„Spinelli FreiRaumLab“

Ein Übungsraum für die offene Gesellschaft

An der Schnittstelle zwischen einem ehemaligen US-Militärgelände und dem Mannheimer Stadtteil Käfertal arbeitet das Netzwerk „Spinelli FreiRaumLab“ in einem experimentellen Prozess daran, ein soziales und grünes Zentrum zu entwickeln. Hierbei werden neue Wege der Kooperation gegangen und Räume nachbarschaftlich, flexibel und institutionsübergreifend nutzbar gemacht.

Konversion in Mannheim und der Grünzug Nordost

Durch den Abzug der US-Garnison im Jahr 2015 wurde in Mannheim eine Fläche frei, die damals rund 3,5 Prozent der gesamten Gemarkungsfläche der Stadt entsprach. Zur Koordination des Gesamtprozesses wurde die Projektgruppe Konversion eingerichtet, die die Planungen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung vorbereitete und begleitet.

Eines der Areale ist das Gelände der ehemaligen Spinelli Barracks im Stadtteil Käfertal: Mit dem neuen Quartier Spinelli und der BUGA23 – deren Fläche im Oktober 2023 zum öffentlichen Park wurde – entwickelt die Stadt Mannheim ein Areal mit hohem ökologischem und sozialem Anspruch. Die Bundesgartenschau schloss die Entwicklung des Grünzugs Nordost durch die Stadt ab.

Zwischenstadt und Neubauquartier

Käfertal ist durch die Konversionsmaßnahmen der am stärksten wachsende Stadtteil Deutschlands. 2020 hatte er knapp 27.000 Einwohner:innen. Mit Franklin und Spinelli werden hier gleich zwei neue Quartiere entwickelt, die zukünftig rund 15.000 neuen Bewohner:innen unterschiedlicher Alters- und Bevölkerungsgruppen – von Studierenden über junge Familien bis zu Senior:innen – Wohnraum bieten.

Käfertal-Süd, direkt am ehemaligen Militärgelände gelegen und auf der anderen Seite durch die B38 vom historischen Ortskern abgetrennt, bildete bislang eine klassische Zwischenstadt ohne Zentrum. Die Entwicklung von Spinelli macht es nun wirtschaftlich, fußläufig erreichbare Läden anzusiedeln, eine Straßenbahnanbindung zu planen und Schulen zu bauen – Aspekte, die ein lebendiges Quartier ausmachen. Im Zuge der Konversion soll auch die trennende Bundesstraße langfristig rückgebaut werden.

Zentrum zwischen Alt und Neu

Schon im Rahmenplan Spinelli, den der Gemeinderat der Stadt Mannheim im Jahr 2018 bestätigte, wurden Strategien für das neue Quartier definiert, die weit über die gängigen Standards hinausgingen. Unter dem Label einer „echten“ Nachhaltigkeit formulierten die Verfasser:innen Ziele, die einer multicodierten, experimentellen, sozial-integrativen und ressourcengerechten Herangehensweise entsprachen. In Werkstätten wurden mit vielen Akteur:innen ambitionierte Ziele definiert. Ein Ergebnis der gemeinschaftlichen Arbeit war auch die Erkenntnis, dass die Schnittstelle zwischen Käfertal-Süd und Spinelli ein Ort ist, der vielfältige städtische Herausforderungen vereint.

Hier begegnen sich ganz unterschiedliche städtische Akteur:innen und räumliche Situationen: die katholische Kirchengemeinde Maria Magdalena mit der St.-Hildegard-Kirche, die evangelische Gemeinde Käfertal und im Rott mit der Philippuskirche, der TV 1880 Käfertal mit seinen Sportanlagen und dem Vereinsheim, die Bezirkssportanlage und der Caritas-Verband Mannheim mit dem Joseph-Bauer-Haus und dem Franz-Völker-Haus sowie eine Grünanlage. Eine neue Grundschule und eine Kita sind gleich nebenan im Bau.

Diese stadträumliche Situation soll die Grundlage für das neue soziale und grüne Zentrum bilden, das die Nachbarschaften verbindet. Aber sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche werden von ihren Landeskirchen möglicherweise in den nächsten Jahren aufgegeben. Gleichzeitig braucht nicht nur der Sportverein mehr Platz für seine Aktivitäten, auch in der Nachbarschaft und in der Mannheimer Stadtgesellschaft besteht ein hoher Bedarf an flexibel nutzbaren Räumen. Wie vielerorts erschweren Nutzungskonflikte auf den Grünflächen und institutionelle Barrieren neue Wege.

Institutionsübergreifende Zusammenarbeit

Um gute Lösungen zu finden und die verschiedenen Konstellationen zusammenzubringen, müssen die Akteur:innen Neues wagen. Sie schlossen sich 2021 – unter fachlicher und prozessgestaltender Begleitung – als Netzwerk Spinelli FreiRaumLab zusammen, um gemeinsam an der Realisierung einer ganz spezifischen Idee zu arbeiten: dem Teilen von Wissen, Ressourcen und Räumen. Neben der katholischen Gemeinde, der evangelischen Gemeinde, dem Sportverein und dem Caritas-Verband Mannheim kamen schon früh die Wohngruppen NeighborWood, Oikos und WohnWerk sowie der Projektentwickler Anundo hinzu, die auf Spinelli gebaut haben.

Eine früh entworfene landschaftsarchitektonische Studie für die Durchwegung des Areals mit seinen zahlreichen Zäunen wurde zugunsten des offenen Prozesses zurückgestellt. FreiRaum sind nun im Sinne des Netzwerks Grün- und Erholungsflächen ebenso wie Kirchen- und Gemeinderäume, Sportflächen und Umkleiden, der Speisesaal im Pflegeheim oder die Gemeinschaftsräume der Wohngruppen. Viele von ihnen sind vielfältig nutzbare, sogenannte „weiße Räume“, die – multicodiert und unspezifisch – für die Nutzung und Aneignung aller Altersgruppen und ihrer Bedürfnisse geeignet sind.

Um institutionelle, nachbarschaftliche und organisatorische Grenzen zu überwinden, ist der Aufbau einer tragfähigen Struktur, die das Teilen der bestehenden Flächen und Räume praktisch ermöglicht, essenziell. Die größte Herausforderung ist die Begleitung der beiden Kirchen in die Zukunft ­– und das unter Zeitdruck. Denn ohne deren Gebäudeensembles fehlt ein wichtiger Baustein für das neue soziale und grüne Zentrum zwischen Alt und Neu.

Hier wird bereits ein ökumenischer Ansatz diskutiert. Doch auch dieser wäre nur für ein Gebäude eine mögliche Lösung. Eine Um- oder Weiternutzung kann nur durch konkrete Konzepte gelingen. Das Öffnen bereits bestehender Konstellationen ist dabei schwer, aber entscheidend. Im Zentrum der gemeinsamen Arbeit stehen die Fragen: Welche Flächen gibt es vor Ort, wie werden sie bisher genutzt, und auf welche Weise kann ihre Nutzung durch neue Verbindungen von Akteur:innen und Handlungen erweitert werden?

Im Laufe der Zusammenarbeit verändert sich auch die Wahrnehmung des eigenen Umfelds. Richard Link, Pastoralreferent und Frohbotschafter in der katholischen Kirchengemeinde Mannheim Maria Magdalena, formuliert das so: „Ich erhoffe mir von der Zusammenarbeit im Spinelli FreiRaumLab, dass wir als Kirchen lernen, den Blick buchstäblich über den eigenen Kirchturm hinaus zu weiten. Dass wir die Lebenswelt der Menschen um uns herum bewusster wahrnehmen und uns davon anregen lassen. Ich hoffe, dass wir uns gemeinsam fruchtbar für das Zusammenleben der Menschen im größer werdenden Stadtteil einbringen können.“

Für die weitere Zusammenarbeit ist neben dem Aufbau einer selbstverwalteten und belastbaren Organisationsstruktur und der Erprobung und Etablierung von gemeinschaftlichen Nutzungen die Erstellung eines konkreten Konzepts für die Weiter-, Neu- und Umnutzung der Räume, das entscheidende Gremien überzeugt, das wichtigste Ziel des Netzwerks. Das Aufzeigen von Alternativen kann die Verantwortlichen für die vorhandenen Raumqualitäten und Nutzungsmöglichkeiten sensibilisieren, die Identifikation mit den Bauwerken als Teil der Stadtteil-DNA fördern und so auch deren möglichen Abriss verhindern.

Um den Ressourcenverbrauch im Bausektor zu senken, spielen solch innovativen Projekte zur Nutzung vorhandener Ressourcen und Gebäude zukünftig eine wichtige Rolle. Ein wichtiger Faktor ist die intensive Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Jens Weisener, Stellvertretender Leiter der Projektgruppe Konversion, dazu: „Die Idee des Netzwerks basiert vor allem auf der intensiveren, umfänglicheren und institutionsübergreifenden Nutzung vorhandener (Frei)Raumressourcen. Gerade weil Kommunen immer wieder vor der Herausforderung der Finanzierung von Maßnahmen stehen, könnten durch eine Umorganisation vielerorts Kosten minimiert und ein attraktives Angebot geschaffen werden.“ 

Begegnungen und Diskurs

Um das Spinelli FreiRaumLab zu stützen und das Teilen von Raum, Ressourcen und Wissen zu erproben, wurde im Sommer 2022 die „Piazza Spinelli“ – ein performatives Installations- und Ausstellungsprojekt – etabliert. Mit dem gemeinsamen Bauen von Möbeln und ersten Interventionen ging es los, Vorträge und Diskussionen thematisieren den Stadtraum und aktuelle Themen, die die Beteiligten und die Nachbarschaft bewegen. Der Fokus liegt darauf, zu fragen, was Anerkennung und Qualifizierung des Bestehenden heute heißen kann. Damit trägt das Projekt auch zum Diskurs über den Umgang mit der gebauten Stadt bei.

Auf der „Piazza Spinelli“ kamen Begegnungen und Aushandlungsprozesse behutsam in Gang, so dass sich dieser Ort jetzt ein offener Treffpunkt für viele etabliert hat. Die „Piazza Spinelli“ ist sowohl Schnittstelle zwischen den gebauten Strukturen und Grünzügen als auch aktivierende Plug-in-Struktur, die zwischen lokalen Akteur:innen und dem internationalen Städtebaudiskurs vermittelt – und damit ein wichtiger Baustein des Gesamtprojekts.

Begleitende Forschung

Mit diesem für die Stadtentwicklung über Mannheim hinaus relevanten Ansatz war das Spinelli FreiRaumLab schon Gastprojekt der Internationalen Bauausstellung Heidelberg. Das Projekt wird in den Jahren 2023 und 2024 durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert. Diese Förderung ermöglicht es, die seit Projektbeginn im Jahr 2021 entwickelten Methoden und Strukturen fortzuführen und weiterzuentwickeln.

Anne Keßler, Leiterin des Referats Grundsatzangelegenheiten Stadtentwicklungspolitik, Baukultur“ im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, sagt hierzu: „Das Projekt Spinelli FreiRaumLab zeigt beeindruckend, wie städtischer Raum gemeinsam erobert werden kann und für vielfältige Zielgruppen zu einem Ort des lebendigen Zusammenlebens wird. Die Bewohner:innen des bestehenden Stadtteils Käfertal entwickeln gemeinsam einen Ort der Kooperation und setzen sich für die Zukunft ihres Quartiers ein – Baugenossenschaften, Sportverein, Kirchen und Stadtverwaltung arbeiten eng zusammen. Dieser integrierte Ansatz ist wichtig, um lebenswerte Städte zu entwickeln. Ich bin gespannt, wie sich das Netzwerk in den kommenden Monaten weiterentwickelt. Die Nationale Stadtentwicklungspolitik bietet den Rahmen, die Ansätze der Kooperation für andere Netzwerke aufzubereiten.“

Konzeptionell und in der Prozessgestaltung begleitet wird das Spinelli FreiRaumLab von der Urbanistin Sally Below. Sie war auch schon an der Entwicklung des Rahmenplans für das neue Quartier beteiligt. Ihr Büro sbca ist Projektträger für die Förderung des BMWSB. Jens Weisener von der Projektgruppe Konversion ist von Seiten der Stadt Mannheim Ansprechpartner. Das performative Installations- und Ausstellungsprojekt „Piazza Spinelli“ kuratiert Sally Below mit dem Stadttheoretiker Christopher Dell.

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