften. Dazu passte der Konversions-Rahmenplan mit einer definierten Bebauungsdichte von maximal vier Geschossen bei den Gebäudehöhen.

Ferner präferierte man eine gesunde Durchmischung der neuen Quartiere mit Wohnen und Kleingewerbe, Freizeit- und Studieneinrichtungen. Ebenso sollten Mietwohnungen neben Eigentumseinheiten die soziale Vielfalt gewährleisten, wie auch die Berücksichtigung ökologischer Aspekte bei der Entwurfsplanung und der Grünflächengestaltung dem Klimawandel und der Ressourcenverknappung Rechnung tragen.

Gründe und Möglichkeiten genug für eine Potsdamer Baugemeinschaft, auf einem 2.500 m² großen Grundstück am Potsdamer Waldpark, nur 2 km vom weltbekannten Park Sanssouci entfernt, einen massivhölzernen Dreigeschosser im KfW-55-Standard zu errichten. Die stimmige Lage wird komplettiert durch eine funktionale Verkehrsinfrastruktur – eine nahegelegene Straßenbahnhaltestelle mit direktem Anschluss an die Innenstädte von Potsdam und Berlin. Die Planungsgemeinschaft Herrmann-Kasack-Straße Haus 3 GbR erwarb dabei eine von insgesamt fünf Parzellen, die eigens für Baugemeinschaften angedacht worden waren. Vorher galt es ein mehrstufiges Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren zu durchlaufen, bei dem nicht der Preis allein, sondern die Qualität des Gesamtkonzeptes im Vordergrund stand.

Die Entwurfsplanung der Scharabi Architekten, die ebenso städtebauliche wie bauökologische und energetische Aspekte berücksichtigte, war erfolgreich. Das Mehrparteienhaus in Massivholzbauweise verfügt über neun Wohnungen mit einer Geschosshöhe von 3,45 m in Größen zwischen 62 m² und 136 m² Wohnfläche, wobei jede Wohnung einen oder gar zwei Balkone erhalten hat. Zum Konzept gehört auch ein gemeinsamer Garten, der sich hinter dem Haus in Richtung des Waldparks befindet. Der zur Sonne ausgerichtete Holzbau fällt sofort durch seine innen wie außen sichtoffenen Holzoberflächen ins Auge.

Leimfreies Massivholzsystem

Im Gegensatz zu den meisten am Markt befindlichen Massivholzsystemen, die auf horizontal ausgerichteten Kreuzlagenhölzern basieren, setzte die Baugemeinschaft auf ein vertikal ausgerichtetes Konstruktionsprinzip. Dabei werden technisch auf etwa 12 % Rest- bzw. Ausgleichsfeuchte getrocknete Hölzer verwendet, wobei die Trocknungsdauer von mindestens acht Stunden bei 65 °C den chemischen Holzschutz ersetzt.

Dieses System, das von zwei Südtirolern –dem Tischler und Förster Herbert Niederfriniger und dem Holztechniker Armin Strickner – erfunden wurde, besteht aus mehrlagigen, stehenden und gehobelten Bohlen, die mittels traditioneller Schwalbenschwanz-Vergratungen ohne jedweden Kleber oder Metall zusammengefügt werden. Danach werden in den Elementkern gegeneinander laufende, konisch vorgefräste Gratleisten horizontal eingeschoben, was einen kraft- und formschlüssigen Gesamtverbund hervorbringt. Zudem wird die ausgleichende Feuchtigkeitsbewegung des Holzes als zusätzlich stabilisierender Faktor genutzt. Denn während die Bohlen aus Fichten- oder Weißtannenholz einen Feuchtigkeitsgrad von ca. 12 % besitzen, weisen die Gratleisten aus Fichten- oder Eschenholz einen Restfeuchtegehalt von etwa 6 % auf.

Wandaufbau folgt dem Baumwuchs

Durch die ausgleichende Bewegung im Holzverbund ziehen sich die trockeneren Gratleisten in Richtung der feuchteren Bohlen fest. Des Weiteren ermöglichen die Gratleisten im Elementkern, dass beide Seiten eines Elements in Sichtqualität ausgeführt werden können, was z.B. bei Innenwänden ein enormer Vorteil ist.

Die Leitungskanäle der Elektroinstallation werden unsichtbar in die Rückseite der Wandelemente hineingefräst. Ein weiteres, wesentliches Merkmal des Elementaufbaus ist dem jahreszeitlich bedingten Arbeiten des Holzes geschuldet: eine Dehnungsfuge für die wechselnde Luftfeuchte, die dem massivhölzernen Elementverbund von Wänden und Decken den Spielraum beim natürlichen Schwund 90° zur Faser gibt, den es benötigt, ohne dabei die Grundform zu verändern.

Die Gesamtphilosophie des luftdichten Massivholz-Bausystems wird komplettiert durch die stehende Ausrichtung der Bohlen im Wandaufbau, die dem gewachsenen Baum im Wald Rechnung trägt: der Kronenbereich ist oben, der Wurzelbereich ist unten angesiedelt. Dadurch kann das System sehr hohe Vertikallasten aufnehmen und in die Kon­struktion ableiten, was setzungsfreie, mehrgeschossige Massivholzbauwerke ermöglicht.

Erschließungskern aus Stahlbeton, Aufzugsschacht aus Holz

Die Gründung des 10,75 m hohen (Attika) Dreigeschossers auf einem quadratischen Grundriss von 20 m x 20 m erfolgte zweigeteilt.

Dem unterkellerten Bereich liegt eine 40 cm dicke Stahlbeton-Bodenplatte zu Grunde, die mit einer druckfesten und feuchtigkeitsresistenten Perimeterdämmung aus XPS-Hartschaumplatten gegen das Erdreich isoliert wurde. Der kellerfreie Bereich wurde auf einem Streifenfundament gegründet, wobei man den Übergang mittels einer Abtreppung aus Magerbeton ausführte. Das Kellergeschoss beherbergt die Räume für die Haus- und Heizungstechnik sowie die Abstellräume der Bewohner. Während der mittig platzierte Erschließungskern, der die Gesamtkonstruktion aussteift und die Horizontallasten des Holzbaus in die Fundamente abträgt, mit Treppenhaus, Läufen und Podesten aus statischen, akustischen und brandschutztechnischen Gründen mit 25 cm dicken Wänden aus Stahlbeton errichtet wurde, hat man den Aufzugsschacht aus 18 cm dicken Massivholzelementen erstellt.

Millimetergenaue Vorfertigung und just-in-time Montage

Die Gebäudehülle besteht aus 72, werkseitig vorgefertigten Massivholz-Wandelementen aus Fichtenholz, die just-in-time auf die Baustelle geliefert und sofort montiert wurden. Dabei trägt die sich selbst tragende Fassade die Vertikallasten aus den Brettstapeldecken ebenso ab wie die der Stahlunterzüge, die auf der Massivholzaußenwand gelagert sind. Der Wandaufbau basiert auf drei je 6 cm starken Bohlen mit innenseitig gehobelter Sichtqualität in einer Wandstärke von 180 mm. Da die luftdichte Ebene bereits im massivhölzernen Wandsystem inkludiert ist, folgt außenseitig direkt die Dämmebene aus Holzfaserplatten von 160 mm mit darauf platzierter Fassadenbahn. Im Anschluss wurde eine Konter- und Traglattung mit einer Hinterlüftungsebene von 40 mm aufgeschraubt, die der Montage der abschließenden Fassadenschalung aus witterungsresistenten Lärchenholzlamellen von 20 mm dient. Eine ebenso einfache wie schadstofffrei aufgebaute, hochdämmende und diffusionsoffene Gebäudehülle. Die nicht tragenden Innenwände bestehen aus einer gedämmten Metallständerkonstruktion, die beidseitig mit doppelten Gipskartonplatten von 2 x 12,5 mm beplankt wurden und zugleich den massivhölzernen Charakter der Wohnungen kontrastieren.↓

CO2-Speicherung anstatt CO2-Emission

Auch das abschließende, begrünte Flachdach basiert auf einer Holzkonstruktion – hier aus 14 cm dicken Brettstapelelementen. Darauf folgt eine Dampfsperre nebst EPS-Gefälledämmung, abgedichtet mit einer wurzelfesten Bitumenbahn von 1 mm. Obenauf verlegte man eine Drainageschicht mit Vlies von 3 mm, worauf das Pflanzsubstrat (Kräuter + Sedum) von 70 mm aufgebracht wurde. Brandschutztechnisch fällt der Holzbau, der feuerhemmend ausgeführt wurde, in die Gebäudeklasse 3, da die Höhe des Fußbodens des obersten Aufenthaltsraumes unterhalb von 7 m über der Geländeoberfläche liegt. Der Stahlbeton-Erschließungskern mit den Fluchttreppen fällt in die Baustoffklasse A nicht brennbarer Baustoffe. Die Versorgung mit Heizenergie des mit einer 3-Scheiben-Isolierverglasung ausgestatteten, massiven Holzbaus wird über einen Fernwärmeanschluss sichergestellt. Die Übertragung der Wärme erfolgt über eine Fußbodenheizung, die mit einer Vorlauftemperatur von ca. 35 Grad Celsius angefahren wird.

Beim Bau des Holzhauses am Waldpark wurden rund 480 m³ an massivem Holz verarbeitet. Dies entspricht einem Kohlenstoffanteil, aus dem Holz zu 50 % besteht, von umgerechnet ca. 125 t, woraus eine CO₂-Speicherung von über 440 t resultiert. Nicht nur deshalb wurde dem Holzhaus am Waldpark der Potsdamer Klimapreis 2018 verliehen, zumal vergleichbare Ziegel- oder Betonbauten eine erhebliche, das Klima belastende CO₂-Emission ausweisen. Diese resultiert aus der Herstellung der Baumaterialien und wird gemeinhin als ‚graue Energie‘ bezeichnet.

In Baugemeinschaften übernehmen die einzelnen Bauparteien Verantwortung in dem sie zu Unternehmern ihrer selbst werden.

Die Gebäudehülle besteht aus 72, werkseitig vorgefertigten Massivholz-Wandelementen aus Fichtenholz.

Rahmendaten


Bauherr: Planungsgemeinschaft Herrmann-Kasack-Straße Haus 3 GbR

Architektur: Scharabi Architekten, 10119 Berlin, www.scharabi.de

Projektentwicklung: Scharabi Architekten/ Winfried Härtel Projektentwicklung, 10999 Berlin, www.winfriedhaertel.de

Holzbau Werkplanung, Montage: Haselmeier Holzbau GmbH, 78597 Irndorf,
www.holzbau-haselmeier.de

Vorfertigung Massivholzelemente: Holzius GmbH, I-39026 (BZ) Prad am Stilfserjoch/ Südtirol, www.holzius.com

Tragwerksplanung: ifb frohloff staffa kühl ecker, 12161 Berlin, www.ifb-berlin.de

Wärmeschutznachweis: Dipl.-Ing. Ingo Andernach - freier Architekt, 14052 Berlin

Brandschutz: Eberl-Pacan Gesellschaft von Architekten mbH, 10719 Berlin,
www.eberl-pacan.de

Kennzahlen

KfW Energieeffizienzhaus 55
(gem. EnEV 2016)

Jährlicher Primärenergiebedarf kWh/(m²a): 29,80 (47,5 % besser als zulässig)

Jährlicher Endenergiebedarf kWh/(m²a): 76,7

Bruttogeschossfläche (BGF): 1.200 m²

Fertigstellung: Oktober 2018

Baukosten (KG 300 und 400):
2 Mio. Euro brutto
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