Schadstoff- und emissionsarm bauen
In einer Serie mit dem BMUB präsentieren wir Projekte aus der Bauforschung. In Teil 27 geht es um eine sogenannte ökologische Baustoffwahl.
Was sind schadstoffarme Bauprodukte und woran erkennt man sie? Welche Baustoffe und Bauprodukte sind hinsichtlich ihrer Umweltwirkungen problematisch und wie geht man am besten mit ihnen um? Antworten auf diese Fragen bietet eine neue Broschüre des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Sie liefert Grundlagen und Praxisbeispiele für das ökologische Bauen. Planer, Architekten und Bauherren erhalten Handlungsempfehlungen, deren Ganzheitlichkeit weiterer Entwicklung bedarf und in der Broschüre diskutiert wird.
Bestimmte Stoffgruppen sorgen immer wieder für Unsicherheit bei Planern und Bauherren. Dazu zählen besonders besorgniserregende Stoffe, Formaldehyd sowie Biozide. Ihr Einsatz ist in Baustoffen bekanntlich zulässig, ihre problematische Wirkung auf Mensch und Umwelt allerdings oft unbekannt.
Zusätzlich unterliegt der Bauproduktmarkt unterliegt einem permanenten Wandel. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswirkungen bestimmter Stoffe und somit deren Verwendung in Bauprodukterezepturen führen immer wieder dazu, dass bewährte Baustoffe neu klassifiziert oder sogar vom Markt genommen werden. Umso wichtiger ist es, das Gefahrenpotenzial von Baustoffen bzw. Bauprodukten zu erkennen und einschätzen zu können, da sie oft großflächig bzw. in hohen Stückzahlen verbaut werden.
Fortschrittliche Bauherren setzen auf eine nachhaltige, umweltgerechte, schadstoffarme Baustoffwahl. Doch für die meisten Planer sind Vorgaben und Vorgehen unbekannt, um das ökologische Bauen strategisch und ganzheitlich umsetzen zu können. Für sie liegen die Herausforderungen darin, aus der Fülle an Baustoffwissen die passfähigen Werkzeuge und Produkte auszuwählen sowie mit allen Baubeteiligten an einem ‚umwelt- bzw. klimagerechten Strang‘ zu ziehen.
Werdegang des schadstoffarmen Bauens
Seit den 1980er Jahren hat sich viel getan: Mit der Entwicklung eines kritischen Bewusstseins für die gesundheitlichen Auswirkungen von Baustoffen gingen Verwendungsverbote, Grenzwertvorgaben bzw. der Austausch von problematischen Stoffen einher (siehe Infobox). Weiterhin wurden Rezepturen angepasst sowie Fachinformationen aufbereitet, um das Verwenden und Verarbeiten von Produkten zu regeln. Aktuell liegen ein umfangreiches Baustoffwissen sowie zahlreiche Umsetzungshilfen vor. Allerdings bedarf es inzwischen Expertenwissen, um der Komplexität des schadstoffarmen respektive ökologischen Bauens zu begegnen.
WECOBIS als umfassendes Werkzeug
Um die Lücke des Handelns zu schließen erarbeitet der Bund im Rahmen der Forschungsinitiative Zukunft Bau das ganzheitliche Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesbauten (BNB). Hierin finden sich einzelne sogenannte Kriteriensteckbriefe mit Bezug zu Baustoffthemen. Neben globalen Aspekten der baustoff- und ressourcenbezogenen Fragestellungen sind es vor allem zwei Steckbriefe, die sich mit Baustoffen und deren lokalen Umwelt- und Gesundheitsaspekten beschäftigen (Emission, Diffusion oder Abrieb im unmittelbaren Gebäudeumfeld):
Entsprechend dieser Fragestellungen sind allgemeingültige Informationen für jedermann kostenfrei im Baustoffinformationssystem WECOBIS zugänglich und entsprechend erläutert. Ebenso sind für die lokalen Umwelt- und Gesundheitsaspekte konkrete Planungsparameter und Ausschreibungstexte zu finden.
WECOBIS ist somit mehr als ein Planungswerkzeug zur Umsetzung des BNB. Es ist ein Webportal mit Baustoffinformationen für gesundes und umweltgerechtes Bauen, welches die Planung und Ausschreibung mit umfassenden produktneutralen Informationen zu Inhaltsstoffen, problematischen Emissionen, rechtlichen Anforderungen und Produktkennzeichnungen sowie materialökologischen Anforderungen unterstützt. Die Umwelt und Gesundheitsaspekte sind entlang der Lebenszyklusphasen gegliedert. Zusammen mit den zusätzlichen Informationen zu Planung, Ausschreibung, Zeichen & Deklarationen oder den BNB-Anforderungen, unterstützt WECOBIS dadurch die
Auszüge aus der Broschüre am Beispiel Flammschutzmittel
Hinter den Abkürzungen HBCD (Hexabromcyclododecan), TCEP (Tris(2-carboxyethyl)phosphin), DecaBDE (Decabromdiphenylether), SCCP (Kurzkettige Chlorparaffine) oder Boraten stecken Flammschutzmittel (FSM) mit durchaus besorgniserregenden Eigenschaften. Ihr Einsatz ist in alltäglichen Konsumgütern zu finden. Allerdings stellen Baumaterialien das größte Anwendungsgebiet dar, hier insbesondere Dämmstoffe. Der Fall HBCD zeigt, dass sich zwischen Einsatzverbot seit Mitte 2015 und zweijähriger Übergangsfrist noch Restbestände am Markt befinden und das bewusste Vermeiden nur durch Kenntnis erfolgen kann.
Dr. Caroline Thurner und Hildegund Mötzl resümieren: „Für den Anwender ist es letztendlich unwichtig, aus welchen Produkten die Flammschutzmittel stammen, für ihn zählt die Gesamtexposition. Viele Flammschutzmittel sind gesundheitlich und/oder ökologisch bedenklich. Studien belegen, dass vor allem halogenierte Kohlenwasserstoffe inzwischen alle Umweltkompartimente durchdringen und im Hausstaub, im menschlichen Blutserum und sogar in der Muttermilch in steigenden Konzentrationen zu finden sind.“
Geübte Anwender können SVHC (besonders besorgniserregende Stoffe) anhand von Produktinformationen wie bspw. den Sicherheitsdatenblättern erkennen. Allerdings braucht es hierfür – nach Herrn König und Herrn Neubrand – allerhand Erfahrung und Wissen, wie diese Informationen zu beschaffen sind, wie sie gelesen werden können und wie sie in Planungswissen transferiert werden müssen. (…) Weiteres zu Flammschutzmittel hält der untenstehende Literaturhinweis bereit oder ist in einem Fachartikel auf der Webseite www. WECOBIS.de zu finden.
Ausblick
Wie auf Ebene der Normung dem Wunsch nach mehr Transparenz und Mindeststandards begegnet werden kann ist noch nicht gelöst. Ebenso ist unklar, wie Deutschland durch den Wegfall des Ü-Zeichens die vielfältigen Umwelt- und Gesundheitsaspekte adäquat berücksichtigen möchte. Aktuelle Informationen hierzu finden Sie auf der Webseite des DIBt.
Robert Kellner und Petra Wurmer-Weiß fassen die künftigen Planeraufgaben zusammen: „(…) Grundsätzlich werden überdurchschnittliche und höhere Anforderungen an gesundheits- und umweltrelevante Aspekte der Baumaterialien auch einen höheren Aufwand an Planung mit sich bringen. Es besteht zusätzlicher Abstimmungsbedarf mit den anderen Planungsbeteiligten, es sind weitergehende Recherchen zur Verfügbarkeit geeigneter Produkte notwendig, Details müssen materialökologisch optimierten Baustoffen angepasst, die zusätzlichen Anforderungen rechtssicher in Bauverträge verankert und Anforderung und Qualität bei der Bauausführung überwacht und umfassend dokumentiert werden. In Abhängigkeit vom Anforderungsniveau werden zusätzliche Fachberater notwendig und müssen frühzeitig in den Planungsprozess integriert werden.“
Wencke Haferkorn, Stefan Haas, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)