Nachgefragt bei: Staatssekretär Rainer Bomba
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) veranstaltete am 23. Februar 2012 in Berlin das Symposium „Nachhaltig Bauen – Zukunft gestalten“. Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildeten die hochkarätig besetzten Vorträge zur Präsentation und Würdigung der Ergebnisse, nachhaltiges Bauen erstmals auf die besonderen Anforderungen der Wohnungswirtschaft zu übertragen. Gemeinsam mit den Präsidenten Axel Gedaschko (GdW), Walter Rasch (BFW) und Thomas Pennigh (VPB) überreichte Staatssekretär Rainer Bomba (BMVBS) sechs Urkunden mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau. Die ausgezeichneten Projekte haben erfolgreich die Kriterien des Bewertungssystems Nachhaltiger Wohnungsbau umsetzen können. BundesBauBlatt-Redakteurin Christina Langer sprach mit Staatssekretär Rainer Bomba.
Herr Staatssekretär Bomba, Sie konnten die ersten Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau übergeben. Wie passt dieses neue Qualitätssiegel in die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung?
Mit der Verabschiedung des Programms „Nachhaltigkeit konkret im Verwaltungshandeln umsetzen“ durch den Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung am 6. Dezember 2010 ging es darum, nachhaltiges Handeln auf Bundesebene umzusetzen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die künftige Ausrichtung der Bundesbauten an den Anforderungen des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB). Die Mindestanforderungen für den Neubau von zivilen Bundesbaumaßnahmen wurden mit dem Leitfaden Nachhaltiges Bauen im März 2011 durch das Bundesminis-terium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung verbindlich eingeführt. Die Energieeffizienz von Bundesbauten muss demnach bis zu 30 % besser sein als die strengen gesetzlichen Vorgaben in Deutschland. Insgesamt ist der Silber-Standard für Bauten des Bundes zu erreichen. Der Bund wird damit seiner Vorbildrolle im nachhaltigen Bauen auch weiterhin gerecht. Das neue Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft wurde auf der Grundlage des BNB entwickelt, orientiert sich jedoch an den besonderen Bedürfnissen der wohnungswirtschaftlichen Praxis. Ich begrüße diesen wegweisenden Schritt zu einer breitenwirksamen Umsetzung in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft.
Was zeichnet das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) des Bundes aus?
Für die Umsetzung des Leitfadens Nachhaltiges Bauen in der Bundesbauverwaltung steht mit dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen ein ganzheitliches quantitatives Bewertungsverfahren für Büro und Verwaltungsbauten zur Verfügung. Die Bemühungen der deutschen Bundesregierung sind dabei darauf gerichtet – mit dem neuartigen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz –, ein wissenschaftlich fundiertes und planungsbasiertes Bewertungssystem für nachhaltige Gebäude zu schaffen. Es zeichnet sich durch die umfassende Betrachtung des gesamten Lebenszyk-lus von Gebäuden unter Berücksichtigung der ökologischen, ökonomischen, soziokulturellen Qualität sowie den technischen und prozessualen Aspekten und durch ein transparentes, objektiv nachvollziehbares Bewertungssystem aus und spiegelt damit auch die internationalen Entwicklungen im Bereich Normung zum Nachhaltigen Bauen wider. Für eine Anwendung über die nationalen Grenzen hinaus bzw. für eine Anwendung auf andere Gebäudetypen sind die individuellen Randbedingungen für das jeweilige Land, die Klimazone bzw. den Gebäudetyp herzuleiten und im System anzupassen.
Das Bewertungssystem Nachhaltiger Wohnungsbau wurde entwickelt, um die verschiedenen Aspekte der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau umfassend beschreiben und bewerten zu können. Wie konnte dieser Ansatz umgesetzt werden?
Ausgehend von einer Initiative der Wohnungswirtschaft hat das BMVBS eine Arbeitsgruppe Nachhaltiger Wohnungsbau des Runden Tisches Nachhaltiges Bauen eingesetzt, die zu einer konstituierenden Sitzung zusammengekommen ist. Die Moderation der Arbeitsgruppe wurde von der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH übertragen. In der Arbeitsgruppe arbeiteten Verbände der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Unternehmen der Wohnungswirtschaft und Vertreter weiterer relevanter Akteursgruppen, wie z.B. der Mieterbund und der Verbraucherzentrale Bundesverband sowie Forschungseinrichtungen mit. Die Organisation und Koordination erfolgt durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Mit der Vergabe eines Forschungsvorhabens im Rahmen der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ an Herrn Prof. Dr.-Ing. habil Thomas Lützkendorf, Lehrstuhl für Ökonomie und Ökologie des Wohnungsbaus am Karlsruher Institut für Technologie konnte eine qualifizierte wissenschaftliche Begleitung und Beratung sichergestellt werden. Damit konnte die Arbeitsgruppe auf langjährige Erfahrungen aus der Entwicklung und Erprobung von Bewertungssystemen zum nachhaltigen Bauen sowie Kenntnisse der aktuellen nationalen und internationalen Normung aufbauen. Mit der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe wurde erreicht, dass die Rahmenbedingungen des Wohnungsbaus sowie die Anforderungen und die Erfahrungen der Wohnungswirtschaft und weiterer interessierter Kreise laufend in den Entwicklungsprozess einfließen konnten.
Für welche Gebäude kann das neue Qualitätssiegel derzeit Anwendung finden?
Im Ergebnis der intensiven Diskussionen in der Arbeitsgruppe konzentriert sich das entwickelte Bewertungssystem für den nachhaltigen Wohnungsbau in einem ersten Schritt auf die Beschreibung und Bewertung neu zu errichtender Mehrfamilienhäuser. Als freiwillige Maßnahme basiert die Bewertung auf den besonderen Grundlagen des Wohnungsbaus und soll die besonderen Interessen bestandserhaltender Wohnungs- und Immobilienunternehmen angemessen berücksichtigen. In einer weiteren Phase könnte es ggf. an die Besonderheiten kleiner Wohnbauten angepasst werden.
Wie reagiert das Bewertungssystem auf die Besonderheiten des Wohnungsbaus?
In der Arbeitsgruppe Nachhaltiger Wohnungsbau wurden Anforderungen an die Entwicklung der Beschreibung und Bewertung von neu zu errichtenden Wohnbauten formuliert, die die Basis für das Bewertungssystem bilden. Da Wohnen ein unverzichtbares Grundbedürfnis ist, sind Wohnungen auch Sozialgut. Es bleibt eine wesentliche Aufgabe der Wohnungswirtschaft, eine Versorgung mit Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten zu sichern. Die planerische Lösung basiert im Wohnungsbau im Wesentlichen auf den strategischen und wirtschaftlichen Zielen der Unternehmen sowie den vorzufindenden vielfältigen Rahmenbedingungen z.B. im Ergebnis einer Standort- und Marktanalyse. Die Beschreibung der konkreten Standortsituation sowie des wohnungswirtschaftlichen Konzepts soll daher der Beschreibung und Bewertung der Nachhaltigkeit neu zu errichtender Mehrfamilienhäuser vorangestellt werden.
In welcher Form erfolgt die Bewertung als Grundlage für eine Vergabe des Qualitätssiegels Nachhaltiger Wohnungsbau?
Zentrales Element ist die Bewertung der Wohnqualität im Sinne der Zusammenfassung der Ergebnisse einer Beurteilung der funktionalen und sozialen Qualität. Die Beschreibung und Bewertung erfolgt auf der Basis der Erfüllung funktionaler Anforderungen der Wohnbereiche. Die Bewertung der ökologischen Qualität stützt sich u.a. auf die Ergebnisse einer Ökobilanzierung und die primärenergetische Betrachtung ab. Die ökonomische Qualität wird wesentlich durch die Lebenszykluskostenrechnung dargestellt, ergänzt durch die Werthaltigkeit der Investition, als Verhältnis von Investitionskosten zum Marktwert sowie die Betrachtung der mittel- bis langfristigen Wertstabilität in Abhängigkeit von ausgewählten Objektmerkmalen. Die Art und der Umfang der Beschreibung der technischen Qualität sowie der Prozessqualität orientieren sich im Wesentlichen am BNB-System für Büro- und Verwaltungsgebäude. Auf Wunsch der beteiligten Unternehmen und Verbände wurde für die Zusammenfassung der Ergebnisse ein einstufiges Verfahren gewählt, das sowohl zu bewertende wie auch zu beschreibende Kriterien enthält. Die Ergebnisse werden detailliert ausgewiesen und in einem Stärkenprofil zusammengefasst. Über eine externe Qualitätssicherung wird sowohl die Vollständigkeit der Beschreibungen wie auch die Einhaltung der Mindestanforderungen überprüft. Die Gesamterfüllung wird mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau dokumentiert. Die Vergabe des Qualitätssiegels erfolgt durch den Trägerverein „Verein zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau“ auf Basis einer Zertifizierungsordnung. Um dieses Instrument Unternehmen zu angemessenen Kosten anbieten zu können, haben sich wohnungs- und immobilienwirtschaftliche Bundesverbände sowie verwandte Organisationen und Einrichtungen in diesem Trägerverein zusammengeschlossen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen zum Verein zur förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau gibt es unter www.nawoh.de.