Vom Nutzen der Normung
Nachhaltigkeitsbewertung in Deutschland – beispielgebend und normkonform
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden und baulichen Anlagen ist eine komplexe Aufgabe. Neben der Bearbeitung planerischer und technischer Fragestellungen mussten u.a. ein an die Besonderheiten der Bau-, Wohnungs- und Immobilienwirtschaft angepasstes Nachhaltigkeitsverständnis entwickelt, Bewertungsgrundlagen erarbeitet und Informationsflüsse entlang der Wertschöpfungskette initiiert und operationalisiert werden. Zur Schaffung einheitlicher Grundlagen und Vorgehensweisen bieten sich Normen an. Seit mehreren Jahren sind daher Fragen rund um das Thema „Nachhaltiges Bauen“ Gegenstand internationaler und europäischer Normungsaktivitäten. Die Arbeiten im Rahmen von ISO TC 59 SC 17 und CEN TC 350 werden im Arbeitsausschuss Nachhaltiges Bauen des Normenausschuss Bauwesen im DIN gespiegelt. Die Einbeziehung aller interessierten Kreise erlaubt die Berücksichtigung der Erfahrungen und Interessen relevanter Akteursgruppen aus dem Baubereich. Eine Förderung aus Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) sowie der Koordination Normungsarbeit der Umweltverbände (KNU) unterstützt die Erarbeitung von Grundlagen für Vorschläge und Stellungnahmen sowie die Teilnahme an internationalen Sitzungen. Diese normungsbezogenen Forschungsaktivitäten werden im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) durch das Referat II 6 koordiniert.
Vertreter aus Deutschland arbeiten auf dieser Basis als Experten in internationalen und europäischen Normungsvorhaben engagiert mit. Es gelingt dabei, die für neue Normen benötigten Inhalte zu entwickeln und den Prozess der Meinungsbildung voranzutreiben sowie Grundlagen und Hilfsmittel zur Unterstützung des nachhaltigen Bauens, die in Deutschland erarbeitet und angewendet werden, frühzeitig an den Stand der Normung anzupassen. Dies trifft für die Systeme zur Beschreibung, Bewertung und Zertifizierung des Beitrages von Einzelbauwerken zu einer nachhaltigen Entwicklung (BNB / DGNB) und für die Bereitstellung und Veröffentlichung umwelt- und gesundheitsrelevanter Informationen zu Bauprodukten zu. Es ist gelungen, das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) normkonform zu gestalten und Aufbau und Inhalt der Ökobilanzdatenbank des Bundes (ÖKOBAU.DAT) am Stand der Normung zu orientieren. Erfahrungen aus der Entwicklung und Erprobung des Bewertungssystems und der Datenbank flossen wiederum direkt in die Normung ein. Entstanden ist in Deutschland ein System sich gegenseitig unterstützender Grundlagen und Hilfsmittel, das u.a. seine Inhalte, Ziele und Kriterien aus allgemein anerkannten Schutzgütern ableitet und durch die Bereitstellung von auf einheitlicher Basis erhobenen Daten eine quantitative Bewertung von Wirkungen auf die Umwelt ermöglicht.
Wechselwirkungen und Weiterentwicklung
Normen zum Nachhaltigen Bauen schreiben weder Bauweisen oder Bauprodukte vor, noch nennen sie Grenzwerte für ausgewählte Parameter. Sie dienen vielmehr der Entwicklung und Bereitstellung transparenter und nachvollziehbarer Grundlagen für die Beschreibung und Beurteilung der Nachhaltigkeit von Gebäuden und baulichen Anlagen sowie für eine Ermittlung und Darstellung von Angaben für Bauproduktdeklarationen (EPD’s). ISO 15392:2008 hat wesentlich zur Herausbildung eines einheitlichen Nachhaltigkeitsverständnisses für die Bau- und Immobilienbranche beigetragen. ISO 21929-1:2011 enthält die Liste von Bewertungskriterien, die bei einer Nachhaltigkeitsbeurteilung von Bauwerken im Minimum zu beachten sind. ISO 21930:2007 führte weltweit zu einheitlichen Grundlagen und Vorgehensweisen für die Deklaration umwelt- und gesundheitsrelevanter Eigenschaften von Bauprodukten und erleichtert damit den Datenaustausch und die Beurteilung der Umweltqualität von Bauwerken. Sie befindet sich momentan in Überarbeitung. Derartige Daten sind u.a. eine Grundlage für die Umsetzung der ISO 21931-1:2010.
Mit der künftigen ISO 16745 sollen Grundlagen zur Verfügung gestellt werden, um die Berechnung und Beurteilung von Emissionsbilanzen für Treibhausgase in der Nutzungsphase zu vereinheitlichen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Ansätzen für Gebäude mit mindestens ausgeglichener Energie- und Emissionsbilanz sowie der Diskussion zum klimaneutralen Gebäudebestand gewinnt das Thema in Deutschland rasant an Bedeutung.
Die Normungsaktivitäten im Rahmen von CEN TC 350 greifen die Ergebnisse der internationalen Normung auf, passen diese an die Besonderheiten des europäischen Kontexts an und entwickeln diese durch Präzisierung der Inhalte weiter. Für Bauwerke wurden u.a. mit der Normenserie EN 15643 Teil 1-4 sowohl eine Grundlage für den Nachhaltigkeitsbegriff und die Nachhaltigkeitsbewertung geschaffen als auch eine einheitliche Basis für die Beurteilung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Qualität von Bauwerken einchließlich der Angaben zu Systemgrenzen und Rechenregeln zur Verfügung gestellt. Hervorzuheben ist u.a., dass die EN 15643-1 die Bedarfsplanung von Bauwerken nicht nur von Anforderungen an die technische die funktionale Qualität von Bauwerken abhängig macht, sondern zusätzlich das Formulieren von Zielen hinsichtlich der ökologischen, ökonomischen und sozialen Qualität empfiehlt. In Deutschland wird dies u.a. durch die Anforderung des Bundes aufgegriffen und umgesetzt, bei jedem geeigneten Neubauvorhaben oder auch bei umfassenden Modernisierungsmaßnahmen grundsätzlich mindestens das Qualitäts- und Nachhaltigkeitsniveau „BNB Silber“ zu erreichen.
Die Normung wird u.a. auch dafür genutzt, Fortschritte in der Weiterentwicklung methodischer Grundlagen allgemein verfügbar zu machen und zur Anwendung zu führen. Lange Zeit bestand im Bereich der Erfassung und Beurteilung einer Inanspruchnahme nichtenergetischer Ressourcen eine Lücke. Inzwischen wird sowohl für die Nachhaltigkeitsbewertung von Bauwerken als auch für die Ermittlung und Darstellung umweltrelevanter Informationen zu Bauprodukten die Nutzung des Indikators „Abiotische Ressourceninanspruchnahme – ADP“ empfohlen. Die EN 15804+A1 mitsamt dem ADP-Indikator ist in der neuen ÖKOBAU.DAT 2013 berücksichtigt. Dies hat Konsequenzen für die Nachhaltigkeitsbewertungssysteme. So müssen dort künftig auch die entsprechenden Grenz- und Zielwerte integriert werden.
Für die Hersteller von Bauprodukten bietet die Normung zahlreiche Hilfestellungen für die strukturierte Angabe von umweltrelevanten Merkmalen und Eigenschaften auf einheitlicher Basis. Für den Geltungsbereich Europa gibt es mit folgenden Normen und Berichten detaillierte Handlungsgrundlagen: EN 15804+A1:2013, EN 15942, CEN/TR 15941. Die mit hohem Zeit- und Kostenaufwand auf dieser Basis erstellten Umweltproduktdeklarationen verbessern die Wettbewerbsposition der Hersteller und bilden die Grundlage für die Ergänzung der Datenbank ÖKOBAU.DAT. Damit ist die Durchgängigkeit der Informationsflüsse zwischen einer derartige Daten nachfragenden Gebäudebewertung und der diese Informationen bereitstellenden Produktebene gesichert. Für die Revision der ISO 21930 (Bauprodukte) wird der Ansatz der einheitlichen Erfassung von Bauprodukten und Gebäuden aus den europäischen Normen EN 15804+A1 (Bauprodukte) und EN 15978 aufgenommen, in welchen die Anforderungen an die Berechnungen sehr viel konkreter formuliert sind. Damit werden die praktischen Erfahrungen mit EPD, die hauptsächlich im Bausektor in Europa gesammelt werden, auf die internationale Ebene exportiert. Für die Umsetzung in den europäischen Mitgliedstaaten macht sich die „ECO Plattform“ stark, ein freiwilliger non-profit Zusammenschluss europäischer EPD- Programmbetreiber. Mit gemeinsamen Anforderungen an die Verifizierung der deklarierten Daten wird die Durchlässigkeit der Informationen zwischen den Mitgliedstaaten erreicht. Für die europaweit aktiven Hersteller ist das eine große Vereinfachung, insbesondere auch auf Grund der Aussicht, dass eben diese Anforderungen ggf. international übernommen werden.
Die Prüfung, ob ein weiterer Ausbau des Rüstzeugs an Indikatoren zur Integration von komplexen biologischen Sachverhalten wie Human- und Ökotoxikologie oder Landnutzungsänderungen in die Erfassung der Gebäudequalität sinnvoll und machbar ist, wurde kürzlich in der europäischen Normung beschlossen – nicht zuletzt auf Grund der Nachfrage aus dem Tiefbaubereich. Damit kann die Bauwirtschaft neuere wissenschaftliche Entwicklungen nutzen und einheitlich auf gesellschaftlich drängende Fragen antworten.
Die aktive Mitwirkung bei der Ausgestaltung der Normen und ihre Anwendung versetzt Wissenschaft, Bauwirtschaft, Baustoffindustrie, Immobilienwirtschaft und öffentliche Hand noch besser in die Lage, Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung beim Planen, Bauen und Betreiben von Einzelbauwerken und Gebäudebeständen zu berücksichtigen.
Dr. Eva Schmincke, PE International AG, und Prof. Dr. -Ing. Thomas Lützkendorf, Karlsruher Institut für Technologie.