Urteile - Genehmigung Windenergieanlagen, Frist bei gemeindlichem Einvernehmen
Genehmigung Windenergieanlagen, Frist bei gemeindlichem Einvernehmen
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3; § 36
9. BImSchV § 7 Abs. 1 Satz 3
1. Für die Rechtzeitigkeit der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der gemeindlichen Entscheidung bei der Genehmigungsbehörde an.
2. Die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB hindert die Gemeinde nicht, sich im Rahmen der Anfechtungsklage gegen die Genehmigung auf Umstände zu berufen, die erst nach Eintritt der Fiktion und vor Erteilung der Genehmigung entstanden sind und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens betreffen. Sie erstreckt sich zudem nicht auf die Rüge, das Vorhaben sei ohne die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderliche standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles genehmigt worden.
BVerwG Urteil vom 27.8.2020 - 4 C 1.19 -
Aus den Gründen:
[1] Die Klägerin, eine rheinland-pfälzische Ortsgemeinde, wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Beklagten für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage der Beigeladenen.
[8] Die Revision ist unbegründet. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor (A). Das Urteil des OVG verstößt zwar gegen revisibles Recht (B). Es stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar, sodass die Revision gemäß § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen ist (C).
[10] Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen fristgerecht versagt hat oder die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB eingetreten ist. Die Einvernehmensregelung des § 36 BauGB sichert die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinden (BVerwG, Urt. v. 19.11.1965 - 4 C 184.65 - BVerwGE 22, 342, 343; vgl. auch Beschl. v. 11.8.2008 - 4 B 25.08 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 59 S. 1 und v. 25.8.2014 - 4 B 20.14, juris Rn. 3). Eine Verletzung der Klägerin in diesem subjektiven Recht erscheint daher zumindest möglich. Das reicht aus.
[11] B. Das angefochtene Urteil verstößt gegen Bundesrecht. Zwar hat das OVG zutreffend angenommen, dass das Einvernehmen der Klägerin gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt (1.). Mit revisiblen Recht nicht im Einklang steht aber seine Auffassung zu den Folgen und der Reichweite der Einvernehmensfiktion (2.).
[12] 1. a) Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde zu entscheiden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach diesen Vorschriften entschieden wird (§ 36 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BauGB). Das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ist ein anderes Verfahren in diesem Sinne (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.3.2015 - 4 C 1.14 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 60 ; Rieger, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 36 Rn. 8).
Flächennutzungsplan, Steuerung Windenergie im Außenbereich, Bekanntmachung der Genehmigung des Flächennutzungsplans
BauGB § 6 Abs. 5, § 35 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 3, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 1
Die Bekanntmachung der Genehmigung eines Flächennutzungsplans nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB muss ihren Adressaten den räumlichen Geltungsbereich der Darstellungen hinreichend deutlich machen. Dieser Geltungsbereich ist bei Darstellungen von Flächen für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der gesamte Außenbereich der Gemeinde.
BVerwG Urteil vom 29. Oktober 2021 - 4 CN 2.19 -
Aus den Gründen:
[1] Die Antragsteller wenden sich gegen die Änderung eines Flächennutzungsplans mit der Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB.
[2] Die 29. Änderung des Flächennutzungsplans der Antragsgegnerin stellt - über bestehende Flächen für die Windenergie hinaus - drei weitere Konzentrationsflächen im Norden des Gemeindegebiets dar. Die Darstellungen sollen für den übrigen Außenbereich die Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeiführen. Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken im Außenbereich außerhalb der Konzentrationszonen, die sie für die Windenergie nutzen wollen.
[3] Die Antragsgegnerin machte die Genehmigung des Flächennutzungsplans im Jahr 2014 unter der Überschrift „Rechtswirksamkeit der 29. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt L., ‚Windenergie K.-K.-H./Konzentrationszonen für Windenergieanlagen“ bekannt und führte weiter aus: „Der Geltungsbereich der 29. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt L. ist in der nachstehenden Skizze dargestellt.“ Die Skizze zeigte als Karte einen Teil des Gemeindegebiets, nämlich die zusätzlichen Konzentrationszonen und ihre Umgebung. Um einen Fehler im Genehmigungsverfahren zu heilen, beantragte die Antragsgegnerin im Jahr 2017 erneut die Genehmigung der Änderung des Flächennutzungsplans. Die Bekanntmachung dieser Genehmigung entsprach der vorhergehenden Bekanntmachung.
[4] Auf den im Hauptantrag auf die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB beschränkten Normenkontrollantrag hat das OVG die Änderung des Flächennutzungsplans insgesamt für unwirksam erklärt. Unter anderem hat es die Bekanntmachung der Genehmigung für fehlerhaft gehalten. Darstellungen eines Flächennutzungsplans mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB seien wie Rechtsnormen zu behandeln. ...
Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan, Begründungsfrist, Umweltrechtsbehelf
VwGO § 47 Abs. 1 und 2
UmwRG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, §§ 6 und 8
UVPG § 2 Abs. 7
§ 6 UmwRG gilt nicht für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Bebauungspläne. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes sowie aus Sinn und Zweck des § 6 UmwRG.
BVerwG Urteil vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 9.19 -
Zum Sachverhalt:
[1] I. Gegenstand des Verfahrens ist die Änderung eines Bebauungsplans .... (im folgenden „Änderungsbebauungsplan“).
[9] 1. Die Rüge der Revisionsführer, der Normenkontrollantrag habe bereits deshalb als unzulässig abgelehnt werden müssen, weil der Antragsteller innerhalb der Klagebegründungsfrist des § 6 UmwRG nicht zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorgetragen habe, bleibt erfolglos.
[10] a) Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) ist in der Fassung des am 2.6.2017 in Kraft getretenen Gesetzes zur Anpassung des UmwRG und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben v. 29.5.2017 (BGBl. I S. 1298) anzuwenden (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG, § 2 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1 UVPG und Nr. 1.8 der Anlage 5 zum UVPG). Der Änderungsbebauungsplan hatte bei Einleitung des Normenkontrollverfahrens am 2. 6.2017 noch keine Bestandskraft erlangt, weil die Antragsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war; § 8 Abs. 2 Nr. 1 UmwRG gilt auch für die Frist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Beschlussempfehlung und Bericht v. 26.4.2017, BT-Drs. 18/12146 S. 16).
[11] b) § 6 UmwRG gilt nicht für Normenkontrollanträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Bebauungspläne. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes sowie aus Sinn und Zweck des § 6 UmwRG.
[12] Gemäß § 6 Satz 1 UmwRG hat eine Person oder Vereinigung im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG innerhalb einer Frist von zehn Wochen ab Klageerhebung die zur Begründung ihrer Klage gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben. Die Vorschrift stellt ausdrücklich auf „Klagen“ ab und bedient sich damit eines gefestigten prozessrechtlichen Begriffs, dessen Inhalt durch die Bezugnahme auf die VwGO bestimmt wird, auf deren Regelungen das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG aufsetzt (vgl. etwa Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Februar 2020, Vorbem. zum UmwRG Rn. 4 „sektorales Sonderverwaltungsprozessrecht“). Bei der Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO handelt es sich jedoch nicht um eine Klage im Sinne der Verwaltungsgerichtsordnung. Aufgrund ihrer Ausgestaltung nach Gegenstand und Prüfungsmaßstab als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.3.1982 - 4 N 1.80 - BVerwGE 65, 131, 136 und v. 20.8.1991 - 4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59 = juris Rn. 25), die über das zugleich enthaltene Element des subjektiven Rechtsschutzes hinausgeht (BVerwG Urt. v. 9.4.2008 - 4 CN 1.07 - BVerwGE 131, 100 Rn. 13; Beschl. v. 30.7.2014 - 4 BN 1.14 - BRS 82 Nr. 57 Rn. 12), nimmt die Normenkontrolle im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes vielmehr eine Sonderstellung als Antragsverfahren eigener Art ein. Ein hiervon abweichendes Begriffsverständnis, das auch die Normenkontrolle umfasst, folgt nicht daraus, dass § 6 Satz 1 UmwRG eine Regelung für ‚Klagen gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1‘ trifft. Dem ist entgegen der Auffassung der Revisionsführer nicht zu entnehmen, dass jeglicher Rechtsbehelf gegen die in Bezug genommenen Entscheidungen, wozu nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 UmwRG auch Bebauungspläne zählen, erfasst sein sollen. Vielmehr bezieht § 6 Satz 1 UmwRG nur solche Entscheidungen im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in seinen Anwendungsbereich ein, für die gerade die Klage die statthafte Rechtsschutzform ist. Nichts Abweichendes ergibt sich aus der Feststellung des BVerwG, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 6 UmwRG eine einheitliche und abschließende Regelung für alle Rechtsbehelfe im Geltungsbereich dieses Gesetzes beabsichtigt habe (BVerwG, Urt. v. 27.11.2018 - 9 A 8.17 - BVerwGE 163, 380 Rn. 14); denn diese Aussage bezieht sich nur auf das Verhältnis zu Klagebegründungsfristen in den Fachplanungsgesetzen.
Normenkontrolle gegen Bebauungsplan zur Nachverdichtung, Veränderung der planungsrechtlichen Situation auf Nachbargrundstücken
BauGB § 1 Abs. 6 und 7, § 9 Abs. 7, §§ 34 und 35
Zur Normenkontrolle gegen Bebauungsplan, der im rückwärtigen, bisher unbebauten Bereich eine Bebauung vorsieht.
BVerwG Beschluss vom 28. Oktober 2020 - 4 BN 44.20 -
Aus den Gründen:
[5] Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss über den Normenkontrollantrag bleibt erfolglos. Die Beschwerde legt nicht dar, dass der Beschluss des OVG an einem Verfahrensmangel leidet.
[6] 1. Das OVG hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht überspannt.
[7] Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren nur eine Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 und v. 16.6.2011 - 4 CN 1.10 - BVerwGE 140, 41 Rn. 15). Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden (BVerwG, Urt. v. 16.6.2011 a.a.O. und v. 29.6.2015 - 4 CN 5.14 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 200 Rn. 14). In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urt. v. 30.4.2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 138 und Beschl. v. 15.6.2020 - 4 BN 51.19 - NVwZ 2020, 1533).
Bebauungsplan, naturschutzrechtlicher Eingriff, notwendige Festsetzung von Vermeidungsmaßnahmen
BauGB § 1a Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 20, Abs. 1a
Zur Notwendigkeit der Festsetzung von Vermeidungsmaßnahmen bei Eingriffen in Natur und Landschaft durch Bebauungsplan.
BVerwG Beschluss vom 26. November 2020 - 4 BN 31.20 -
Aus den Gründen:
[1] Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
[4] Hinsichtlich der die Entscheidung selbständig tragenden Erwägungen zur Eingriffsregelung hat die Sache nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die die Beschwerde ihr beimisst.
[5] Die von der Antragsgegnerin als rechtsgrundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen, müssen aus naturschutzrechtlichen Gründen für notwendig erachtete Vermeidungsmaßnahmen (vgl. § 13 Satz 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG) stets durch Festsetzungen abgesichert werden oder genügen in Einzelfällen auch andere Sicherungsmechanismen? Insbesondere: Ist gemäß § 1a Abs. 3 Satz 1 BauGB zwingend von einer bestehenden Möglichkeit für eine Festsetzung (z.B. nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB) Gebrauch zu machen und ein Selbstbindungsbeschluss nicht ausreichend, wenn eine bestimmte Bauweise als aus naturschutzrechtlichen Gründen notwendige Vermeidungsmaßnahme angesehen wird, obwohl sich der Selbstbindungsbeschluss der Gemeinde auf Flächen bezieht, die zum Zeitpunkt der Planumsetzung notwendigerweise und gesetzlich vorgegeben (§ 6 Abs. 3 BbgStrG) in der Verfügungsbefugnis der Gemeinde stehen?