Ohne Digitalisierung keine Energiewende
Matthias Hartmann, CEO bei Techem (www.techem.de), äußert sich zu aktuellen Energie-Themen
2045 will Deutschland klimaneutral sein, fünf Jahre früher als bisher geplant. Damit hat die derzeitige Bundesregierung dieses Jahr bereits einen wichtigen Schritt gemacht. Die Trendwende im Kampf gegen den Klimawandel kann aber nur gemeinsam gemeistert werden. So viel steht fest. Fest steht aber auch, dass es ohne eine schnelle Digitalisierung aller Sektoren keine Energiewende geben wird. Denn mit den aktuellen Maßnahmen ist schon das Zwischenziel nach dem europäischen Klimagesetz – eine Nettotreibhausgasreduktion von 55 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 – so gut wie unerreichbar. Und der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC zeigt uns einmal mehr: Wir werden das Limit von 1,5 Grad globaler Erwärmung früher erreichen als bisher angenommen.
Ein düsteres Szenario, das sich auf vielen Ebenen widerspiegelt. Wir dürfen uns daher nicht nur auf die CO2-Vermeidung bei der Energieerzeugung konzentrieren, sondern müssen auch die Energieeffizienz mitdenken, um den Hebel in Richtung Klimaneutralität umlegen zu können. Beides muss Hand in Hand gehen. Gleichzeitig müssen wir die Digitalisierung als Chance begreifen. Denn der Klimaschutz kann durch eine intensivere Nutzung der Digitalisierung und von Daten erheblich vorangetrieben werden. Dafür braucht es verlässliche politische Rahmenbedingungen, für die die neue Bundesregierung hoffentlich die Weichen in die die richtige Richtung stellen wird.
Messen schafft Bewusstsein
Grundvoraussetzung für die CO2-Neutralität im Gebäude ist, Einsparungspotenziale zu erkennen und zu nutzen. Ein wesentlicher Hebel dafür sind möglichst regelmäßige Messungen. Zumeist wird der Energieverbrauch aber nur einmal im Jahr erhoben. Logisch, dass Potenziale viel zu spät und ungenau erkannt werden. Es bedarf daher mehr Transparenz für Verbrauchsdaten, um die Energieeffizienz im Gebäude zu steigern. So wie wir beim Autofahren sehen, wie viel wir gerade verbrauchen, sollten Mietende die Energieverbräuche und damit den eigenen CO2-Fussabdruck ständig im Blick haben können. Die jährliche Abrechnung hilft da aber nur bedingt weiter. Technisch ist ein regelmäßigeres Verbrauchsmonitoring schon heute machbar und auch darüber hinaus helfen Energie- und Maschinendaten, CO2-Emissionen zu reduzieren.
Die nächste Bundesregierung müsste allerdings die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit solche Verbrauchsdaten anonymisiert verarbeitet werden können. Nur so können wir die Energieeffizienz optimieren und den Energieverbrauch reduzieren. Die Novellierung der Heizkostenverordnung (HKVO) spielt hier ebenfalls eine ganz entscheidende Rolle. Sie soll die nötigen Grundlagen auf Basis der EU-Energieeffizienz-Richtlinie (EED) schaffen und sie in nationales Recht umsetzen. Die EED sollte eigentlich bereits zum 25. Oktober 2020 in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Verordnung ist bis heute nicht verabschiedet und daher besteht der ganz klare Auftrag an die Politik, die Umsetzung jetzt zügig voranzubringen.
Daneben kann außerdem modernes digitales Monitoring und eine Optimierung der Anlagentechnik schon heute dazu beitragen, Emissionen zu vermeiden. Allein der dauerhaft optimale, KI-unterstützte Betrieb eines Heizungssystems spart bis zu 20 Prozent an Brennstoffen ein. Das verbessert den CO2-Fussabdruck einer Immobilie schnell und nachhaltig - und entlastet nebenbei auch das Portemonnaie der Mietenden. Die digitale Infrastruktur ist zwingende Voraussetzung für eine Vielzahl von Herausforderungen der Energiewende.
Finanzierbarer und klimaneutraler Gebäudebestand
Klimaschutz im Gebäude ist und bleibt ein sehr komplexes Thema. Wir müssen Emissionen vermeiden, indem wir auf erneuerbare Energien umsteigen. So ist beispielsweise diesbezüglich auch eine Modernisierung der EEG-Umlage von Nöten. Derzeit wirkt die Umlage eher wie eine Innovationsbremse. Es muss mehr Energie aus regenerative Energiequellen kommen denn aus fossilen. Gleichzeitig geht es darum, möglichst viele Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung zu nutzen. Denn mit grünen Energieträgern können wir zwar 50 bis 60 Prozent des CO2-Ausstoßes vermeiden, es gibt aber nicht genügend Speicherinfrastrukturen oder aber Flächen für Photovoltaik oder Windkraft in Deutschland, um den prognostizierten Energiebedarf lückenlos aus regenerativen Energien sicherzustellen. Wir brauchen daher beides: deutlich mehr klimafreundlich erzeugte Energie und umfassende Lösungen, um diese wirklich effizient zu nutzen.
Mit fundierten Daten lassen sich aber noch viel größere Einsparpotenziale in Mehrfamilienhäusern oder ganzen Quartieren realisieren. Energetische Systeme können analysiert, Einsparmaßnahmen definiert und der Energieverbrauch kann nachhaltig reduziert werden. Der große Vorteil von digitalen Lösungen ist, dass sie geringinvestiv sind und keine oder nur ganz geringe bauliche Eingriffe verursachen.
Der Gebäudesektor muss endlich spürbar durch smarte und geringinvestive Technologien die Umwelt entlasten. Die Urbanisierung und eine wachsende Erdbevölkerung fordern neue Konzepte und mehr städtische Wohnfläche. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und der Gebäudesektor trägt maßgeblich dazu bei. Um der Problematik zu begegnen, müssen wir die Kombination aus Energieeffizienz, den Chancen der Digitalisierung, regenerative Energieerzeugung und dem Messen von Verbrauchsdaten forcieren. Wir müssen jetzt die Weichen für morgen stellen. Für uns, aber auch für die nachfolgenden Generationen muss unser Umgang mit Energie schonender und nachhaltiger sein. Die technischen Lösungen sind bereits auf dem Markt vorhanden, es fehlt alleine an den politischen Rahmenbedingungen. Hier muss und kann eine Bundesregierung anknüpfen.