Schlechte Karten
für triste, graue Betonklötze

Farbkonzepte für Wohnanlagen: Bei der Sanierung von Gebäuden wird die immense Wirkung der Gestaltung auf den Betrachter oft unterschätzt.

Der Mensch weiß auf den ersten Blick, ob er sich an einem Ort wohlfühlt oder nicht. Denn das, was man sieht, wird im Gehirn in Windeseile verarbeitet, ausgewertet und gedeutet. Von den Sinnesreizen, die insgesamt auf Menschen einwirken, hat das Sehen besonders hohe Bedeutung. Mit dem Auge werden ca. 80 % aller Sinneseindrücke wahrgenommen. Das Gesehene wird sofort zu Gedanken, Ge­­fühlen und Stimmungen transferiert. Diese fallen bei jedem – je nach individueller Prägung – unterschiedlich aus. Demnach hat also auch das Erscheinungsbild und die Farbigkeit von Siedlungen und Wohnanlagen mehr Einfluss als vielleicht zunächst vermutet.

Die Wirkung auf den Betrachter wird oftmals unterschätzt, wenn bei Sanierungsmaßnahmen lediglich die funktionalen Aspekte im Vordergrund stehen und die Farbgestaltung unberücksichtigt bleibt. Bedingt durch die unterschiedlichen Sichtweisen jedes Einzelnen ist es allerdings eine große Herausforderung, ein Gestaltungskonzept zu entwickeln, das allgemein auf breite Zustimmung stößt. Es soll ästhetisch stimmig sein, das ist meist der gemeinsame Tenor. Darunter wird in der Regel ein schönes, geschmackvolles und ansprechendes Gesamtbild verstanden. Was aber ist schön? Wo fühlen wir uns wohl? Und worauf ist bei einer guten Gestaltung zu achten?

 

Authentische Fassadenfronten

Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick über den heimischen Tellerrand. In anderen Kulturkreisen ist man begeistert von den lebendigen Fassadenfronten alter Stadtkerne, in changierender, warmer Farbigkeit. In Deutschland lässt sich dieser Eindruck durch andere Rahmenbedingungen (Architekturtypologie, Licht, Material, etc.) nicht kopieren, obwohl es gerne versucht wird. Das liegt daran, dass regionaltypische Farbigkeiten an historischen Fassadenfronten authentisch und mit Leben erfüllt wirken. Sie sprechen daher viele Menschen an. Dies gilt auch für historisch gepflegte Städte hierzulande. Altbauten und Fachwerkhäuser werden sehr geschätzt. Ihre Fassadenflächen sind geprägt durch Farbe, dekorative Elemente, unterschiedlichste Materialien und Plastizität. Positive Bewertungen belegen, dass Gestaltungen mit breiter Akzeptanz bei der Bevölkerung trotz differenzierter Wahrnehmung durchaus möglich sind.

Große Wohnkomplexe erscheinen in der Regel wenig abwechslungsreich. Fensteröffnungen und Hauseingänge bilden vielfach ein Raster mit gleichabständigem Rhythmus, der als langweilig und monoton beurteilt wird. Vergleicht man diesen Eindruck mit Bildern aus der Natur, so fällt auf, dass hier alles von Struktur, Bewegung, Farbe und einer gewissen Unordnung lebt. Besonders ansprechende Stadtviertel zeichnen sich interessanterweise durch eine ähnliche Vielschichtigkeit aus.

Identifikation über Farbe

Für die Farbgestaltung großer Wohnsiedlungen müssen bauliche Strukturen meist als Vorgaben akzeptieren werden. Umso wichtiger ist es, mit Farbe den Charakter eines Gebäudes positiv zu beeinflussen, zu unterstreichen und aufzuwerten. Farbe wirkt prägend und sorgt dafür, dass sich Bewohner mit ihrem Haus identifizieren können. Diese haben kaum Einfluss auf die Farbkonzeption ihrer Wohnanlage, wenn Sanierungsmaßnahmen anstehen. Daher ist es für jeden, der Farbentscheidungen zu treffen hat, wichtig, sich von seinen eigenen Farbpräferenzen zu lösen. Der Blick sollte auf die Nutzer gelenkt sein und natürlich auf Baustruktur, -stil, Lage, Umgebung und Materialvorgaben. Die Einbeziehung aller Parameter schafft am Ende ein stimmiges Ergebnis.

Handlungsbedarf ist reichlich vorhanden. Viele Wohnanlagen präsentieren sich wenig einladend. Dabei spiegelt sich eine triste Wohnumgebung vielfach in der Psyche der Menschen. Gerade dann, wenn Lebens- und Wohnalternativen fehlen, entstehen depressive Verstimmungen, aber auch Gewalt und Van­­dalismus. Eine optische Aufwertung si-g­­nalisiert deutlich eine Wertschätzung und Verbesserung der Wohnsituation. Viele Beispiele belegen, welche positiven Auswirkungen eine gelungene Gestaltung auf Wahrnehmung und Stimmung haben kann.

Ein positives Beispiel ist der Wohnpark Els­­teraue in Halle/Saale. Nach umfassenden Sanierungsmaßnahmen und Teilabrissen zeigt sich im Stadtteil Silberhöhe nach mehreren Jahren Bauzeit 2010 eine Wohnanlage mit völlig neuem Gesicht. Die Plattenbauten und Punkthochhäuser entstanden zwischen 1979 und 1989, bedingt durch den enormen Wohnraumbedarf, verbunden mit dem Wachs­­tum der chemischen Industrie. Anfänglich waren die damaligen Neubauten beliebt, weil sie über moderne Ausstattung, wie zum Beispiel eine Zentralheizung verfügten. Im Laufe der Jahre veränderte sich die Wertschätzung dieser Wohnanlagen. Der Wegfall von Arbeitsplätzen führte zu zunehmendem Leerstand. Die aus den sozialen Problemen entstehenden Konflikte bedingten das negative Image des gesamten Stadtteils. Die Entwicklung der Einwohnerzahl ist seitdem stark rückläufig. Sozialforscher erwarten, dass 2015 nur noch etwa 10 000 Bewohner auf der Silberhöhe leben werden.

Daher entschied man sich zum Abriss größerer Wohneinheiten. Gleichzeitig entwickelte sich das Ziel, den Stadtteil kulturell aufzuwerten und durch Aufforstung zur Waldstadt mit Naherholungswert zu machen. Die sozialen Schwierigkeiten und das negative Image der Siedlung waren auch der Halleschen Wohnungsgenossenschaft „Freiheit“ e.G. mit einem Bestand von 684 Wohneinheiten im Jahr 2006 bekannt. Um dem entgegen zu wirken, gründete man eine Interessengemeinschaft. Diese beschloss zu­­nächst eine Namensänderung ihres Wohnquartiers: Aus der Silberhöhe wur­­de der Wohnpark Elsteraue. Beschlossen wurde auch, in das Wohngebiet zu investieren. Im Rahmen der Planungsarbeiten erhielt die Fassadengestaltung des Wohnparks Elsteraue große Bedeutung. Das Caparol-FarbDesignStudio bekam den Auftrag, ein umfassendes Farbkonzept zu entwickeln.

Das Farbkonzept gliedert den Baukörper in vertikaler Ausrichtung durch unterschiedlich farbige Fassadenflächen. Durch die wechselnde Farbabfolge bekommt jedes Haus ein eigenes Gesicht. Das oberste Geschoss ist in hellerer Farbe abgesetzt, wodurch dem Gebäude optisch Höhe genommen wird. Alle Farben bilden Beziehungen untereinander. Diese Verzahnungen bewirken, dass ein prägender Farbcharakter dem Wohnpark eine eigene Ausstrahlung verleiht.

Zufriedene Bewohner

Die Wohnqualität hat sich in vielerlei Hinsicht stark verbessert. Dazu haben auch die Fassadendämmung, die Innensanierung der Treppenhäuser mit neuen Bodenbelägen und Wandbeschichtungen sowie die Modernisierung der Elektroinstallationen beigetragen. Zudem schafft ein Türöffnungssystem mit Gegensprechanlage mehr Komfort und Si-c­­herheit. Graffitikünstler verschönerten zu­­sätzlich triste Durchgangsbereiche.

Diese Maßnahmen führten zwangsläufig zu einer Mieterhöhung, die aber von den Mietern als moderat eingestuft und akzeptiert wird. Der Leerstand ist gering – ein Zeichen, dass man sich hier wohlfühlt. Seit Abschluss der Sanierungsarbeiten genießen die Mieter die Neuerungen der Elsteraue. Besonders langjährige Bewohner, die den Imagewandel di­­rekt miterlebt haben, freuen sich über ihre neue Heimat. „Alles wunderschön gemacht!“, kommentiert Rosemarie Schippritt die Veränderungen. Auch Elfriede Sikora, die seit 1973 im Walkürenring in Braunschweig lebt, bestätigt: „Es ist immer besser geworden“, sagt sie. Die Sanierung mit einem Wärmedämm-Verbundsystem war eine Herausforderung, denn es galt denkmalpflegerische Aspekte zu berücksichtigen. Die Farbgebung orientierte sich an Befunden und führte so zu der kontrastreichen Fassung rötlicher und weißer Farbnuancen. „Die Sanierung hat mir ein wunderschönes Bad, einen Balkon und den Anblick einer Fassade gebracht, die immer strahlt, als ob die Sonne aufgeht“, freut sich Elfriede Sikora. Die Farbgestaltung kommt bei den Mietern an. Für viele Wohnanlagen sind Dämmmaßnahmen in naher Zukunft geplant. Diese bieten gleichzeitig die Chance, das Erscheinungsbild zu verbessern. .

Eine optische Aufwertung signalisiert deutlich eine Wertschätzung und Verbesserung der Wohnsituation. Viele Beispiele belegen, welche positiven Auswirkungen eine gelungene Gestaltung auf Wahrnehmung und Stimmung haben kann.

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