Urteile
Bauplanungsrecht; Privilegierung im Bauplanungsrecht nur für öffentlich verantwortete Unterbringung von Geflüchteten
BauGB § 246 Abs. 9
Die planungsrechtliche Begünstigung nach § 246 Abs. 9 BauGB für Vorhaben, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen, kommt nur Bauvorhaben zugute, mit denen die öffentliche Hand ihrer Unterbringungsverantwortung genügen will. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Die Klägerin verlangte von der beklagten Stadt Kassel eine Baugenehmigung für den Bau einer Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbegehrende im Außenbereich.
BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2019 - BVerwG 4 C 9.18 -
Aus den Gründen:
Die Klägerin verlangte von der Stadt Kassel eine Genehmigung für den Bau einer Unterkunft für Flüchtlinge und Asylbegehrende im Außenbereich. Die Stadt sah keinen Bedarf für eine solche Einrichtung und lehnte den Bauantrag ab. Die auf Erteilung der Genehmigung gerichtete Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Nach Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ließ der Bau die Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten und war daher unzulässig. Die Klägerin könne sich nicht auf § 246 Abs. 9 BauGB berufen, der - befristet bis zum 31.12.2019 - den Bau von Flüchtlingsunterkünften erleichtert. Die Norm begünstige allein die Flüchtlingsunterbringung in öffentlicher Verantwortung. Private Vorhaben seien nur privilegiert, wenn die öffentliche Hand einer eigenen Unterbringungsverpflichtung in dem privaten Vorhaben nachkommen wolle. Daran fehle es.
Diese Auffassung hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. § 246 Abs. 9 BauGB begünstigt Vorhaben, die der „Unterbringung“ von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden dienen. Unterbringung ist nur die öffentlich verantwortete Unterbringung, sei es in Bauten der öffentlichen Hand, sei es in privaten Unterkünften. Dies folgt aus dem fachsprachlichen Wortlaut und den Gesetzgebungsmaterialien. Es muss daher durch Abstimmung mit der öffentlichen Hand oder in sonstiger Weise hinreichend gesichert sein, dass ein Bau für die öffentlich verantwortete Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden genutzt werden wird. Anderenfalls kommt § 246 Abs. 9 BauGB einem Vorhaben nicht zugute.
Bauplanungsrecht; Gewerbliche Tierhaltung; Privilegierung; Innenbereich; Siedlungsbereich; Ortslage; Außenbereich; UVP-Pflicht
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 3
1. Der Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BauGB steht bei gewerblichen Tierhaltungsanlagen nicht entgegen, dass es sich bei diesen - jedenfalls in Teilen des Bundesgebiets - um Massenphänomene handeln dürfte.
2. Eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 BauGB scheidet grundsätzlich aus, wenn die Gemeinde von ihrer Planungshoheit im Wege der Bebauungsplanung Gebrauch gemacht und auf dieser Grundlage die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Realisierung des Vorhabens nach Maßgabe des § 30 BauGB eröffnet hat.
BVerwG, Urteil vom 1. November 2018 - BVerwG 4 C 5.17 -
Aus den Gründen:
1. Der Kläger ist Landwirt mit einer Hofstelle im Außenbereich der Beigeladenen, auf der er Schweine hält. Er beabsichtigt den Neubau eines Sauenstalles, den Anbau eines Ferkelaufzuchtstalles, den Neubau eines Güllehochbehälters und die Aufstellung eines Futtersilos nebst Nutzungsänderung sowie den Anbau eines Heizungs- und eines Futtermittellagerraums. Der Betrieb soll durch das Vorhaben um 193 Sauen- und 1 000 Ferkelplätze aufgestockt werden. Künftig sollen 456 nicht tragende Sauen, 2 Eber, 94 Sauen mit Ferkeln und 2 440 Aufzuchtferkel gehalten werden.
Die Beigeladene hat im Juni 2011 einen „Kriterienkatalog“ zur Steuerung der Ansiedlung gewerblicher Tierhaltungsanlagen im Gemeindegebiet beschlossen und dort bestimmte Voraussetzungen niedergelegt, die Erweiterungsflächen für Tierhaltungsanlagen erfüllen müssen, wie etwa bestimmte Mindestabstände zu schutzwürdigen Nutzungen (sog. Haselünner Modell). Werden an die Beigeladene Wünsche zur Neuerrichtung oder Änderung einer Tierhaltungsanlage herangetragen, die dem Kriterienkatalog entsprechen, so stellt sie für das Baugrundstück einen (Angebots-)Bebauungsplan auf, in dem Art (Sondergebiet gewerbliche Tierhaltung) und Maß der baulichen Nutzung, Baufenster, Emissionskontingente und teilweise auch Straßenverkehrsflächen festgesetzt sind. Gleichzeitig ändert sie punktuell den Flächennutzungsplan. In den Begründungen der Pläne wird die Erwartung geäußert, damit der Zulassung gewerblicher Tierhaltungsanlagen auf unbeplanten Außenbereichsflächen den Boden entzogen zu haben. Eine Gesamtabwägung geeigneter und ungeeigneter Standorte im Gemeindegebiet enthalten die Planbegründungen nicht; allerdings wird der Kriterienkatalog dargestellt. Die Beigeladene hat seit Mitte 2011 mindestens sechs solcher Pläne aufgestellt, weitere Pläne sind in verschiedenen Stadien des Aufstellungsverfahrens.
Bauplanungsrecht, Außenbereich, privilegierte Anlagen, Rechtsschutz
BauGB § 34,§ 35 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § VWGO § 132 Abs. VWGO § 132 Absatz 2 Nr. VWGO § 132 Absatz 2 Nummer 2, § 133 Abs. 3 S. 3
Im Außenbereich privilegiert Ansässige könne bei der Bebauung benachbarter (Innenbereichs-) Grundstücke erwarten, dass auf seine Außenbereichsbebauung - zumal, wenn diese wegen der Art der Nutzung vom Gesetzgeber privilegiert in den Außenbereich verwiesen ist - Rücksicht genommen wird.
BVerwG, Beschlus vom 14. Februar 2019 - 4 B 60.18 -
Aus den Gründen:
Die Beschwerde macht geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 10. Dezember 1982 - Aktenzeichen 4C2881 4 C 28.81 - (Buchholz 406.11 § 34 BBauGB Nr. 89 S. 15 <17>) entschieden, dass landwirtschaftliche Betriebe, die im Außenbereich liegen und dort nach § BAUGB § 35 Abs. BAUGB § 35 Absatz 1 Nr. BAUGB § 35 Absatz 1 Nummer 1 BauGB privilegiert sind, kraft ihrer besonderen Schutzwürdigkeit in der Regel berechtigt seien, eine heranrückende, die weitere Ausnutzung ihrer Privilegierung störende Bebauung abzuwehren, und zwar unabhängig davon, ob die heranrückende Bebauung ihrerseits privilegiert ist oder nicht. Von diesen Grundsätzen weiche die angegriffene Entscheidung ab. Denn das Oberverwaltungsgericht habe dem Kläger den Abwehranspruch dadurch entzogen, dass es der aus der Landwirtschaft hervorgegangenen Wohnnutzung in Folge einer nachwirkenden Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf benachbarte landwirtschaftliche Betriebe einen geringeren Schutzanspruch zugemessen habe. Infolge dieser anscheinend zeitlich unbeschränkt nachwirkenden Rücksichtnahmepflichten werde der vom Bundesverwaltungsgericht als Regelfall betrachtete Abwehranspruch gegen heranrückende Wohnbebauung zum kaum durchsetzbaren Ausnahmefall herabgestuft.
Eine Rechtssatzdivergenz im Sinne von § VWGO § 132 Abs. VWGO § 132 Absatz 2 Nr. VWGO § 132 Absatz 2 Nummer 2 VwGO ist damit nicht dargetan. Den im Urteil des Senats vom 10. Dezember 1982 (a.a.O.) formulierten Rechtssatz gibt die Beschwerde zutreffend wieder. In der Beschwerdebegründung nicht wiedergegeben ist allerdings die weitere Begründung des Senats, der im Außenbereich privilegiert Ansässige könne bei der Bebauung benachbarter (Innenbereichs-) Grundstücke erwarten, dass auf seine Außenbereichsbebauung - zumal, wenn diese wegen der Art der Nutzung vom Gesetzgeber privilegiert in den Außenbereich verwiesen ist - Rücksicht genommen wird. Dieser Rechtsprechung ist das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich gefolgt (UA S. 6 ff.). Nur hat es eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme verneint, weil die Beigeladenen aus der nachwirkenden landwirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft der Vorgängernutzung verpflichtet seien, auf den Betrieb des Klägers in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen und Geruchseinwirkungen in erhöhtem Maße zu dulden. Der Sache nach wendet sich die Beschwerde deshalb gegen eine aus ihrer Sicht unzutreffende Rechtsanwendung der Vorinstanz. Eine Divergenzrüge kann hierauf nicht gestützt werden.
Bauplanungsrecht, Anerkenntnis der Festsetzung eine Bebauungsplans
BauGB § 33
Das Anerkenntnis nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 BauGB wird mit der Bekanntmachung des die anerkannten Festsetzungen enthaltenden Bebauungsplans wirkungslos. Das gilt auch im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans.
BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 4 C 6.17 -
Bauplanungsrecht; Gliederung eines Industriegebiets mit Hilfe von Emissionskontingenten
Wird ein durch Bebauungsplan ausgewiesenes Industriegebiet in Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten gegliedert, ist die Gliederung nur von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO gedeckt, wenn ein Teilgebiet von einer Emissionsbeschränkung ausgenommen wird.
BVerwG, Beschluss vom 7. März 2019 - 4 BN 45.18 -
Bauplanungsrecht; vorhabenbezogener Bebauungsplan
BauGB § 12
§ 12 verlangt eine Prognoseentscheidung, wann ein Vorhabenträger zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen bereit und in der Lage ist, ist rechtsgrundsätzlich geklärt, um der Gemeinde eine gewisse Sicherheit zu verschaffen, dass der Vorhabenträger die im Durchführungsvertrag übernommenen Verpflichtungen erfüllen und das geplante Vorhaben zu Ende führen kann.
Die Prognose betrifft auch die finanziellen Mittel, die erforderlich sind, damit der Vorhabenträger die übernommenen Verpflichtungen umsetzen kann.
Zum Nachweis der finanziellen Leistungsfähigkeit grundsätzlich geeignet sind wirtschaftlich belastbare Finanzierungs- und Fördermittelzusagen, die aber durch gewichtige andere Indizien ersetzt werden können
BVerwG, Beschluss vom 5. März 2019 - 4 BN 18.18 -
Aus den Gründen:
Die Antragstellerin wendet sich als Plannachbarin gegen einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan für ein mit Kohle befeuertes Industriekraftwerk. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt. Die Beschwerde macht Revisionszulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO geltend im Hinblick auf die Anforderungen an einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan (I.), den Schutz von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (II.) und den Lärmschutz (III.).
Die Beschwerde möchte der Sache nach rechtsgrundsätzlich klären lassen, ob es auch bei einem sehr hohen Investitionsvolumen nur bei Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für eine Überforderung des Vorhabenträgers erforderlich ist, sich dessen subjektive Leistungsfähigkeit von dritter Seite bestätigen oder konkrete Nachweise vorlegen zu lassen, während in anderen Fällen keine konkreten Nachforschungs- oder Prüfungspflichten für die Gemeinde bestehen.
Ob diesen Anforderungen genügt wird, ist eine Frage des Einzelfalls und entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung. Dies lässt auch die Beschwerde erkennen, nach deren Auffassung die Prüfungspflicht der Gemeinde im Einzelfall - proportional zum Investitionsrisiko - an Ermittlungstiefe zunimmt.
Bauplanungsrecht; Verwaltungsprozeßrecht
BauGB § 10
GG Art. 19 Abs. 4
VwGO § 47
Zur Einschränkung der Zulässigkeit von Rechtsbehelfen gegen Bebauungspläne.
BVerwG; Beschluss vom 11. Februar 2019 - 4 B 28.18 -
Aus den Gründen:
1. Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig wirft die Beschwerde die Fragen auf, ob eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle durch eine Versagung der Berufung auf die Unwirksamkeit eines Bebauungsplans mit der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar ist, und ob eine solche Einschränkung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird, wonach sich eine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte ausdrücklich oder durch Auslegung hinreichend deutlich aus dem Gesetz ergeben muss und es zudem eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrundes bedarf.
Die Fragen führen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht zur Zulassung der Revision. Auf sie lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Wie die Beschwerde selbst einräumt, ist das Bundesverwaltungsgericht in verschiedenen Entscheidungen (z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 1992 - 4 NB 2.90 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 61 und vom 7. März 2013 - 4 BN 33.12 - BauR 2013, 1101 <beide zur Verwirkung eines prozessualen Antragsrechts>) davon ausgegangen, dass die Grundsätze von Treu und Glauben die Befugnis zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Bebauungsplans beschränken können. In der Rechtsprechung des Senats (z.B. BVerwG, Urteile vom 18. April 1996 - 4 C 22.94 - BVerwGE 101, 58 <63> und vom 12. Dezember 2018 - 4 C 6.17 - <UA S. 10 und 15; zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen>) ist anerkannt, dass sich ein rechtfertigender Grund für eine Beschränkung des Bauherrn dahingehend, dass er sich auf eine etwaige Unwirksamkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans nicht mehr berufen kann, im Einzelfall aus den auch im öffentlichen Recht heranzuziehenden Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben kann, etwa in der Fallgruppe des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) oder der Verwirkung.