„Nach Corona werden wirtschaftliche und ressourcenschonende Bauweisen gefragt sein!“
Die Konsequenzen des Shutdowns haben die deutsche Wirtschaft hart getroffen. Ein „Weiter wie bisher“ wird es nach Corona vermutlich nicht geben. Doch wie wird die neue Normalität im Baubereich aussehen? Im Interview erläutern Heinz-Jakob Holland, Vice President Business Development Central Europe der H+H International A/S und Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau und Joachim Kartaun, Leiter strategisches Marketing der H+H Deutschland GmbH, warum das Bauen nach der Krise sowohl ökonomischer als auch ökologischer sein wird und was das Innovationsnetzwerk solid UNIT dazu beitragen kann.
Herr Holland, H+H ist ein europaweit agierender dänischer Konzern. Wie wirkt sich die unterschiedliche Corona-Situation auf die Arbeitsfähigkeit der Standorte aus?
Heinz-Jakob Holland: Die Auswirkungen der Krise sind in unseren 29 Werken sehr differenziert. Die Produktion in Deutschland, Polen und der Schweiz läuft normal, teilweise ist die Auftragslage sogar besser als im vergangenen Jahr. In Großbritannien, wo die allgemeine Wirtschaftslage durch den Brexit schon vor Corona angespannt war, ist die Produktion durch den mit dem Shutdown verbundenen Stillstand der Baustellen zeitweise komplett zum Erliegen gekommen.
Herr Kartaun, kommt es durch die Corona-Schutzmaßnahmen zu Beeinträchtigungen in den deutschen Werken?
Joachim Kartaun: Da wir Teil einer dänischen Unternehmensgruppe sind und Dänemark sehr viel schneller und strikter auf die Corona-Krise reagiert hat, konnten wir eine proaktive Strategie verfolgen. Im Vergleich zu anderen Unternehmen hatten wir einen zeitlichen Vorlauf von 10 Tagen und damit die Chance, die Gesundheit unserer Mitarbeiter und Kunden deutlich früher mit entsprechenden Maßnahmen zu schützen. Das zahlt sich jetzt aus. In vereinzelten Bereichen wie im Außendienst, der aufgrund von Corona vorübergehend weitgehend auf Kundenbesuche verzichtet hat, wurde zeitweise Kurzarbeit eingeführt, aber im Großen und Ganzen spüren wir keine nennenswerten Beeinträchtigungen.
Rechnen Sie im zweiten Quartal 2020 mit Corona bedingten Einbußen?
Heinz-Jakob Holland: Aufgrund der Ausnahmesituation, deren Ausgang weitestgehend offen ist, kann ich keine seriös fundierte Prognose abgeben. Die Bundesregierung tastet sich Schritt für Schritt nach vorne, und auch wir können nur in kurzen Zeitfenstern planen. Noch sind unsere Auftragsbücher gut gefüllt, aber was nach der Sommerpause passiert, ist momentan nicht absehbar. Ich muss jedoch davon ausgehen, dass sich die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit negativ auf unsere Auftragsentwicklung auswirken wird.
Wie bewerten Sie den Rettungsschirm der Bundesregierung?
Joachim Kartaun: Den Fokus auf Unternehmen und Beschäftigte zu legen und ihnen mit finanziellen Hilfen durch die Krise zu helfen, ist der absolut richtige Ansatz. Gerade das Kurzarbeitergeld, das Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen hilft, ist eine Maßnahme, um die uns viele Länder beneiden. Wenn es gelingt, die Wirtschaft zeitnah wieder hochzufahren, hat Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern die besten Voraussetzungen sich konjunkturell zu erholen. Dauert der Shutdown länger und werden die Unterstützungsmaßnahmen für Bevölkerung und Wirtschaft von den politischen Entscheidungsträgern nicht ausreichend kostenbewusst und zielgerichtet eingesetzt und gesteuert, werden die folgenden Generationen aufgrund der entstehenden immensen Schuldenlasten einen hohen Preis zahlen.
Wie müssen die politischen Weichen gestellt werden, damit die Bauwirtschaft zur konjunkturellen Stütze in der Zeit nach Corona wird?
Heinz-Jakob Holland: Wenn uns die Krise eines vor Augen geführt hat, dann wie wichtig systemrelevante Berufe sind. Ob Intensiv-Pfleger, Supermarkt-Kassiererin oder Müllmann – sie sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft funktioniert und machen auch in normalen Zeiten einen großartigen Job. Allerdings können sich die meisten die hohen Mieten in den Städten nicht leisten und müssen täglich ein bis zwei Stunden zu ihren Arbeitsplätzen pendeln. Denn Homeoffice ist in diesen Berufen nicht möglich. Deshalb ist die Politik gut beraten, den Fokus in Zukunft auf den sozialen Wohnungsbau zu legen. Wir als Mauerwerksindustrie unterstützen Länder und Kommunen gerne mit maßgeschneiderten Lösungen bei der schnellen Schaffung bezahlbaren Wohnraums.
Wie wird die „neue Normalität“ in der Bauwirtschaft nach Corona aussehen?
Joachim Kartaun: Auch ich denke, dass wirtschaftliches Bauen nach Corona das Gebot der Stunde sein wird. Außerdem bin ich mir sicher, dass die Bauwirtschaft noch innovativer werden wird. Im Februar dieses Jahres haben Bauwirtschaft, Baustoffindustrie, Universitäten, Forschungs-institute und Verbände aus Baden-Württemberg solid UNIT gegründet, ein Netzwerk, das den innovativen Massivbau vorantreiben will. Zentrale Ziele des Netzwerks sind dabei CO2 Einsparung und nachhaltiges Ressourcenmanagement. Aber auch der Einsatz neuer Technologien soll beschleunigt werden. So zum Beispiel auch das robotergestützte Mauern. Ein vielversprechender Ansatz ist beispielsweise ein Seilroboter für die automatisierte Erstellung von Kalksandsteinmauerwerk, der derzeit von der Forschungsvereinigung Kalk-Sand gemeinsam mit dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar und der Universität Duisburg-Essen entwickelt wird. Angesichts von Fachkräftemangel haben Automatisierungslösungen auf dem Bau großes Potenzial.
Seit Ausbruch des Virus scheint das Thema Klimaschutz keine Rolle mehr zu spielen. Was muss die Politik tun, damit Deutschland seine Klimaziele trotz Corona erreicht?
Heinz-Jakob Holland: Auch wenn der Klimaschutz in der öffentlichen Diskussion momentan in den Hintergrund gerückt ist, für uns als Unternehmer steht er nach wie vor ganz oben der Agenda. In enger Kooperation mit Universitäten und Forschungsinstituten arbeitet die mineralische Baustoffindustrie an entsprechenden Lösungen. Was in Zukunft alles möglich sein wird, zeigt unter anderem das Projekt Baucycle des Fraunhofer Instituts für Bauphysik. Mithilfe eines sensorbasierten Verfahrens ist es gelungen, Bauschutt sortenrein zu trennen. Zudem wurden neue Rezepturen für Porenbetonsteine entwickelt, bei denen 30 % des Primärrohstoffs Sand durch recycelten Porenbeton-Bauschutt ersetzt wird.