Sanierung unter Denkmalschutz

Historisch schön: Rathaus erstrahlt in altem Glanz

Das historische Rathaus Tübingen steht an markanter Stelle „Am Markt 1“ im Ortskern der Stadt. Im Zuge der Sanierung und Restaurierung wurden, unter Berücksichtigung hoher Denkmalschutzanforderungen, die Technik und der Brandschutz komplett erneuert. Jetzt steht die wertvolle Gebäudesubstanz für die beeindruckende Leistung vieler engagierter Experten.

Statt kleinteiliger Nebenraumnutzungen öffnet sich das Erdgeschoss heute transparent und bürgernah zum Marktplatz und der Ratssaalvorbereich im 1.Obergeschoss präsentiert sich als großzügige Cafeteria. Der historische Hofgerichtssaal wurde wieder hergestellt, Ratssaal, Öhrn und Trauzimmer gliedern sich räumlich nach sorgfältiger Restaurierung in das moderne Ambiente des historischen Tübinger Rathauses ein. Die historische Bedeutung wird besonders im Ratssaal und Trauzimmer, dem Öhrn, sowie in der imposanten Baukonstruktion, der herausragend gestalteten Ostfassade und der astronomischen Uhr deutlich.

Handlungsbedarf auf vielen Ebenen

1435 wurde das Gebäude samt Markthalle für Bäcker, Metzger und Salzhändler im Erdgeschoss und „Lederbühne“, ein Verkaufsraum für Lederwaren im 1. Obergeschoss erbaut.

Zur Bauzeit wurde das heutige Erdgeschoss als Untergeschoss bezeichnet und das heutige erste Obergeschoss als Erdgeschoss (von der Haaggasse aus betrachtet). Das auf Veranlassung von `Eberhard im Barte´ eingefügte dritte Stockwerk diente ursprünglich der Durchführung von Festen. Das Hofgericht - das höchste Gericht Württembergs - richtete sich erst später dort ein. Beeindruckend ist hier: Der Saal kommt ohne Stützen aus. 1965 bis 1969 wurde großflächig in den Bestand eingegriffen und das Erdgeschoss mit Technikeinbauten zugestellt.

Akuter Handlungsbedarf bestand seit der Jahrtausendwende aufgrund funktionaler, statischer und technischer Mängel sowie des Brandschutzes. Zusätzlich sollte das historische Gebäude energetisch verbessert und der Energieverbrauch nachhaltig reduziert werden. Das ist inzwischen gelungen. Verantwortlich für die Planung der umfassenden Verwandlung ist das Architekten-Team der weinbrenner. single. arabzadeh. architektenwerkgemeinschaft aus Nürtingen-Stuttgart.

Architektonisch sollten die vorgefundenen räumlichen Strukturen sowie die historische Bausubstanz erhalten bleiben. Gleichzeitig die Neugestaltung aber durch behutsame Maßnahmen eine Stärkung erfahren. In den 1960er Jahren hatte man streckenweise Basaltina aus der Gegend von Perugia in Italien als Bodenbelag eingebaut. Das Bestandsmaterial, zum Beispiel der bauzeitlich verwendete verbindende Sandsteinbelag, fand soweit möglich seine Wiederverwendung.

Für sonstige Naturwerksteinarbeiten wurde auf Material aus der unmittelbaren Umgebung zurückgegriffen. Im Fokus stand, als wesentlicher Eingriff in die Raumstruktur, die Befreiung des ursprünglich als drei etwa gleich große Ladeneinheiten genutzte Erdgeschoss mit jeweils einer mittleren Rundstütze. Das Ziel: die Umwandlung der vorherrschende Nebenraumnutzung in großzügige, offene und transparente Räume, um so ein repräsentatives Bürgerforum zu schaffen.

Die Tragstruktur aus den Umbaumaßnahmen der 1960er Jahre musste dafür der reaktivierten historischen Tragstruktur weichen. Eine hierdurch entstandene Atmosphäre, der hohen, hellen und attraktiven Räumlichkeiten setzt sich nahtlos in der anschließenden Treppenhalle sowie im Foyer des Ratssaals fort. Die kleinteiligen Bürostrukturen vor dem Ratssaal stellen den Platz für eine großzügige Cafeteria zur Verfügung. Bei deren Nutzung, in Form von Veranstaltungen, Empfängen oder größeren Hochzeiten, bietet sich durch die Arkadenfenster ein besonders schöner Ausblick auf die historische Umgebungsbebauung.

Der Ratssaal erstrahlt, aufgrund des Rückbaus der störenden Eingriffe in die Bausubstanz aus den 1960er Jahren, wieder in seinem historischen Bild. Durch die Neugestaltung des Holzbelages sowie der Deckenverkleidung, im Zusammenspiel mit einem modernen Lichtkonzept, entstand eine spürbare atmosphärische Verbesserung. In der historischen Raumfolge (Enfilade) aus Trauzimmer, Öhrn und dem Büro des Oberbürgermeisters wurden im Wesentlichen Sicherungs- und Konservierungsmaßnahmen an den bedeutsamen Farbfassungen durchgeführt. Durch die Neugestaltung des gemeinsamen Foyers in Zusammenhang mit einem attraktiven Lichtkonzept entstand eine deutliche Aufwertung dieser historisch bedeutsamen Räume. Der geschichtliche Hofgerichtssaal erfuhr in den 1950er-Jahren eine Kleinaufteilung in mehrere Büroeinheiten. Im Zuge der Sanierung konnte die Farbfassung des Hofgerichtssaals nicht genau datiert werden. Sie stammt vermutlich aus den Jahren nach 1907 als der sogenannte „Schmohl-Bau“ errichtet wurde.

Spannende bauzeitliche Funde

Der Sanierung der historischen Räume gingen umfangreiche Eingriffe in den Bestand voraus: Es galt die brandschutztechnischen Anforderungen an die Tragkonstruktion sowie die Fußbodenkonstruktionen, z. B. durch den Einbau zusätzlicher Brandschutzdecken, zu sichern. Die Baumaßnahme machte das Abfangen, den Rückbau sowie eine Ergänzung der gesamten Tragkonstruktion nötig. Für die Sanierung der Sanitärräume mussten tragende Wände versetzt werden.

Um den Bereich der einzig erhaltenen original historischen Eichenholzstütze wurde der historische Altbau angehoben, die Stütze ausgebaut und saniert und anschließend wieder eingebaut. Fortwährend entdeckte man spannende bauzeitliche Funde: beispielsweise eine komplett eingemauerte bauzeitliche Stütze, die beim Stemmen von Sondierungsschlitzen für die neuen Lüftungskanäle zum Vorschein kam. Auf diesen Fund hat man architektonisch reagiert, um die wiederentdeckte Stütze wirkungsvoll zur Geltung zu bringen.

Zielorientierte Abstimmung mit dem Denkmalschutz

Ein Team von bis zu elf Restauratoren war nötig, um die Fassade behutsam zu reinigen. Die Experten eines der beauftragten Unternehmen, Firma Brodbeck-Holzinger aus Tübingen, schafften es mit vielen anspruchsvollen Maßnahmen, die Schäden auszubessern und die bestehende Substanz zu erhalten. Das Ziel, den Originalzustand der Fassadenmalerei von 1876 möglichst nahe zu kommen, wurde erreicht. Im Putz füllten die Experten Risse und Hohlräume auf. 

Bis zum Beginn der Rathaus-Sanierung im Jahr 2012 befanden sich Akten, Bücher und historisches Schriftgut des Stadtarchivs auf dem Dachboden. Im Lauf der Zeit war die Belastung auf das Vierfache dessen angestiegen, was die Statik des Gebäudes problemlos hätte aufnehmen können. Als Folge hatte sich die Fassade an einigen Stellen nach vorne gewölbt, und der Putz bröckelte ab.

Mit Schaummörtel-Injektionen konnte man der drohenden Fortsetzung der Beschädigung entgegenwirken. Dieser leichte Fließmörtel füllt Hohlräume, härtet aus und schafft eine stabile Verbindung zwischen den gelösten Putzteilen und dem Untergrund. Der Injektionsmörtel wurde mit Kanülen über Risse und bereits vorhandene Ausbrüche in die Hohlstelle eingebracht.

Großen Wert legten die Restauratoren auf die anschließende sorgfältige Retusche an Fehlstellen der Bemalung, für die sie ausschließlich Mineralfarben verwendeten. Auch die Holzbauteile an der Fassade mussten restauriert und konserviert werden. Dazu zählen die Gesimse, die Kanzel vor dem Ratssaal im ersten Stock und einige Holzschnitzereien.

Entwicklung anspruchsvoller Tragwerksstruktur

Auch die beteiligten Tragwerksplaner - das Ingenieurbüro Schneck Schaal Braun aus Tübingen - realisierten mit technischen Lösungen ihren Anteil an dem Gelingen des Bauvorhabens. „Wir hatten bei dieser Generalsanierung als Zielsetzung hauptsächlich den Erhalt der ursprünglichen Tragstruktur – und dies ohne Einschränkung der Nutzung als modernes Verwaltungsgebäude.“ erläutern die verantwortlichen Projektleiter Friedrich Schneck und Werner Schaal. „Bei früheren Umbauten hatte man die Decke über dem Erdgeschoss erheblich mit Stahlträgern verstärkt. Dieses sekundäre Tragwerk sollte rückgebaut und die historische Tragstruktur zur Lastabtragung wieder aktiviert werden.

Keine kleine Aufgabe. Denn die massiven Stützen aus Eichenholz im Erdgeschoss waren hauptsächlich an den Fußpunkten durch Feuchteeinwirkung und Schädlingsbefall brüchig. Infolge der defekten Stützen hatte sich das gesamte Tragwerk inzwischen stark gesenkt und verschoben.

Die Lösung: Das vorgefundene schadhafte Holz wurde aufwändig durch passgenaue Anschiftungen ersetzt. „Wir konnten die Balkenlage der Decke über dem Erdgeschoss wieder auf die gleiche Höhe bringen.“ so Schaal. Dies gelang uns durch das Anheben der Auflager mit mechanischen Drehspindeln, sogenannten Hebegeschirren.“

Durch statische Nachberechnung der vorhandenen, tatsächlichen Tragstrukturen unter Berücksichtigung der realen Eigenlasten, der aktuellen Verkehrslasten, Sicherheitsbeiwerten und zulässigen Spannungen wurde ermittelt, dass die historische Tragstruktur den geplanten heutigen und zukünftigen Belastungen genügen wird. Die reparierten Eichenholzstützen wurden schließlich einheitlich auf neuen Stahlbetonfundamenten gegründet. Im dritten Obergeschoss sollte der historische Gerichtssaal ebenfalls in seiner ursprünglichen Form wiederhergestellt werden. Dazu ließen die Verantwortlichen die Zwischenwände für nachträglich eingebaute Büroräume wieder herausnehmen. Stahlstützen, die bei früheren Umbauten zur Reduzierung der Deckenspannweite eingebaut worden waren, hat man ebenfalls wieder entfernt.

„Die weitgespannte Decke haben wir über zwei neu im Dachgeschoss angeordnete Stahlhängewerke, abgefangen.“ sagt Werner Schaal. „Zusätzlich wurde die Decke über 3. OG statisch als Scheibe ausgebildet, um die Horizontalkräfte sicher in die vertikalen Aussteifungselemente abzuleiten. Die Standsicherheit der sanierten historischen Holzkonstruktion wurde gemäß Grundlage der aktuellen Normen statisch nachgewiesen. Dabei zeigte sich, dass keine weiteren Eingriffe in die vorhandene Tragsubstanz erforderlich waren.

Effizientes Brandschutzkonzept

Die bauzeitlichen Holzbalkendecken wurden durch Brandschutzplatten ertüchtigt, die Stahlbetondecken des Anbaus von 1907 unterseitig durch Gipsputz. Die fehlenden Abtrennungen der Nutzungseinheiten zum zentralen Treppenhaus ergänzen heute filigrane Brandschutzelemente aus einer Holz-Glas-Konstruktion. (Fabrikat HOBA Brandschutzelemente). Die gesamte Elektroinstallation sowie das EDV-Netz sind auf neuesten technischen Stand gebracht und zeitgemäße Brandabschottungen durch Wände und Decken hergestellt.

Das bestehende Einrohrsystem der Heizung wurde von den Experten ausgetauscht und neue raumbezogene Regelungstechnik integriert. Die Anpassung der neuen Lüftungsanlage für Ratssaal, Trauzimmer und Öhrn, war aufgrund irreparabler Beschädigung ebenfalls notwendig geworden. Raumakustische Maßnahmen in Form von absorbierenden Oberflächen verbessern das Gebäude unter Berücksichtigung der historischen Gesamtheit heute erheblich.

Zukunftssicheres Energiekonzept für das Denkmal 

Die Sanierung des Rathauses Tübingen wurde bezüglich der bauphysikalischen Belange intensiv durch Sachverständige betreut, beispielsweise das Ingenieurbüro ebök, das für das Energiekonzept verantwortlich zeichnet. „Wir haben großen Wert auf winddichte Bauteilanschlüsse gelegt.“ berichtet Projektleiter und Bauphysiker Michael Keppler.

Die Verbesserungen der Dämmqualität der gesamten Gebäudehülle erreichten die Sachverständigen in intensiver Abstimmung mit den Denkmalschutz-Beauftragten. Besonders die Fenster, die Bodenplatte, Außenwände des Treppenhauses und die Decken gegen unbeheizte Außenräume waren davon erheblich betroffen. Ausgenommen hiervon blieben jedoch aus Denkmalschutzgründen die Fassaden. Auch den Anbau aus dem Baujahr 1907 konnte man aus denkmaltechnischen Gründen nicht dämmen.

Bei den Fenstern wurde Sonder-Isolierglas mit 15 mm Dicke und einem Ug-Wert von 1,1 W/m²K eingesetzt, auf der Ostseite teilweise in entspiegelter Ausführung. Die energetische Ertüchtigung umfasste des Weiteren zusätzliche Dämmschichten in der obersten Geschossdecke bzw. am Fußboden gegen Außenluft. Das hier verwendete Material – Mineralfaser – wurde in doppelter Schicht aufgebracht. Die Außenwand des Treppenhauses aus den 1960er Jahren hat man mit wärmedämmenden Mauerwerkssteinen (Biso­therm-Bims) saniert und mit Ringgurten und Ziegelschichten versehen. Hinzu kamen auch hier neue Fenster.

Die Nordfassade des Treppenhauses wurde als Lochfassade ausgebildet. Die einfachverglaste Pfosten-Riegel-Fassade wurde ausgebaut. Wärmetechnisch verbesserten Fensterkonstruktionen und die Aufrüstung vorhandener historischer Fensterelemente waren möglich. Dies erreichte man mit speziellen Sonderisoliergläsern für denkmalgeschützte Gebäude: einem 2-Scheiben-Isolierglas aus beschichteter 4mm Planilux- und beidseitig entspiegelter 4mm Amiran-Glasscheibe sowie 8mm Scheiben-Zwischenraum mit Swisspacer-Randverbund. Der CO2-Au­sstoß des Altbaus reduziert sich durch diese energetischen Maßnahmen und die Modernisierung der Technik bis zu 60 %. Das neue Blockheizkraftwerk, das die Stadtwerke Tübingen im Juli 2013 errichteten, versorgt neben dem Rathaus auch die Nachbarbebauung mit Wärme.

Das Blockheizkraftwerk ist die maßgeblich sinnvolle Energieversorgung für das Rathaus und weitere öffentliche Gebäude in der Nachbarschaft. Für Spitzenlasten gibt es ergänzend einen Gas-Spitzenlastkessel und einen Pufferspeicher mit sechs Kubikmeter Inhalt.

Am sichtbarsten sind die Eingriffe im Erdgeschoss. Ansonsten bleiben dieweitreichenden Eingriffe in die Bausubstanz größtenteils unsichtbar. Technische und statische Unzulänglichkeiten konnten durch eine Vielzahl moderner Produkte und planerischer Ideen ausgeglichen werden. Statt kleinteiliger Technikräume lädt das großzügige, transparente Bürgerforum heute zur Kommunikation zwischen Bürgerschaft und Verwaltung ein.

Somit ist das Rathaus Tübingen heute ein Vorzeigebeispiel für den sensiblen Eingriff in die Bausubstanz vergangener Jahrhunderte – das wertvollen Altbestand mit neuer, optisch luftiger und transparenter Architektur aufwertet.

Akuter Handlugsbedarf bestand seit der Jahrtausendwende aufgrund funktionaler, statischer und technischer Mängel sowie des Brandschutzes.

Das Ziel, den Originalzustand der Fassadenmalerei von 1876 möglichst nahe zu kommen, wurde erreicht.

Die bauzeitlichen Holzbalkendecken wurden durch Brandschutzplatten ertüchtigt, die Stahlbetondecken des Anbaus von 1907 unterseitig durch Gipsputz.

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