Digitales Gebäudemonitoring im Kontext der Energiewende

In einer Serie mit dem BMUB präsentieren wir Projekte aus der Bauforschung. In Teil 38 geht es um das Effizienzhaus Plus Modellvorhaben im Altbau in Neu-Ulm

Die nachhaltige und regenerative Energieversorgung ist ein zentrales Thema der Energiewende. Besonders bei der Gebäudesanierung sind zur energetischen Potentialerschließung technische und baukonstruktive Lösungen zu forcieren, die neben einem energieeffizienten Gebäudestandard auch eine energetisch nachhaltige und effiziente Bewirtschaftung der Gebäudestruktur ermöglichen.

Die Vorgaben aus der Energieeinsparverordnung (EnEV) und dem Erneuerbaren Ener­gien Gesetz (EEG) sind dafür die gesetzlich verpflichtenden Mindestanforderungen in der Planungsphase, um einen Mindeststandard im energetischen und technischen Sinne für Gebäudehülle und Energieerzeugungssysteme sicherzustellen.

Neben diesen gesetzlich verankerten Mindestanforderungen bieten unterschiedliche Förderprogramme zusätzliche Anreize, die Gebäude- und Anlageneffizienz zu steigern und damit den Energiebedarf eines Gebäudes weiter zu senken. Konzepte für Netto-Nullenergie- und Plusenergiestandards gehen noch einen Schritt weiter. Sie zielen darauf ab, den ermittelten Energiebedarf mittels einer Energieüberschussproduktion aus regenerativer Energie innerhalb der rechnerischen Bilanzgrenze (zumeist des Gebäudegrundstücks) vollständig decken zu können.

Mit diesem ehrgeizigen Ziel sind im Rahmen eines Planungswettbewerbes und des Förderprogramms Effizienzhaus Plus des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) zwei Wohnzeilen aus der Zwischenkriegszeit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Neu-Ulm (NUWOG) an der Pfuhler Straße 4-8 und 10-14 in Neu-Ulm saniert worden (www.forschungsinitiative.de/effizienzhaus-plus/modellvorhaben/effizienzhaus-plus-im-altbau).

Um die energetische Qualität im Betrieb der Gebäude messbar zu dokumentieren und forschungstechnisch zu untersuchen, startete mit der offiziellen Einweihung im Mai 2016 gleichzeitig ein im Voraus detailliert geplantes Gebäudemonitoring, dessen technische Umsetzung zur Datenerfassung, -auswertung und -visualisierung der Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen E3D der RWTH Aachen University konzipierte, durchführt und betreut (www.e3d.rwth-aachen.de).

Digitales Gebäudemonitoring in der Forschung am Beispiel der Effizienzhäuser Plus im Altbau

Die Integration digitaler Messtechnik im Rahmen eines Gebäudemonitorings ist nicht nur das Werkzeug der Wahl, um den Erfolg einer Baumaßnahme und die energetische Qualität eines Gebäudes zu dokumentieren. Im Sinne eines modernen Facility Managementansatzes und der neuen VDI 6041 „Technisches Monitoring von Gebäuden und gebäudetechnischen Anlagen“ ist entsprechende Messtechnik, häufig als integraler Bestandteil der Gebäudeleittechnik, bereits während der Inbetriebnahme für die Einregulierung und zur Sicherstellung eines energieeffizienten und wirtschaftlichen Anlagenbetriebs unerlässlich. Im Falle der Effizienzhäuser Plus in Neu-Ulm werden für Kennwerte zur Gebäude- und Anlagenperformance rund 470 Datenpunkte in der Pfuhler Str. 4-8 und 10-14 über das Monitoringsystem des Lehrstuhls E3D digitalisiert ausgewertet. Denn Energie- und Kosteneinsparungen können nur realisiert werden, wo Einsparpotentiale mittels Kennwerten zeitnah sichtbar und verständlich aufbereitet sind. Das bedeutet, dass die Auswertungsstrategie an das jeweilige Organisations- und Qualifikationsniveau des Endnutzers, der Managementebene bzw. der Zielgruppe und der Nutzer (Mieter) angepasst werden muss. Für die verschiedenen Akteure sind innerhalb des Forschungsauftrages zu diesem Zweck unterschiedliche Ansätze der Informationsaufbereitung realisiert worden.

Konkret erfolgen monatlich kumulierte Auswertungen zur Wärme- und Strombilanz der Gebäude, welche an die Begleitforschungsstelle des Fraunhofer IBP für die öffentlich zugänglichen Seiten der Forschungsinitiative (www.forschungsinitiative.de/effizienzhaus-plus/modellvorhaben) übermittelt werden. Über ein webbasiertes Content-Management-System erhalten der Bauherr (NUWOG) und die Fachplanung Zugriff auf Betriebsparameter und Messpunkte der Anlagentechnik, die zusätzlich als minütlich bereinigte Messwerte über einen Downloadserver als monatlicher Datensatz abrufbar sind.

Die Mieter der Pfuhler Str. 4-6 und 12-14 können zudem die Verbrauchsdaten ihres Haushaltes passwortgeschützt über die am Lehrstuhl E3D entwickelten und gehosteten Webseiten abrufen und erhalten so aktuelle Informationen und Feedback zu ihrem Haushaltsstrom- und Heizwärmeverbrauch.

Lokales Lastmanagement, Smart Meter und die Digitalisierung der Energiewende

Auf Gebäudeebene legen Stromverbrauchs­daten in zeitlich hoher Auflösung digitaler Messeinrichtungen, sogenannter „Smart Meter“, den Grundstein für ein aktives, lokales Lastmanagement zur zeitlichen Koordination von Energieerzeugung und -verbrauch. Aus Sicht der Effizienzhaus-Bilanz wirkt sich ein hoher Eigennutzungsgrad des regenerativ erzeugten Stroms aus Solaranlagen oder Kraft-Wärme-gekoppelter Systeme positiv aus. Im Fall der sanierten Effizienzhäuser Plus stehen in der Bilanz die Stromgewinne der Photovoltaikanlage den Stromverbräuchen (Energieaufwand) für Trinkwasser- und Heizwärmeerzeugung sowie den Haushaltsstromverbräuchen der Mieter gegenüber. Technisch gesehen stellen die Erzeugeranlagen mit rein stromgeführten Wärmepumpensystemen und ausreichend thermischer Speicherkapazität über Pufferspeicher ein hohes Lastverschiebungspotential dar. Bedingt durch die vorrangige Netzeinspeisung des Solarstroms ist die primärenergetische Deckungsgleichheit zwischen Energieerzeugung und -verbrauch der sanierten Effizienzhäuser Plus vor Ort bislang jedoch nicht ausgeschöpft.

An dieser Stelle kann das in Kraft getretene Mieterstromgesetz der Bundesregierung wirtschaftliche Anreize zum Direktverbrauch des am Gebäude erzeugten Stroms geben. Erfolgreich umgesetzte Beispiele aus der Praxis zeigen, dass Mieterstrommodelle für Mieter und Wohnungswirtschaft hinsichtlich Betriebs- bzw. Mietnebenkosten durchaus wirtschaftlich attraktiv ausgestaltet werden können (vgl. „Möglichkeiten der Wohnungswirtschaft zum Einstieg in die Erzeugung und Vermarktung elektrischer Energie“, Endbericht zum Forschungsauftrag des BBSR, 2015). Aus dem Gesetz zur Förderung von Mieterstrom resultieren für Mieter als auch Vermieter bzw. Anlagenbetreiber potentielle Kostenvorteile, u.a. durch Steuer- und Abgabenerleichterungen bezüglich der am Gebäude erzeugten und genutzten Strommenge und durch den sogenannten Mieterstromzuschlag (vgl. „Mieterstrom, Rechtliche Einordnung, Organisationsformen, Potentiale und Wirtschaftlichkeit von Mieterstrommodellen (MSM)“, Studie im Auftrag des BMWi, 2017).

Die geförderten Pilotprojekte der Effizienzhäuser Plus im Altbau machen deutlich, dass der Einsatz energieeffizienter Gebäudetechnik für eine Netto-Energieüberschussbilanz in der Sanierung zwar technisch herausfordernd, unter bestimmten Voraussetzungen in die Praxis jedoch umsetzbar ist. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien im Gebäudesektor und für die ehrgeizigen Ziele der Energiewende gewinnt die Fähigkeit zum aktiven Last- und Energiemanagement eines Gebäudes zukünftig an wesentlicher Bedeutung. Isoliert betrachtete Effizienzkriterien auf Grundlage einer rein primär- und endenergetischen, jährlichen Netto-Plus-Betrachtung sind dafür nicht geeignet. Ein netzdienlicher Maßstab für die Bewertung der Energieeffizienz berücksichtigt beispielsweise die Fähigkeit, den regenerativ erzeugten Strom bedarfsorientiert für die Eigennutzung am Gebäude oder nachfrageorientiert am Strommarkt durch Einspeisung auch kurzfristig bereitstellen zu können. Anders ausgedrückt: Strombereitstellung und -abnahme eines Gebäudes sind über entsprechende Betriebsstrategien netzdienlich auszulegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der regenerativ erzeugte Stromanteil am Gebäude optimal genutzt wird, ohne das Stromnetz durch ungeregelte Einspeisung in Zeiten mit geringer Abnahme ungünstig zu belasten.

Im Kontext der Energiewende übernimmt das Gebäudemonitoring damit schon heute wesentliche Aufgaben, um Anforderungen an die zukünftige Energieeffizienz von Gebäuden und netzreaktive Potentiale zu analysieren und erschließen zu können (https://www.netzreaktivegebaeude.de).

Eine digitale Messdatenerhebung und Datenverarbeitung sind dafür die technische Voraussetzung und gleichzeitig unverzichtbar im Hinblick auf ein optimiertes Last- und Energiemanagement im Gebäude. Die Integration eines entsprechenden Gebäudemonitorings ist deshalb nicht als Insellösung zu betrachten, sondern als strategisches Instrument für eine zeitgemäße, elektronische Informationsbereitstellung, auch zur Umsetzung eines ganzheitlichen Managementansatzes aus Sicht der Gebäudebetreiber.


Lehrstuhl für Energieeffizientes Bauen (E3D) an der RWTH Aachen University:
Dipl.-Ing. (FH) Caroline Christine Lorz M.Eng.; Dr.-Ing. Jérôme Frisch, Akademischer Oberrat; Dr.-Ing. habil. Christoph van Treeck, Lehrstuhlinhaber
Weiterführende Links

Informationsvideo zu den zwei Effizienzhaus Plus Objekten an der Pfuhler Straße in Neu-Ulm:
https://www.forschungsinitiative.de/effizienzhaus-plus/modellvorhaben/
PDF-Dateien mit einem ausführlichen Steckbrief zum Effizienzhaus Plus Objekten an der Pfuhler Straße 4+6 und Pfuhler Straße 12+14 in Neu-Ulm und den aktuellen Messergebnissen:
https://www.forschungsinitiative.de/effizienzhaus-plus/modellvorhaben/effizienzhaus-plus-wohnbauten/neu-ulm-4-6/
https://www.forschungsinitiative.de/effizienzhaus-plus/modellvorhaben/effizienzhaus-plus-wohnbauten/neu-ulm-12-14/
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