Urbane Akupunktur
Das neue Kulturhaus in Quierschied und sein Umfeld könnte zum Modell für andere Orte im Saarland werden. Im Gespräch erläutern die Planungs-Beteiligten, wie Fördermittel sinnvoll genutzt werden können, um einer ehemaligen Bergarbeiter-Gemeinde mit einem welkenden Ortskern einen neuen architektonischen Glanzpunkt zu geben.
Der Gemeinde Quierschied mit 13.000 Einwohnern kam mit der Schließung der Kohlegrube im Jahr 2000 ihre ökonomische Grundlage abhanden. Dem Ortszentrum ist anzusehen, wie die Gemeinde verwelkte.
Mit dem neuen Kultursaal, entworfen von Hepp + Zenner Architekten, wurde erfolgreich Städtebau betrieben. Der „Q.Lisse“ genannte Neubau steht nicht eitel auf dem Marktplatz, sondern rahmt ihn so geschickt, dass eine visuelle Korrespondenz zur Kirche Maria Himmelfahrt entsteht.
Die Fassaden aus Muschelkalk und die gebrochene Dachform sind von der Kirche abgeleitet. Der Knick in beiden Längsseiten ist kalkuliert und sinnvoll, weil so das Gebäude weniger massiv wirkt und im Zentrum seine größte Raumtiefe hat. Das abschüssige Grundstück am Rathausplatz erlaubt Eingänge auf zwei Ebenen und zwei Seiten. Der Haupteingang liegt auf der oberen Ebene. Auf der unteren Ebene schaut eine Sparkassenfiliale auf den Marktplatz.
Zum gelungenen Beispiel von „urbaner Akupunktur“ macht den Kulturbau die kluge Verbindung zum Außenraum. Die Q.Lisse nutzt die kongeniale Gestaltung des Vorplatzes. Die Außenanlagen wurden vom Büro HDK Dutt & Kist gestaltet und fügen Gebäude und Freifläche zu einer Einheit zusammen. Sie markieren eine neue Ortsmitte. Diese Lösung wurde im Wettbewerb mit dem 1. Preis ausgezeichnet.
Grundidee ist die Arrondierung der Freiraum-Achse zur neuen Adresse, die als „Haus der Kultur“ das Ensemble aus Rathaus und Kirche ergänzt. Die Freifläche dient als Marktplatz, für Feste und Veranstaltungen, als Rathausumfeld und Kirchenvorplatz. Neben der Hauptbewegungsachse gibt es eine barrierefreie Erschließung über Rampen. Die Topographie wird über Terrassen inszeniert. Neubau und Platzgestaltung sind ein „Impuls zur Belebung der Innenstadt“. Die Kubatur des Gebäudes ist so kalkuliert, dass attraktive Blicke auf Quierschied entstehen. Der teilbare Saal für Musik- und Theateraufführungen lebt vom Tageslicht, das durch raumhohe Fenster fällt. Er bietet bestuhlt 300 Personen Platz.
Das Haus mit Küche und Trennwand kann unterschiedlich genutzt werden. Dachüberstände garantieren Witterungsschutz an den Eingängen und formulieren Entrées. Über das zweigeschossige Foyer gelangen Besucher in den Saal. Ein separater Eingang ermöglicht den Zugang zur Bühne. Ein „robustes Haus, das jeden Tag und von jedem Bürger genutzt werden kann“. Dass auch in der Provinz qualitätvolle Kulturhäuser gebaut werden ist ein Beispiel dafür, wie mit geringem Aufwand ein Gebäude gebaut werden kann, dass auf seine Umgebung ausstrahlt –auch in der Stadtgestaltung können kleine Interventionen einen größeren Kontext positiv beeinflussen.
Es gibt im Saarland viele kleine und mittlere Städte, die von diesem Ansatz profitieren könnten. Ein Gebäude fasst den Platz räumlich und lädt ihn auf. Ein Stadtraum wurde komponiert und der Solitär in den Dienst einer Gesamtwirkung gestellt.
Im Rathaus Quierschied sprach Ulf Meyer, Freier Autor und Journalist im Bereich Architektur und Urbanes Design in Berlin, mit Referatsleiter Klaus Müller-Zick (Ministerium für Inneres, Bauen und Sport Referat Stadtentwicklung, Städtebauförderung, EU-Fonds), Bürgermeister Lutz Maurer, Landschaftsarchitekt Luca Kist und Architekt Thomas Hepp.
Was ist planerische und rechtliche Grundlage für Förderung von Kulturhäusern wie der „Q.Lisse“?
Auf der Grundlage des Gekos wurde dann ein „Teilräumliches Entwicklungskonzept (Teko)“ erarbeitet, in dem Projekte zur Neugestaltung des Ortskerns konkretisiert wurden. Dazu gehört eine Maßnahmen-, Kosten- und Finanzierungsübersicht. Im Rahmen der Städtebauförderung wird immer ein abgegrenztes Gebiet gefördert, die „Städtebauliche Gesamtmaßnahme“. Wir nehmen das Projekt dann in das Förderungsprogramm auf, oft für Zeiträume von zehn, zwölf und mehr Jahren.
Auf welcher rechtlichen Grundlage werden Fördergelder bereitgestellt?
Klaus Müller-Zick: Bund und Länder schließen jährlich eine Verwaltungsvereinbarung „Städtebauförderung“. Darin stellt der Bund den Ländern Bundesfinanzhilfen bereit. Es gibt sieben Städtebauförder-Programme in Deutschland und für jedes einen bestimmten Betrag nach einem programm-spezifischen Verteilungsschlüssel, insgesamt 9,2 Mio € jährlich in den letzten Jahren für das Saarland. Das Land gibt denselben Betrag dazu und auch die Gemeinden. Bund, Land und Gemeinde also zahlen je ein Drittel. Fast alle Gemeinden im Saarland haben eine schwierige Haushaltslage, auch Quierschied. Zusätzlich gibt es Fördermittel aus dem EFRE, dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung 2014-2020, Quierschied hat aus beiden Förderprogrammen Gelder erhalten, nur so war die Maßnahme zu finanzieren. Daher gab es 83% Fördermittel für Quierschied, aber nur für die Außenanlagen.
Hochbau wird nicht gefördert?
Klaus Müller-Zick: Doch, Hochbau auf brachgefallenen Flächen, auch der Rückbau, ist förderfähig. In Quierschied war das Rathaus bei einem Hochwasser zerstört worden und deshalb gab es Mittel für den Rückbau und die Flächengestaltung.
Wir haben die Gemeinde beraten, welches Förderprogramm am besten für sie geeignet ist. In diesem Fall das Programm „Kleinere Städte und Gemeinden“. Dieses Programm soll den Gemeinden helfen, ihre Probleme im Gefolge der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen zu lösen. Mit wenigen Ausnahmen schrumpfen alle saarländischen Gemeinden nach Anzahl der Haushalte, auch Quierschied. Trotz Flüchtlingszuzug sind Wanderungs- und Geburtensaldo negativ. Die Alterspyramide steht auf dem Kopf.
Allerdings wird in Saarbrücken bald ein neues Helmholtz-Institut für IT-Sicherheit auf dem Uni-Campus gebaut und Quierschied liegt nahe an den 800-1000 neuen Arbeitsplätzen und könnte als attraktiver Wohnstandort davon profitieren. Aber das ist Zukunftsmusik.
Ist Quierschied typisch? Gibt es noch viele weitere Ex-Bergbau-Gemeinden im Saarland? Fördern sie mit der Gießkanne oder nehmen Quierschied als Exempel?
Lutz Maurer: Es gibt drei ehemalige Bergbaustandorte im Saarland, die plötzlich große Brachen im Ort hatten und einen Kaufkraftverlust erleiden. Quierschied ist durchaus exemplarisch.
Klaus Müller-Zick: Aber in der anderen Bergbaugemeinde Ensdorf wurde die Grube 2012 geschlossen. Dort liegt die Anlage aber am Ortsrand. In Schiffweiler ist die Grube schon lange geschlossen und es geht dort um städtebaulichen Denkmalschutz zur Erhaltung und Wiedernutzung einer der ältesten Grubenanlagen im Saarland. Nur in Quierschied geht es um ein Projekt im Ortskern.
Lutz Maurer: Hier war der Druck besonders groß nach dem Hochwasserschaden von 2009, bei dem das Rathaus und der Kultursaal stark beschädigt wurden. Das Rathaus ist in ein ehemaliges Bankgebäude gezogen, aber der Kultursaal fehlte seither.
Muss der Bürgermeister wissen, welche Programme es gibt oder beraten Sie ihn?
Lutz Maurer: Die Übersicht zu behalten ist nicht leicht, aber wir tauschen uns natürlich sehr eng unter den Bürgermeistern aus. Unser Bauamt wäre auch zu klein für die eigenständige Bearbeitung aller Förderprogramme. Wir sind ein kleines Bundesland und die Bürgermeister treffen sich regelmäßig zum Austausch.
Klaus Müller-Zick: Es gibt seit 1999 auch einen offiziellen Erfahrungsaustausch unter den 52 Gemeinden, speziell den geförderten. Eine Agentur organisiert diese Treffen und Seminare mit bestimmten Themen. Die Gemeinde Quierschied ist sehr aktiv und rege, auch der Bürgermeister. Leider beteiligen sich nicht alle Gemeinden aktiv im Erfahrungsaustausch.
Lutz Maurer: Heute kommen Gemeinden zu uns und wollen im zweiten Schritt unserem Vorbild folgen.
Sie haben das Projekt von ihrer Amtsvorgängerin geerbt.
Lutz Maurer: Ich bin seit 2016 im Amt, aber 2012 waren bereits erste Entscheidungen getroffen. Die betreffenden Förderprogramme waren schon definiert. Ich habe den Part der Ausschreibung und der Realisierung der Bauprojekte übernommen.
Klaus Müller-Zick: Die Gemeinde hat 5,2 Mio. eingesetzt, auch für andere Projekte wie die Grünfläche Eisengraben. Wir fördern auch die private Modernisierung, u.a. Fassadensanierungen. Wir setzen da auf Multiplikatoren also Investoren, die mit gutem Beispiel bei ihren Modernisierungsmaßnahmen vorangehen und damit einen Domino-Effekt auslösen können.
Die Teilnahme in einem Förderprogramm schließt nicht die Teilnahme in einem anderen aus?
Klaus Müller-Zick: Sie dürfen nicht übereinanderliegen.
Lutz Maurer: Es gibt viele Förderprogramme und wir haben Schwierigkeiten alle umzusetzen, speziell Handwerker sind derzeit gut ausgelastet. Aber man darf auch klar herausstellen, dass die Kommunen auf diese Fördermittel angewiesen sind.
Klaus Müller-Zick: Die Vergabevorschriften z.B. sind sehr streng geworden und auch das Beihilferecht. D.h. für alle Beteiligten entsteht ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand beim Einsatz von Fördermitteln. So werden Stadtplaner zu Verwaltern.
Luca Kist: Das wäre ein Gespräch wert!
Lutz Maurer: Es gibt viele Förderprogramme und als Gemeinde muss man Prioritäten setzen, welcher Bedarf am dringendsten ist und wo die Förderung am attraktivsten ist.
Klaus Müller-Zick: Ab diesem Jahr werden die Förderprogramme wegen der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage gestellt. Die Vielzahl der Städtebauförderprogramme soll dann reduziert werden, ohne die Fördertatbestände einzuschränken. Damit soll auch ein Bürokratieabbau erreicht werden.
Was würden Sie sich wünschen?
Lutz Maurer: Die Bearbeitung bindet viele Mittel und sehr oft fließen die Fördermittel erst, nachdem die Gemeinden bereits in Vorleistung gehen mussten. Da kann es natürlich Engpässe geben.
Thomas Hepp: Auf der Gemeinde-Ebene sind die Wege kürzer, aber auf Landesebene dauern die Abläufe. Zwischendurch benötigt man neue Ratsbeschlüsse.
Klaus Müller-Zick: Ja, das liegt daran, dass wir uns mit der EU, dem Bund und der Gemeinde abstimmen müssen.
Würde das Gebäude anders aussehen, wenn es nicht gefördert worden wäre?
Thomas Hepp: Das Gebäude ist eingepasst in den städtebaulichen Rahmen. Das Programm hat dazu angeregt, so zu denken. Der Hochbau erwächst aus dem Städtebau.
Luca Kist: Wir gehen bei der Planung nicht allein vom Förderziel des Programmes aus, sondern vom Bedarf des Bauherrn und seiner Nutzer in der „Phase 0“. Top-Down-Planungen kann es nicht mehr geben. Bürgerbeteiligung und -information sind uns stattdessen wichtig. Das macht das Projekt für uns vorbildlich. Die Gemeinden müssen aufhören, in Legislaturperioden zu denken.
War es Glück, dass hier die gestalterischen ebenso wie die politischen Ziele erreicht wurden?
Klaus Müller-Zick: Man kann dieses Glück befördern. Gemeinsam kann man viel erreichen. Hier geht es um den Neubau der Q.Lisse, die Neugestaltung des Umfeldes sowie weitere Maßnahmen zur Stärkung der Funktionsvielfalt des Ortszentrums. Es wurde beispielsweise auch ein neuer Supermarkt im Ortszentrum gebaut, damit man fußläufig in der Gemeinde einkaufen kann.
Auch die Bildungseinrichtungen sind im Zentrum. Quierschied wird dem Programm-Anspruch, die „Daseins-Vorsorge“ für die Zukunft fit zu machen, gerecht!
Luca Kist: Das Verfahren war ganz anders als anderswo. Es wurde auf Initiative der Stadt ein Ideen-Wettbewerb veranstaltet. Die Fördermittelvergabe wäre auch ohne Wettbewerb möglich gewesen.
Thomas Hepp: Es gab eine Fachjury, die städtebauliche Kompetenz hat. Das war der richtige Weg.
Klaus Müller-Zick: Die Bevölkerung muss auch mitgenommen werden, um zu tragen, was die Fachjury entscheidet. Wir haben ein Modell bauen lassen, damit auch Bürger sich das Projekt gut vorstellen können.
Lutz Maurer: Als das Gebäude halbfertig war, haben wir einen Tag der offenen Baustelle veranstaltet und danach war die Akzeptanz viel besser, weil man sich das Projekt deutlich besser vorstellen konnte.
Luca Kist: Wir sollten mit unserer Baukultur viel selbstbewusster umgehen! Auch Projekte mit kleinen Budgets werden wertgeschätzt. Wir verhalten uns im Saarland manchmal wie in einem gallischen Dorf.
Lutz Maurer: Wir hatten einen Generalübernehmer, der sich auch freut, wenn sein Projekt mit eingehaltenem Zeit- und Budgetrahmen Aufmerksamkeit bekommt. Der Neubau ist ein Alleinstellungsmerkmal für uns und zieht Gäste von weit her an. Wir haben auch viele eintrittskarten-pflichtige Veranstaltungen, so dass das Haus einen Teil seines Budgets selber einspielen kann. Die Halle ist darüber hinaus auch nicht überdimensioniert und für vielfältige Veranstaltungen geeignet.
Wie stark ist die örtliche Wertschöpfung?
Lutz Maurer: Wir haben einen saarländischen Generalübernehmer, der klare Vorgaben hatte, möglichst viele ortsansässige Unternehmen einzusetzen. Beim Ausbau kamen örtliche Firmen zum Zuge.
Luca Kist: Die Gemeinde Quierschied hatte die Möglichkeit, aus mehreren Schwerpunkten auszuwählen. Hier hat man sich für eine neue Identität in der Ortsmitte entschieden und kein Gewerbegebiet am Ortsrand. Der öffentliche Raum wird für Städte immer wichtiger. Dem Aussterben von Ortskernen können wir nur durch geeignete Gestaltung begegnen. Mehrere Mosaiksteine ergeben dann ein Gesamtbild.
Kann eine Gemeinde gleich im Anschluss den nächsten Förderantrag stellen oder ist sie dann erstmal „fertig“?
Klaus Müller-Zick: Möglich wäre das, jedoch man muss auch die Kapazitäten der Gemeinde(n) bedenken. Man sollte die Bauverwaltung nicht überfordern. Wir fördern die interkommunale Zusammenarbeit, damit zwei oder drei zusammengeschlossene Bauämter mehr schaffen können. Wir hatten 1974 eine Gemeinde-Gebietsreform. Es kommt aber bereits zur Konkurrenz zwischen den Gemeindeteilen und Bürgermeister und Räte müssen gerecht agieren.
Wenn ein Bürgermeister alert ist, bekommt er eine Förderung und wenn er schläfrig ist, „weckt“ ihn niemand.
Lutz Maurer: Möglich wäre, dass zwei Gemeinden ein Gebäude wie die Q.Lisse gemeinsam managen. Darin steckt eine Menge Potential! Im ersten Jahr testen wir momentan die Auslastung durch die örtlichen Vereine und das kulturelle Programmangebot. Sollten Lücken bleiben, können wir in der Zukunft die Halle auch professioneller und „kommerzieller“ bespielen. Sinnvoll wäre auch eine Koordination mit Nachbargemeinden.
Wissen alle Bürgermeister, dass es das Phänomen Städtebauförderung gibt? Haben Sie Verständnis dafür?
Klaus Müller-Zick: In 90 % der Fälle ja. Es gibt weiße Flecken, aber bei einem Amtswechsel wird das Interesse wieder geweckt.
Das Interesse an Architektur scheint mir – im Vergleich zu unseren Nachbarn Dänemark, Niederlande, Schweiz oder Österreich – bei Politikern unterentwickelt zu sein.
Klaus Müller-Zick: Das Interesse geht in Wellen in Deutschland. Aber das umweltfreundliche Bauen und der Wohnungsbau sind Themen, die auch Politiker interessieren.