Die Wiege des
nachhaltigen Bauens
Die Bau- und Immobilienbranche verschlingt rund die Hälfte des europäischen Ressourcenverbrauchs und verursacht gut 60 Prozent des Abfalls. Mit der gängigen linearen Wirtschafts- und Bauweise lassen sich die Klimaziele nicht erreichen, es muss ein Umdenken her: Kreislauffähiges und gesundes Bauen nach dem Cradle to Cradle-Prinzip bietet eine umweltverträgliche Alternative.
Wie das funktioniert, veranschaulicht das Düsseldorfer Bürogebäude The Cradle. In dem Pionierprojekt kommen weitestgehend Materialien zum Einsatz, die sortenrein trennbar, rückbaubar und nach ihrer Nutzungszeit im Gebäude wiederverwertbar sind. Dadurch verwandelt sich das Holzhybrid-Bürogebäude in ein wahres Materiallager. Dabei wird das Cradle to Cradle-Designprinzip erstmals mit der digitalen Planungsmethode BIM verknüpft.
Der Name des Zukunftsbaus am Düsseldorfer Medienhafen ist vom „Cradle to Cradle“ (wörtlich übersetzt: „von der Wiege zur Wiege“)-Prinzip abgeleitet, kurz C2C. Im Kern geht es bei dem Prinzip darum, Rohstoffe für Produkte, Prozesse und Gebäude bereits in der Planung so einzusetzen, dass sie bei einer späteren Umnutzung wiederverwertet oder komplett abbaubar in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Damit werden der Ressourcenverbrauch und das zukünftige Abfallaufkommen reduziert und Materialien stattdessen als Nährstoffe betrachtet.
INTERBODEN, der Bauherr und Projektentwickler von The Cradle, hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele C2C-Aspekte in den Bau zu integrieren: 97,7 Prozent der Materialien können in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Begleitet wird das Projekt von der Hamburger EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer, wo vor allem interdisziplinäre Forschungsteams, darunter Chemiker, Ökologen oder Materialspezialisten, arbeiten. Eröffnet wird das von den HPP Architekten entworfene Leuchtturmprojekt 2023.
Ohne gesunde Materialien keine nachhaltigen Gebäude
Bislang bleiben verborgene, aber recyclingfähigen Schätze wie Beton, Mauerstein, Stahl, Holz oder Kunststoff bei der Planung, im Bau und auch beim Abriss weitgehend unberücksichtigt. The Cradle wiederum verwandelt sich durch den Cradle to Cradle-Ansatz zu einem langlebigen Rohstofflager. Um verbaute Materialien in einen Kreislauf zurückführen zu können, sind Faktoren wie Trennbarkeit von Bedeutung. Damit ist The Cradle flexibel und umnutzbar konstruiert: Die ausgewählten Materialien sind leicht zu demontieren, sortenrein trennbar und dadurch vollständig recyclebar. So ist beispielsweise die Fassade für eine spätere Demontage ausgelegt, genau wie die tragende Holzkonstruktion.
Die Ressourcen im Gebäude sind mit dem aktuellen Preis über die Rohstoffbörse verknüpft, was zum Werterhalt oder gar seiner Steigerung beiträgt. Urban Mining nennt sich dieses Prinzip, das nur funktioniert, wenn die eingesetzten Rohstoffe kreislauffähige Eigenschaften haben. Bislang mangelte es auch an der Dokumentation, welche Produkte und Materialien in einem Gebäude verbaut sind und über welche Rohstoffwerte es verfügt. Um die Kreislaufwirtschaft in der Bau- und Immobilienbranche voranzubringen, ist eine Art Ressourcenpass fürs Gebäude notwendig, der detailliert Auskunft darüber gibt, welche Bauprodukte und -materialien eingesetzt werden.
Ein Ausweis gibt Auskunft über verbautes Material
Bei The Cradle werden alle Materialien in einem sogenannten „Building Circularity Passport“ der EPEA GmbH erfasst. Als Planungs- und Dokumentationsinstrument gibt er detailliert Auskunft darüber, welche Materialien eingesetzt wurden und liefert eine Analyse über ihr jeweiliges Kreislaufpotenzial. Er erfasst alle bauökologischen Informationen zu den eingesetzten Materialien und Konstruktionen – das schließt beispielsweise Information über deren chemische Beschaffenheit mit ein. Analog zur Funktionsweise des Gebäude-Energiepasses informiert der „Building Circularity Passport“ darüber, wie CO2-intensiv und nachhaltig das verwendete Baumaterial ist. Außerdem gibt er Auskunft über den verbauten Rohstoffwert des Gebäudes. sowie den verbauten Rohstoffwert des Gebäudes. Wie hoch der Wert ausfällt, lässt sich etwa über das digitale Materialkataster Madaster erfahren, das mit der Rohstoffbörse vernetzt ist.
Erstmalig werden bei The Cradle die Daten im „Building Circularity Passport“ mit einem digitalen Gebäudezwilling verknüpft: In Verbindung mit der digitalen Planungsmethode Building Information Modeling, kurz BIM, ist im Modell genau ersichtlich, welche Materialien mit welchen Stoffen an welchen Stellen im Gebäude verbaut sind. Eindeutige Ampel-Farbskalen helfen dabei, unterschiedliche Qualitäten zu identifizieren und zu bewerten. Ist zum Beispiel die einfache Trennbarkeit der Materialien noch nicht oder nicht ganz gewährleistet, erscheint das zugehörige Bauteil in Rot oder Gelb. Kreislauffähige Produkte erscheinen in Grün. So ist sofort im Modell ersichtlich, welche Elemente bereits die Cradle to Cradle-Standards erfüllen und wo noch Verbesserungsbedarf besteht. Wenn das Gebäude am Ende seiner Nutzungszeit um- oder rückgebaut wird, liegt automatisch ein digitaler Plan mit allen wichtigen Informationen vor.
Investition rechnet sich
Investitionen in kreislauffähige Gebäude fallen zunächst höher aus als bei konventionellen Immobilien, zumal ein höherer Fachfragen-Bedarf besteht. Auf den gesamten Lebenszyklus betrachtet, rechnen sich die Mehrkosten jedoch, denn das Gebäude als Materiallager ermöglicht den Verkauf des Altmaterials nach der Nutzungszeit, Einsparungen gibt es auch bei den verminderten Entsorgungskosten. Dazu profitieren Eigentümer von kontinuierlich steigenden Rohstoffpreisentwicklungen ohne in die Lagerung von Rohstoffen investieren zu müssen. Das an Baustoffe gebundene Kapital geht dadurch nicht verloren. Neben wirtschaftlichen Vorteilen ist es aber auch die Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft, die The Cradle zu einem wahren Pionierbau macht.