BauGB § 15 VwGO § 75, § 113 Abs. 1 Satz 4
Das Verpflichtungsbegehren eines Bauantragstellers, der gegen die Zurückstellung seines Bauantrags nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB Widerspruch eingelegt und danach Untätigkeitsklage auf Erteilung der Baugenehmigung erhoben hat, erledigt sich nicht dadurch, dass die sofortige Vollziehung des Zurückstellungsbescheides angeordnet wird.
BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 4 C 10.10 –
Aus den Gründen:
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage.
Die Klägerin betreibt auf dem Grundstück N…straße 27 im Gemeindegebiet der Beklagten einen Verbrauchermarkt. Am 3. August 2007 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung für dessen Erweiterung. Mit Bescheid vom 26. September 2007 setzte die Beklagte die Bescheidung des Bauantrags bis zum 3. August 2008 aus. Zur Begründung gab sie an, dass nach den geltenden Festsetzungen des rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. 35/3 aus dem Jahr 1971 das zur Genehmigung gestellte Vorhaben genehmigungsfähig sei und im Hinblick auf Aufstellungsbeschlüsse zur Änderung des Bebauungsplans (aus den Jahren 2000 und 2006) mit dem Ziel des Ausschlusses großflächigen zentrenrelevanten Einzelhandels die Voraussetzungen für eine Zurückstellung des Baugesuchs nach § 15 Abs. 1 BauGB vorlägen. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 4. Oktober 2007 Widerspruch. Nachdem der Bauantrag innerhalb von drei Monaten nicht beschieden worden war, hat die Klägerin am 19. November 2007 Untätigkeitsklage erhoben und den Antrag angekündigt, die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Mit Bescheid vom 22. November 2007, zugestellt am 26. November 2007, ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung des Zurückstellungsbescheides an. Den gegen den Zurückstellungsbescheid eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium mit Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2008 zurück; Klage wurde nicht erhoben. In der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung am 25. Juni 2008 hat die Klägerin ihren Verpflichtungsantrag durch den Antrag auf Feststellung ersetzt, dass die Nichterteilung der beantragten Baugenehmigung vor Eintritt des erledigenden Ereignisses rechtswidrig gewesen sei. Erledigendes Ereignis sei die Anordnung der Vollziehung des Zurückstellungsbescheides, weil sie dem Verpflichtungsbegehren den Boden entzogen habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin mit dem Antrag, unter Änderung des vorinstanzlichen Urteils festzustellen, dass die Nichterteilung der beantragten Baugenehmigung bis zum 26. November 2007 rechtswidrig gewesen sei, zurückgewiesen. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO verneint. Die Zustellung des Bescheides über die Anordnung der sofortigen Vollziehung stelle kein die Hauptsache erledigendes Ereignis dar, weil dadurch keine Änderung der Rechtslage eingetreten sei.
Die Zurückstellung eines Baugesuchs führe lediglich dazu, dass während ihres Geltungszeitraums die Pflicht der Baurechtsbehörde zur sachlichen Entscheidung über den Bauantrag entfalle. Auf die materiell-rechtliche Zulässigkeit eines zur Genehmigung gestellten Vorhabens habe sie keinen Einfluss.Gegen das Berufungsurteil hat die Klägerin die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt einen Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof habe verkannt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Zurückstellungsbescheides ihr den Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung genommen habe. Der Abweisung ihrer Verpflichtungsklage als unbegründet habe sie sich nur dadurch entziehen können, dass sie in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung den Verpflichtungsantrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt habe.
Die Revision ist unbegründet. Im Einklang mit Bundesrecht hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Zurückstellungsbescheides nicht zur Erledigung einer Untätigkeitsklage führt, die auf die Verpflichtung der Baugenehmigungsbehörde zur Erteilung einer beantragten Baugenehmigung gerichtet ist.
Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht für den Fall, dass sich der angegriffene Verwaltungsakt erledigt hat, auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die auf Anfechtungsklagen zugeschnittene Bestimmung ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf Verpflichtungsklagen entsprechend anwendbar (vgl. Urteile vom 24. Januar 1992 BVerwG 7 C 24.91 BVerwGE 89, 354 <355>, vom 29. April 1992 BVerwG 4 C 29.90 Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 19. September 2002 BVerwG 4 C 13.01 BVerwGE 117, 50 <51>) und zwar auch dann, wenn wie hier die Verpflichtungsklage als Untätigkeitsklage erhoben worden ist (Urteil vom 27. März 1998 BVerwG 4 C 14.96 BVerwGE 106, 295). Da die Fortsetzungsfeststellungsklage u.a. dem Zweck dient zu verhindern, dass ein Kläger um die „Früchte“ seiner bisherigen Prozessführung gebracht wird (vgl. Urteil vom 29. April 1992 a.a.O.), ist das Verpflichtungsbegehren erledigt, wenn es nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, wenn also das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers liegen, nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder außerhalb des Prozesses erreicht wurde oder überhaupt nicht mehr erreicht werden kann (Beschluss vom 15. August 1988 BVerwG 4 B 89.88 NVwZ 1989, 48). Letzteres ist der Fall, wenn eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zum Erlöschen eines Anspruchs führt (Urteile vom 24. Juli 1980 BVerwG 3 C 120.79 BVerwGE 60, 328 <332 f.> und vom 24. Oktober 1980 BVerwG 4 C 3.78 BVerwGE 61, 128 <134>; Beschluss vom 15. August 1988 a.a.O.; Schmidt: in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 113 Rn. 77).
Durch die Zurückstellung des Bauantrags (§ 15 BauGB) erlischt ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht. Die Zurückstellung ist ein Institut des formellen Baurechts, das es ermöglicht, ein Baugenehmigungsverfahren für einen Zeitraum bis zu 12 Monaten auszusetzen und damit vorübergehend offen zu halten (Urteil vom 10. Dezember 1971 BVerwG 4 C 32.69 BRS 24 Nr. 148 S. 224), wenn eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB nicht beschlossen worden ist, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder wenn eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten ist und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Anders als eine in Kraft befindliche Veränderungssperre berechtigt die Zurückstellung die Baugenehmigungsbehörde nicht zur Ablehnung eines Bauantrags, sondern nur dazu, die Entscheidung über den Antrag zeitlich befristet aufzuschieben (Urteil vom 16. Oktober 1987 BVerwG 4 C 35.85 BRS 47 Nr. 90 S. 236). Zwar kann der Bauantragsteller gegen die Zurückstellung Widerspruch einlegen mit der Folge, dass die Behörde wegen der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur unverzüglichen Weiterbearbeitung des Bauantrags verpflichtet ist; die Behörde kann dies jedoch verhindern, wenn sie wie hier geschehen die sofortige Vollziehung der Zurückstellung anordnet.
Solange die Pflicht der Baugenehmigungsbehörde zur Bearbeitung des Bauantrags ausgesetzt ist, ist die Feststellung, dass das Klageziel überhaupt nicht mehr erreicht werden kann, nicht möglich. Sie lässt sich erst treffen, wenn die bauplanungsrechtlichen Grundlagen des fraglichen Vorhabens in einer Weise geändert worden sind, die zur Unzulässigkeit des Vorhabens führten. In diesem Fall ist der Zurückstellungsbescheid durch einen Versagungsbescheid zu ersetzen (Rieger, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl., § 15 Rn. 12). Zwar kann die Verpflichtungsklage auch während des Schwebezustands keinen Erfolg haben (OVG Münster, Beschluss vom 26. Januar 2000 7 B 2023/99 NVwZ-RR 2001, 17; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Band 2 Stand Januar 2011, § 15 Rn. 72; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, § 15 Rn. 56; Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., Band 1 Stand Dezember 2008, § 15 Rn. 21); daraus folgt aber nicht, dass der Kläger aus Anlass der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Zurückstellungsbescheides seinen Verpflichtungsantrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umzustellen hätte, um der Abweisung der Klage als „derzeit“ unbegründet zu entgehen. Solange die Baugenehmigungsbehörde den Bauantrag nicht bearbeiten muss, liegt ein zureichender Grund dafür vor, dass die beantragte Baugenehmigung noch nicht erlassen ist, und ist das Klageverfahren nach § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen, wenn wie hier eine Untätigkeitsklage erhoben wurde und die Frist des § 75 Satz 2 VwGO abgelaufen ist. An einer inhaltlichen Entscheidung über den Verpflichtungsantrag ist das Gericht gehindert, weil die Aussetzung des Verfahrens nicht in seinem Ermessen steht, sondern zwingend geboten ist.
Die Klägerin hat den Verpflichtungsantrag zu früh durch einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ersetzt, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der Umstellung des Antrags, dem 25. Juni 2008, die Voraussetzungen des § 75 Satz 3 VwGO erfüllt waren. Wegen der Zurückstellung war die Beklagte nicht verpflichtet, den Bauantrag der Klägerin zu bescheiden, und hätte das Verwaltungsgericht das Verfahren aussetzen müssen, wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung an ihrem Verpflichtungsantrag festgehalten hätte. Von der Rechtmäßigkeit der Zurückstellung hätte das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines zureichenden Grundes schon deshalb nicht abhängig machen dürfen, weil die Zurückstellung, deren Rechtswidrigkeit die Klägerin nicht einmal behauptet hat, wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft der gerichtlichen Kontrolle entzogen war. Die Klägerin hätte sich zu einem Wechsel vom Verpflichtungs- zum Fortsetzungsfeststellungsantrag frühestens durch das Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 35/5 „Neuwiesen zwischen der B 466 und der Fils“ vom 16. Juli 2008 veranlasst sehen dürfen, mit dessen Festsetzungen ihr Bauvorhaben nicht vereinbar ist. Erst zu diesem Zeitpunkt stand die Erfolglosigkeit ihres Verpflichtungsantrags verbindlich fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.