Visionen für die gebaute Welt
Die Produktivität der Baubranche hat sich in den letzten 20 Jahren um nur ein Prozent jährlich gesteigert. Zudem verursacht sie 40 % aller weltweiten CO2-Emissionen und gleichzeitig nimmt die Komplexität von Projekten stetig zu – mit immer mehr Beteiligten und wachsenden Anforderungen an Effizienz und Nachhaltigkeit. Das passt nicht zusammen und zeigt, dass eine tiefgreifende Veränderung der Branche von Nöten ist.
Dafür braucht es Visionen und neue Ideen, wie die gebaute Welt von morgen aussehen kann – nicht nur, bei der Wahl der Baustoffe und Ressourcen. Es braucht auch ein grundsätzlich neues Denken bei der Konzeption unserer Städte und das konsequente Einsetzen digitaler Lösungen bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Gebäuden.
Holzbau in all seinen Facetten
Die Zeiten, als Holz vorrangig als traditioneller, ländlich geprägter Baustoff wahrgenommen wurde, sind längst vorbei. Holz gilt bereits als der neue Beton, denn er hat, wie damals die Entwicklung der Stahl- und Betonbauten das Potenzial, eine Weiterentwicklung der Baubranche herbeizuführen und dabei den Herausforderungen wie Ressourcenmangel und hohen Rohstoffpreisen zu begegnen.
Seit Erstarken der Klimadebatte ist Holz als Baustoff noch populärer. Diese Popularität kommt nicht von ungefähr: Wir müssen sparsamer mit Ressourcen umgehen und den Rohstoff- und Energieaufwand für die Produktion konventioneller Baustoffe zugunsten des Klimaschutzes massiv zurückfahren. Holz verspricht hier eine nachhaltige Alternative zu Stahl und Beton zu sein, die nicht nur regional verfügbar ist und nachwächst, sondern auch als CO2-Speicher dienen kann: Laut einer Studie der University of Washington in Seattle /USA von 2019 können Holzhäuser bis zu 25 % Emissionen einsparen. Allerdings haben die Herkunft des Holzes, die Art der Bewirtschaftung des Waldes und die oft noch zu langen Transportwege großen Einfluss auf die Umweltbilanz von Holz.
Neben den ökologischen Vorteilen hat der Holzbau auch ökonomische Vorzüge. Die Bandbreite der Bauweisen wie Holzmassivbau, Holztafel- oder Holzskelettbau sowie Holz-Hybridbauten bietet eine große Vielfalt an Möglichkeiten. Im Stadtbau erfreut sich Holz aufgrund der standardisierten Produktion mit einem hohen Vorfertigungsgrad in der Werkstatt steigender Beliebtheit: Wo der Platz begrenzt ist oder die räumliche Situation keine lange Bauzeit zulässt, ist eine Just-in-time-Anlieferung von Holzbauelementen in hoher Qualität eine sinnvolle und nachhaltige Lösung, denn Holz ist leichter als Stahl bei gleicher Tragfähigkeit und hat aber die gleiche Druckfestigkeit wie Beton. Die geringe Wärmeleitfähigkeit von Holz ermöglicht es, Tragwerk und Dämmebene in einer Schicht zu konstruieren, was in Städten mit hohem Flächendruck auf die Nutzflächen der ausschlaggebende Punkt sein kann. Holz hat zudem gute Dämmeigenschaften, ist brandsicher, gut schalldämmend und hat positiven Einfluss auf das Wohlbefinden des Menschen.
Der Wettbewerb um das höchste Holzhochhaus hat längst begonnen: Noch darf sich das Mjøstårnet in Norwegen mit 85,5 Metern Höhe als das höchste Holzhochhaus der Welt bezeichnen. Aber die Konkurrenz schläft nicht. In Wien wurde gerade mit dem Hoho in der Seestadt Aspern ein Holzgebäude mit 24 Geschossen fertiggestellt und auch in Städten wie Toronto, Rotterdam und Berlin laufen bereits die Planungen für die neuen Wolkenkratzer aus nachwachsendem Rohstoff.
Und ohne Visionen kein Fortschritt: Auch im Bereich des Holzbaus erfordert die digitale Transformation das Überdenken traditioneller Geschäftsmodelle und eröffnet dabei große Chancen. Der hohe Vorfertigungsgrad und die Kombination von Konstruktionen aus Standardelementen bieten perfekte Voraussetzungen für digitale Lösungen – von der Planung, Vorfertigung bis zur Montage von Holzbauwerken. Aber auch die industrielle Fertigung ist von Interesse: Der Holzbau profitiert dabei von einem Digitalisierungsvorsprung. So können heute schon 3D-Daten aus der Planung direkt in die Fertigung geschickt und Simulationen für die Baulogistik gefahren werden. Für die zukünftigen Herausforderungen braucht es aber noch weitere Innovationen, wie digitale Werkzeuge für Kommunikations- und Informationsprozesse sowie das Management von Lieferketten und Rückbaupotenzialen im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes.
Holz hat das Potential, unsere gebaute Welt nachhaltig mitzugestalten.
Schwimmende Städte als realistische Zukunftsvision?
Viel Potential bietet auch eine andere Herangehensweise an das Thema Klimawandel: Angesichts des steigenden Meeresspiegels, verursacht durch die schmelzenden Polkappen, werden in den kommenden Jahrzehnten große Metropolen in Meeresnähe, wie New York oder Amsterdam, mit Überflutungen zu kämpfen haben. Hier gilt es als Baubranche, zukunftssichere und gleichzeitig realisierbare Konzepte zu entwerfen, die über die Auswahl nachhaltigerer Baumaterialien hinausgeht.
Eine der Visionen, mit denen diese Problematik gelöst werden könnte, sind schwimmende Städte. Doch wie können diese aussehen und wie werden Versorgung und Infrastruktur sichergestellt? Pioniere auf dem Gebiet schwimmender Städte entwickeln erste schwimmende urbane Strukturen, die das statische Netz der Stadt flexibel und nachhaltig ergänzen. Diese Konzepte unterstützen auch die Bewohner*innen der Städte, die derzeit nicht einmal ihre grundlegendsten Bedürfnisse erfüllen können.
Für die Regierung der Malediven, deren Landfläche mehr als 80 Prozent der Gesamtfläche knapp über dem Meeresspiegel liegt, wird derzeit eine Struktur mit schwimmenden Segmenten entwickelt, die den Korallenriffen nachempfunden ist. Ein Ring aus Barriereinseln fungiert unter Wasser als Wellenbrecher, stabilisiert die schwimmenden Plattformen und schützt zugleich die Riffe vor Eingriffen. Ein Netz von Brücken und Kanälen verbindet die verschiedenen Segmente aus Wohnungen, Geschäften, Dienstleistungen, aber auch einer Schule und eines Krankenhauses miteinander, autark versorgt durch erneuerbare Energien.
Ein anderer Ansatz für schwimmende Städte sind schwimmende Module von je zwei Hektar Größe, auf denen bis zu 300 Menschen leben können. Eine Verankerung am Meeresboden stabilisiert und verbindet die Elemente miteinander. Bei starken Stürmen und Wellengang lassen sich die Module lösen und in ruhigere Gewässer transportieren. Die schwimmende Gemeinschaft ist so entworfen, dass sie sich an die sich verändernden Bedürfnisse ihrer Bevölkerung anpassen kann. Der erste Entwurf wird derzeit in Korea geplant. Hier werden sowohl die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Besonderheiten Koreas einfließen als auch innovative Technologien und Materialien. Bis 2025 soll der Prototyp fertiggestellt sein und dann als Blaupause für neue Klimaanpassungsstrategien mit dem Ziel, nachhaltig und anpassungsfähig zu sein, dienen. Dem Anstieg des Meeresspiegels mit neuen Ideen und der Verbindung aus Natur und Technik zu begegnen ist eine nachhaltige und gleichzeitig und vorausschauende Art, die Welt zu gestalten.
Zukunftsvisionen und neue Baumaterialien treffen auf digitale Lösungen
Sowohl der Holzbau als auch die Vision der schwimmenden Städte zeigen: es mangelt nicht an innovativen Ideen. In Kombination mit digitalen Lösungen können nicht nur die Problematik der niedrigen Produktivität und der steigenden Anforderungen an Bauwerke gelöst werden, sondern Bauwerke zudem effizienter und gleichzeitig nachhaltiger geplant, gebaut und auch betrieben werden. Allerdings müssen dafür die verschiedenen Gewerke Hand in Hand arbeiten und offene Standards zur Gewohnheit werden. Der Baulebenszyklus muss als Kreislauf gesehen und das Bauen anders, zukunftsfähiger – und nachhaltiger gedacht werden.
Dafür ist der Einsatz der digitalen Arbeitsmethode BIM (Building Information Modelling) notwendig, die eine präzise, flexible und effizient Zusammenarbeit für alle Beteiligten ermöglicht. Durch den Einsatz digitaler Zwillinge, bei denen Bauwerke erst virtuell und dann real gebaut werden, können budget- und materialintensive Fehler und Mängel vermieden werden. Mit Software können zudem bereits vor dem Bau konkrete Nachhaltigkeitsanalysen durchgeführt sowie der CO2-Fußabdruck der eingesetzten Baumaterialien kalkuliert werden. Planer*innen können dann nachhaltigere Alternativen in Betracht ziehen.
Ein weiterer Schritt zu mehr Nachhaltigkeit ist eine veränderte Konzipierung von Gebäuden: Mittlerweile fallen 80 % aller Planungen bei Umbauten und Renovierungen an. Mithilfe des digitalen Zwillings können solche Veränderungen der Gebäudenutzung bereits in der Planungsphase modelliert werden. Dadurch lassen sich verschiedene Möglichkeiten simulieren und basierend auf ihnen können die Planer*innen die effizientesten und nachhaltigsten Varianten auswählen. In Kombination mit einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle ist es außerdem möglich, die wirtschaftliche Nutzungsdauer von Gebäuden zu verlängern, da Mängel sofort erkannt und behoben werden können.
Sogar die Wiederverwendung von Rohstoffen aus rückgebauten Bauwerken ist durch den Einsatz von BIM-Lösungen möglich. Durch eine lückenlose Dokumentation kann auch Jahre später genau verortet werden, welches Material wo im Gebäude verbaut wurde. Das Gebäude ist damit zukünftiger Rohstofflieferant in einem geschlossenen Gebäudelebenszyklus.
Bei der Nemetschek Group (www.nemetschek.com) betrachten wir daher den Gebäudelebenszyklus als Kreislauf, in dem Daten kontinuierlich gesammelt und weiterverwendet werden. So kann eine ganzheitliche Betrachtung eines Bauwerkes und seiner Rohstoffe – und später – eines ganzen Komplexes, Stadtviertels – und ganzen Kommunen oder Städten erfolgen. Damit ist nicht nur sichergestellt, dass die Baubranche produktiver wird, sondern auch, dass die ambitionierten Klimaziele erreicht werden.