Wegweisend und innovativ
Die dezentrale Energieversorgung von Siedlungen und Quartieren wird zunehmend zum städtischen Gestaltungselement. Die Beispiele Lok.West in Esslingen und eine Münchner Passivhaus-Siedlung sind Vorbilder auf technischer und infrastruktureller Ebene.
Zur lokalen Versorgung mehrerer Wohneinheiten mit vor Ort erzeugtem Strom werden zunehmend komplexe Mieterstromkonzepte umgesetzt. Sie bieten Haushalten ein Plus an Komfort, erleichtertes Energiesparen sowie neue Infrastrukturangebote etwa im Bereich der Elektromobilität. Grundlage dafür ist die gebäudeübergreifende, intelligente Vernetzung aller Stromverbraucher und Erzeuger inklusive technologieoffener Schnittstellen für künftige Versorgungslösungen und Services. Damit ebnet Mieterstrom den Weg in die Smart Cities von morgen.
Autarke Energieinfrastruktur
Angesichts zunehmender Verbesserungen in der Energieeffizienz von Gebäuden hat der Stromverbrauch einen immer höheren Anteil an den Energiekosten eines Haushalts und gewinnt entsprechend an Aufmerksamkeit. Passivhäuser benötigen beispielsweise bis zu 90 % weniger Heizwärme als ein Haus im Baubestand und 75 % weniger als ein typischer Neubau. Ziel von Mieterstromlösungen ist es, möglichst viel Strom vor Ort zu erzeugen und zu nutzen. Dann sparen die Mieter am meisten und die Amortisationszeiten der Anlagen verkürzen sich. Energieexperten sprechen vom Autarkiegrad, also dem Grad der Unabhängigkeit von der öffentlichen Stromversorgung. Letztlich ist Mieterstrom somit eine Strompreisbremse mit positiver Ökobilanz.
In einer Passivhaus-Siedlung im Münchner Prinz-Eugen-Park haben Polarstern als Mieterstromdienstleister und das Architekturbüro NEST Ecoarchitektur die auf sechs Wohngebäuden installierten Photovoltaikanlagen so verknüpft, dass die hier erzeugte Energie in die Mieterstromversorgung aller Mieter einfließt. Damit steht jedem Mieter nicht nur der Strom vom eigenen Dach zur Verfügung, vielmehr teilen sich alle den erzeugten Strom. Dadurch kann die erzeugte Strommenge effizienter genutzt und je nach Bedarf von einem zum nächsten Gebäude geleitet werden. Zusätzlich wurde ein großer Batteriespeicher installiert, so dass noch mehr Strom selbst genutzt werden kann. Für die Photovoltaikanlage mit einer Gesamtleistung von rund 80 kW wurde ein Batteriespeicher mit 150 kWh nutzbarer Speicherkapazität installiert. Damit wird der Autarkiegrad, den das Gebäude nur mit der Photovoltaikanlage erzielen würde, durch den Speicher mehr als verdoppelt. Das heißt der Autarkiegrad der Stromversorgung liegt in dieser Passivhaus-Siedlung entsprechend bei 50 %.
Neben den Vorteilen für die Mieter haben weitgehend lokale Mieterstromsysteme mit Batteriespeicher den Vorteil, dass sie die Bedarfsspitzen am Morgen und Abend glätten und damit die angespannte, öffentliche Netz-Infrastruktur entlasten.
Einfluss auf die Wärmeversorgung
Immer öfter verbessert Mieterstrom sektorenübergreifend die Ökobilanz zum Beispiel, wenn Anlagen zur Strom- und Wärmeversorgung verknüpft werden, etwa Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen. Wärmepumpen sind große Stromverbraucher. Luft-Wasser-Wärmepumpen gewinnen zum Beispiel bis zu 80 % der benötigten Energie kostenlos aus der Luft. Für die restlichen 20 % wird Strom benötigt. Wird dieser Strom nun zum Teil selbst erzeugt, verändert sich durch Mieterstrom auch die Wärmeversorgung der Siedlungen. Sie wird autarker und erneuerbar.
Insbesondere Warmwasser-Wärmepumpen können im Sommer nahezu komplett mit selbst erzeugter, solarer Energie betrieben werden. Umgekehrt können die Wärmepumpen netzstabilisierende Energiedienstleistungen erbringen, indem sie sowohl als steuerbare Last als auch im Eigenverbrauch betrieben werden. Genauso laufen auch andere Heizungsanlagen wie etwa Blockheizkraftwerke durch die Verbindung mit Mieterstrom effizienter. Der vor allem im Winter erzeugte Strom wird direkt in der lokalen Stromversorgung genutzt und gleicht damit die naturgemäß reduzierte Solarstromerzeugung von Photovoltaikanlagen ein wenig aus. Im Esslinger Quartier Lok.West erhält das erste fertiggestellte und später zweitgrößte Gebäude Béla eine Photovoltaik-Dachanlage mit einer Leistung von 260 kWp und rund 780 installierten Hochleistungsmodulen. Zusammen mit einem BHKW, das 70 kWel erzeugt, werden bis zu 70 % des Strombedarfs gedeckt – und das ohne Speicher.
Strom teilen
In Mieterstromprojekten wird heute schon das umgesetzt, was in Zukunft gebäude-und quartiersübergreifend möglich sein wird: Das Teilen des lokal erzeugten Stroms. Es ist eine wichtige Entwicklung, um die dezentral Stromversorgung fair zu gestalten und alle Haushalte einzubeziehen. Auch diejenigen Gebäude, die zur eigenen Stromerzeugung ungeeignet sind, weil sie nicht genügend Platz für die notwendige Anlagentechnik haben, müssen langfristig integriert werden. Aktuell ist das Teilen zwischen einzelnen Strom erzeugenden und verbrauchenden Haushalten aus regulatorischen Gründen noch nicht möglich. In Siedlungen wie der im Prinz-Eugen-Park wird dieser Umstand bisher durch geschickte Elektroplanung umgangen.
Intelligentes Wohnen
Zur Mieterstromversorgung werden meist heute schon Smart Grids mit Smart Metern installiert. Sie erleichtern und ermöglichen Prozesse der intelligenten Netzsteuerung, der integrierten und variablen Abrechnung und der effizienten Stromversorgung. Für den Haushalt ist das spürbar in flexiblen Tarifen bis hin zu Services rund um altersgerechtes Wohnen.
Im Falle von flexiblen Tarifen gewinnt der einzelne Haushalt beispielsweise an Einfluss auf seine individuellen Stromkosten. Schließlich schlägt sich sein energiebewusstes Verhalten direkt auf seine Stromkosten nieder. Ohne solche flexiblen Tarife wird die größtmögliche Stromautarkie über das Gesamtgebäude berechnet.
Wie sehr die Umsetzung von Mieterstrom im Smart Grid mit Smart Metern die effektive Nutzung von Mieterstrom steigert, zeigt das Beispiel Lok.West. Mittels smarter Vernetzung der Stromverbrauchsstellen und der Energieerzeugungsanlagen sowie der Integration von Wetterinformationen im Rahmen der Cloud-Infrastruktur wird das Energiebewusstsein der Bewohner gestärkt. Erhalten sie beispielsweise per Smartphone-App täglich eine Information, wann der Stromverbrauch heute am günstigsten ist, können sie die Laufzeiten von gewissen Elektrogeräte wie Wasch- und Spülmaschine entsprechend programmieren. In Zukunft werden die Geräte direkt mit dem Smart-Meter-Gateway kommunizieren und automatisch ihren Betrieb starten, wenn die Situation zur Energieerzeugung besonders günstig ist. Maßnahmen wie diese zur Stärkung des Energiebewusstseins sind einmal wichtig, da steigender Wohlstand bislang mit steigendem Energieverbrauch einhergeht. Es ist eine Entwicklung, die es zu durchbrechen gilt.
Elektro-Mobilitätsservices
Im Zuge von Mieterstromprojekten werden häufig ganze Elektromobilitätskonzepte erstellt. E-Ladestellen und Angebote wie E-Car-Sharing, E-Roller und E-Bikes sind angesichts des quasi kostenlos verfügbaren Solarstroms attraktive Dienstleistungen für die Mieter.
In der neuen Münchner Passivhaus-Siedlung wurde die Hausanschlussleistung für Strom dazu soweit erhöht, dass neben dem Haushalts-Strombedarf der Gebäude, perspektivisch an jedem einzelnen Stellplatz Elektrofahrzeuge gleichzeitig geladen werden können. Die Ladestationen sind den jeweiligen Wohnungszählern zugeordnet und können so direkt mit den Mietern abgerechnet werden.
Ähnlich wird das Elektromobilitätsangebot im Quartier Lok.West realisiert. Zusätzlich werden die Speicher der parkenden Elektroautos bei Strombedarfsspitzen angezapft, um den lokalen Strombedarf zu stillen. Und umgekehrt werden bei sehr großer Stromerzeugung, die über den Bedarf hinausgeht, die Speicher der Elektroautos geladen. Solche Vehicle2Grid-Konzepte werden aktuell in Forschungsprojekten wie dem in Lok.West erprobt. Es soll als Blaupause für die Integration in großen Verteilnetzen dienen.
Auch werden im Zuge der Forschungsförderung „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt“ durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine sektorübergreifende Nutzung regenerativer Stromüberschüsse ermöglicht. Dabei wird das Quartier zum Beispiel über Elektrobusse mit dem Mobilitätskonzept der Stadt verknüpft.
Gerade über netzdienliche Leistungen durch die oben genannte Nutzung etwa von Elektroautos und Wärmepumpen erschließen Immobilieneigentümer und Anlagenbesitzer neue Einnahmequellen, welche die Amortisationszeiten der benötigten Anlagentechnik verkürzen und dadurch die Entwicklung neuer Angebote in der Wohn- und Städteplanung unterstützen.
Digitale Prozesse
Die dezentrale Mieterstromversorgung mit ihren Microgrids fördert die Entwicklung neuer energiewirtschaftlicher Prozesse und Abläufe. Dazu werden in Feldtests kleine Strommengen in Peer-to-Peer-Prozessen gehandelt und abgerechnet. Ermöglicht wird das durch den Einsatz von Smart Metern, mit denen Lokalstrommengen in Echtzeit und vollautomatisch gemessen, abgerechnet und übertragen werden. Es ist die Basis zur Optimierung energiewirtschaftlicher Prozesse wie zum Beispiel das Bilanzkreismanagement. Und es macht Mieterstrom auch mit sehr wenigen Parteien wirtschaftlich, weil der administrative Aufwand deutlich kleiner ist.
Durch die vielfältigen Schnittstellen zu anderen Sektoren und die erweiterten Serviceleistungen ist die Mieterstromversorgung ein zentrales Gestaltungsmittel künftiger Wohn- und Lebensverhältnisse. Die derzeit entstehenden ökologischen Musterquartiere sind mit ihrem Energiekonzept eine tragende Säule künftigen Wohnens.
In einer Siedlung des Prinz-Eugen-Parks sind
die Photovoltaikanlagen so verknüpft, dass die Energie in die Mieterstromversorgung aller Mieter einfließt.
Mit smarter Vernetzung der Stromverbrauchsstellen und der Energieerzeugungsanlagen wird das Energiebewusstsein der Bewohner gestärkt.