Anschluss für alle
So wird Glasfaser jetzt zum Standard der digitalen Grundversorgung.
Hat Deutschland die Digitalisierung verschlafen? Seit Corona wird dieser Vorwurf an Politik und Wirtschaft immer lauter – oft gemischt mit einer gehörigen Portion reuiger Selbsterkenntnis: Dass Deutschland die Digitalisierung im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen, der Justiz und auch der Wohnungswirtschaft jahrelang unwillig vor sich hergeschoben hat, wurde in der Krise deutlich sichtbar.
Dabei gingen die guten Nachrichten beinahe unter: Anfang April verkündete Telekom-CEO Tim Höttges ein nie dagewesenes Update für Deutschland: Der Glasfaseranschluss bis in die Wohnung soll jetzt der Standard für die digitale Grundversorgung werden – so, wie es in anderen Industrieländern schon lange der Fall ist.
Und dafür nimmt die Telekom viel Geld in die Hand: Bis 2024 sollen die Glasfaser-Ausgaben von zuletzt jährlich 1,5 auf 2,5 Mrd. Euro steigen. „Das ist eine Rieseninvestition, vielleicht die größte Investition in der Geschichte der Deutschen Telekom“, sagte Höttges seinen Aktionären. Was Höttges nicht erwähnte: Der größte Teil des Glasfasernetz ist bereits gebaut. Das erklärt, warum die Netze nicht zusammengebrochen sind, obwohl beim Ausbruch der Pandemie Millionen Deutsche schlagartig ins Home-Office wechselten und nach Feierabend wie noch nie Serien und Filme auf ihre Flachbildschirme streamten.
Bundesweit sind die Datenautobahnen der Telekom längst aus Glasfaser, oft enden die Netze schon am Verteilerkasten um die Ecke. Für die letzten Meter durch die Kupferleitungen in der Wohnung werden bisher Brückentechnologien genutzt; „Vectoring“ bei Telefon-/DSL-Netzen, „DOCSIS“ beim Koax-Fernsehkabel. Die Kupferleitungen werden nun komplett durch Glasfaser abgelöst, die Lichtsignale reichen dann ohne Unterbrechung bis in die Wohnung. Der Vorteil: Nichts ist schneller als das Licht. Die Lichtwellenleiter versprechen damit eine Kapazität, die für jetzt und auch die kommenden Generationen jeden Bedarf abdeckt – selbst, wenn sich der aktuelle Bandbreitenhunger um das Hundertfache verstärken sollte.
Telekom legt Glasfaser-Anschlüsse auf eigene Kosten und eigenes Risiko
Dennoch braucht die Telekom gute Argumente, die Wohnungswirtschaft für die Netzmodernisierung zu gewinnen. Eines der stärksten ist ausgerechnet ein Umstand, den Tim Höttges sonst gerne beklagt: Als ehemaliges Staatunternehmen wird die Telekom umfassend reguliert. Das bedeutet für den Glasfaserausbau: Die Telekom verlegt die Hausverteilnetze auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko, ohne dass die Bewohner zur Abnahme von Diensten verpflichtet werden.
Obendrein sind auch die neuen Anschlüsse anbieteroffen; die Telekom transportiert auch die Dienste von Vodafone, O2 und 1&1. Ein wesentlicher Unterschied zu den Kabelnetzbetreibern, die keine dritten Anbieter auf ihre Leitungen lassen. Es gibt keine Grundgebühr, die auf alle Mieter umgelegt werden – diese Art er Nebenkostenumlage soll auf Druck der EU in Kürze ohnehin aus dem Telekommunikationsgesetz gestrichen werden.
Der Gesetzgeber versucht, den Glasfaserausbau auch mit anderen Gesetzesinitiativen zu beschleunigen: Dazu gehört die Novelle des WEG, das Eigentümern das Recht auf einen Glasfaseranschluss garantiert – es kann weder durch den Verwalter noch durch die WEG-Versammlung ausgehebelt werden. Das entspricht der Regelung bei E-Ladeanschlüssen, wirft aber in der Praxis Fragen auf. „Wenn demnächst immer wieder Glasfaserleitungen neu verlegt werden, bringt das eine Menge Unruhe ins Haus“ erklärt Jean-Pascal Roux, Leiter des Geschäftsbereichs Wohnungswirtschaft der Telekom. „Sinnvoller ist es für Eigentümergemeinschaften, auf einen Schlag den Glasfaseranschluss für alle installieren zu lassen. Nach dem Motto ‚einmal alles richtig machen‘. So kann man auch die Leitungswege optimal planen und das Haus steht tiptop da. Neubauten sollten ohnehin auf Glas gebaut werden, alles andere wäre ja abwegig.“
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Der Glasfaseranschluss bis in die Wohnung soll jetzt der Standard für die digitale Grundversorgung werden.
Die Telekom verlegt die Hausverteilnetze auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko.