Recycelbare Modulbausysteme

Dreht sich am Bau künftig alles im Kreis?          

Die Bau- und Immobilienwirtschaft muss ihre CO2-Emissionen und ihren Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren. Eine Lösung dafür bieten modulare Bauweisen, mit denen sich vielfältige Gebäudetypen und -nutzungen realisieren lassen und die Wiederverwendung ermöglichen. Das Potenzial für dieses kreislauffähige Bauen ist riesig.

Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Sie muss ihre jährlich in die Luft geblasenen gut 115 Mio. Tonnen CO2[1] und ihre rund 230 Mio. Tonnen Bauschutt und Abbruchabfälle[2] rigoros minimieren. Aktuell ist die Branche einer der größten Klimasünder und der Hauptmüllverursacher in Deutschland. Zudem ist das Bauen infolge steigender Materialkosten, Energiepreise und Bauzinsen teuer und obendrein langwierig.

Würde modulares Bauen genutzt, bei dem unter industriellen Bedingungen dreidimensionale Raummodule erstellt und anschließend als vorgefertigte Bauteile nach Art des Baukastenprinzips auf der Baustelle zusammengeführt werden, könnten einige der Herausforderungen, vor denen die Immobilienwirtschaft steht, bewältigt werden. Überdies ließen sich Bauvorhaben schneller abwickeln und realisieren. Bauteile am Fließband herzustellen, wie Autos entlang einer Produktionsstraße, ist nicht neu. Die Fertighausindustrie macht das seit Jahren erfolgreich. In 2021 erzielte die Branche einen Rekorderlös von rund 3,5 Mrd. Euro. Mehr als jedes fünfte Eigenheim entsteht mittlerweile in Fertigbauweise. Auch mehrgeschossige Wohngebäude ließen sich damit erstellen, würde Holzbau größer gedacht.

Gebäude als Service  

Martin Bratke, Gründungspartner von Urban Beta, einer Agentur für Rauminnovationen mit Büros in Berlin und Kiel, ist einer, der Holzbau größer denkt. Mit sechs Mitstreitenden entwickelte der Architekt eine Lösung für nachhaltige Architektur auf Abruf namens „BetaPort“. Dahinter steckt ein modulares Bausystem aus wiederverwendbaren Holzbausteinen, mit dem diverse Gebäudeformen und -nutzungen realisierbar sind, zum Beispiel das auf dem diesjährigen Greentech Festival in Berlin präsentierte „Mobility Hub“, eine flexible, materialsparende Möglichkeit für innerstädtische Mobilität oder die gemeinsam mit der Berliner Stadtmission, der Ingenieurgesellschaft Arup und der Bauhaus Universität Weimar erprobte adaptive, kostengünstige Wohnstruktur „Betahood“, die mit wenigen Handgriffen genauso schnell auf- wie aus- und abgebaut ist.

„Die computergestützte Planung ermöglicht maximal effiziente Gebäudelayouts verbunden mit automatischer Herstellung und Produktionsketten“, erklärt der Planer das zirkuläre Building-as-a-Service-Konzept. Herzstück ist ein Konfigurator, der als interaktive Plattform dient und alle Projektbeteiligten in die Planung einbezieht. Mögliche Fehlerquellen in der Ausführung, Herstellung und Konstruktion vor Ort minimieren Machine Learning und individuelle Algorithmen. Kooperationspartner ist die Gebrüder Schütt KG in Schleswig-Holstein. Das 1889 als Zimmerei gegründete Unternehmen fertigt mit der eigens für den seriellen Holzhybridbau erdachten Smart Modular Building-Methode in kürzester Zeit Bürobauten, mehrgeschossige Wohngebäude und fertige Raummodule von Tiny-Homes bis Micro-Workingspaces.

Dass Gebäude nach nicht einmal 30 Jahren Nutzungsdauer abgerissen würden, müsse in Anbetracht des enormen Rohstoffeinsatzes der Vergangenheit angehören, meint  Bratke, weshalb in der Bauwirtschaft andere Perspektiven nötig wären. „Es braucht ein Ökosystem rund um Gebäude, das die Rückbaufähigkeit und Wiederverwendung aller Materialien inkludiert.“ Aktuell tüftelt er an einem Mietmodell für das bauaufsichtlich typenzugelassene Modulbausystem als Alternative zum Gebäudekauf. Erste Anfragen, wie das konkret aussehen soll, gebe es seitens Kommunen und von Wohnraumanbietern bereits.  

Weniger ist mehr  

Auch TRIQBRIQ will die linearen Prozesse der Bau- und Immobilienwirtschaft ändern. Das 2021 in Stuttgart gegründete Start-up produziert und vertreibt das gleichnamige Massivholz-Bausystem, das aus standardisierten Holzbausteinen besteht, die aus nachhaltigem Schwach- und Schadholz hergestellt werden. Die Grundlage für die patentierte Technologie, die vom Deutschen Institut für Bautechnik im Juli 2022 ihre allgemeine bauaufsichtliche Zulassung erhielt, lieferte der Architekt Werner Grosse, der mehr als 20 Jahre Erfahrung in Holzbauweisen hat und über 30 Bauvorhaben in Europa realisierte.

Das ebenfalls patentierte Dübel-Verbindungssystem erlaubt eine Fertigung ohne künstliche Verbindungsmittel, wodurch sich die Holzbausteine (Briqs) sortenrein zurückbauen und komplett wiederverwenden lassen. Zudem kann die Produktionsanlage flexibel auf Sturmschäden oder eine Borkenkäferplage reagieren, indem die Bausteine direkt vor Ort produziert und von dort zur nächsten Lager-, Verkaufs- oder Baustelle transportiert werden. „Früher wurden Häuser mit nur 15 verschiedenen Rohstoffen gebaut. Heute sind es über 1.500. Unser Planungsprozess folgt demCredo weniger ist mehr“, sagt Geschäftsführer Max Wörner.

Zwar sei die Reduktion der Baustoffe wie auch die Verwendung nachhaltiger Ressourcen effizienzsteigernd, dies spiegele sich in der Gesetzgebung aber noch zu wenig wider. Immer noch würde unnötig kompliziertes Vorgehen gefordert, das mittels nachhaltiger Bauweise deutlich einfacher umzusetzen wären. Dabei sei der Vorteil für das Klima nachgewiesen: So habe der TÜV Nord bestätigt, dass in einem TRIQBRIQ-Rohbau über 200 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter Wandfläche eingelagert wären.

Überdies kann das System durch günstigen Rohstoffeinkauf mit herkömmlichen Ziegelsteinen konkurrieren. Manche Bauherren hat das Potenzial der überdimensionierten Legosteine schon überzeugt. Laut Unternehmenssprecher Lewin Fricke befinden sich derzeit mehrere Projekte in der Planungs- und Genehmigungsphase, die teilweise noch in diesem Jahr beginnen. Darüber hinaus gehört das Start-up zum Netzwerk der IBA ´27, der Internationalen Bauausstellung, die 2027 in und um Stuttgart stattfindet und als zentrales Thema die Neuerfindung der Region hat.

Kunstharz statt Zement

Während die beiden vorgenannten Jungunternehmen Holz für ihr kreislauffähiges Modulbausystem nutzen, setzt das im thüringischen Suhl beheimatete Start-up Polycare den Werkstoff Polymerbeton für seinen Bausatz ein. Anders als üblicher Beton, der aus Zement, Wasser und Gesteinskörnungen besteht, enthält Polymerbeton ausschließlich flüssiges Kunstharz als Bindemittel, das wegen seines niedrigeren Energieverbrauchs, seines geringeren Gewichts und seiner längeren Lebensdauer einewesentlich bessere Ökobilanz hat[3]. Nach Berechnungen der TU Berlin verursacht die Herstellung eines Kubikmeters Beton mit Zement 850 Kilogramm CO2. Wird die gleiche Menge unter Zugabe von Polyester- und Epoxidharzen produziert, senkt das den CO2-Ausstoß um 50 bis 70 Prozent[4].

Der Gründer und Geschäftsführer von Polycare, Dr. Gerhard Dust, entdeckte die Technologie eher zufällig, als er vor fast 15 Jahren in Kontakt mit ihrem Erfinder Gunther Plötner kam. In der DDR konstruierte der Ingenieur, der ebenfalls zum Gründungsteam von Polycare gehört, Maschinen zur Wurstherstellung und forschte nebenbei an einer Technik, mit der aus Polymerharz und dem Abfallstoff Flugasche Beton herzustellen war. Heute ist das Start-up fähig, selbst Wüstensand zu Beton zu verarbeiten, obwohl dieser dafür aufgrund seiner feinen, runden Körnung eigentlich ungeeignet ist.

„Für den Bau einstöckiger Gebäude hat uns das Deutsche Institut für Bautechnik die Zulassung in 2021 erteilt“, berichtet Andreas Kunsmann, der das operative Geschäft leitet. Technisch möglich seien bis zu drei Geschosse, was aber noch nicht genehmigt wäre. Als Demonstrationsobjekt dient das cirka 100 Quadratmeter umfassende aus Polyblocks erstellte Gebäude auf dem Firmengelände einer früheren Glasbläserei im Ortsteil Gehlberg, in dem das Start-up seine Büroräume unterhält. Nur einen Tag hat der Aufbau gedauert, für den nicht einmal zehn Leute nötig waren. Mit den fünf verschiedenen Bausteinen plus Boden- und Deckenschienen lässt sich praktisch jede gewünschte Gebäudeform realisieren und ohne Aufwand und Abfall wieder demontieren.

Interesse am Einsatz der Lösung, die in 2021 unter anderem den Deutschen Unternehmenspreis für Entwicklung erhielt und von den Vereinten Nationen für ihre zirkuläre Produktion ausgezeichnet wurde, zeigte etwa ein Anbieter von Selbstbedienungsläden, der damit 24-Stunden-Mini-Supermärkte im ländlichen Raum errichten wolle. Verglichen mit Ziegelsteinen wären die Polyblocks zwar teurer, schätzt Kunsmann, aber durch die erheblich kürzere Bauzeit und damit schnellere Fertigstellung und Inbetriebnahme dennoch billiger. Oberste Priorität hat der Aufbau kreislaufbasierter Geschäftsmodelle. „Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel. Künftig könnten modulare, zirkuläre Immobilien als bewegliche Wirtschaftsgüter gelten, deren Wert nicht abgeschrieben wird, weil es keinen Verschleiß gibt.“

Was in Hessen geht, muss bundesweit möglich sein

Es kommt scheinbar einiges an Veränderungen auf die Branche zu. Zunächst braucht es jedoch regulatorische Veränderungen. Um das das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu erreichen, forderte der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) gemeinsam mit dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), dem Immobilienverband Deutschland (IVD) und dem Verband der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV) in einem Zehn-Punkte-Katalog im Mai 2022[5], Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich zu vereinheitlichen, damit Wohnungsbauvorhaben in serieller und modularer Bauweise nicht ausgebremst werden. Wer in Hessen einen Wohnungsbau in serieller Bauweise genehmigt bekäme, müsse schließlich auch andernorts derart bauen können. Die Technik zur Einsparung von Zeit, Kosten und Material ist da. Bleibt zu hoffen, dass es nicht allzu lange dauert, bis sich am Bau tatsächlich alles im Kreis dreht.

Quellen

[1] www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/sofortprogramme-klimaschutz-gebaeude-verkehr-2061972

[2] www.umweltbundesamt.de/daten/ressourcen-abfall/abfallaufkommen#bau-abbruch-gewerbe-und-bergbauabfalle

[3] www.rct-online.de/magazin/epoxidharz-herstellung-verwendung-einsatzbereiche/

[4] https://bnb-potsdam.de/geopolymerbeton-als-beitrag-zum-klimaschutz/

[5] https://zia-deutschland.de/wp-content/uploads/2022/05/220523-Gemeinsames-Papier-10-Schritte-fuer-400.000.pdf


x

Thematisch passende Artikel:

Verband der Immobilienverwalter Hessen fordert schnelle Umsetzung der WEG-Reform, um Klimaschutzziele zu erreichen

Der Verband der Immobilienverwalter Hessen setzt sich für eine schnelle Umsetzung der WEG-Reform ein. Die geplante Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes erlaube es auch vielen hessischen...

mehr

Sinkende Sanierungsquote im Gebäudebestand 2024: „Fatales Signal für den Klimaschutz und die Immobilienwirtschaft“

Die Quote für energetische Sanierungen im Gebäudebestand fällt zum Jahresende auf 0,69 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Hochrechnung*. 2023 lag sie bei 0,7 Prozent. Thomas Meier,...

mehr

Immobilienwirtschaft gründet Thüringer Netzwerk

In der vergangenen Woche gründete sich das „Thüringer Netzwerk der Immobilienwirtschaft“ (TNI). Im Netzwerk tauschen sich erstmals auf Länderebene die strukturprägenden Verbände und Akteure der...

mehr

bautec 2020: Berlin baut auf Holz

Stahl, Glas und Beton galten lange Zeit als Inbegriff moderner Baukunst. Bereits seit einiger Zeit holt Holz auf und erobert als ältestes Konstruktionsmaterial und zugleich innovativer Baustoff...

mehr

Immobilienwirtschaft legt Zusammenarbeit mit Regierung auf Eis

In Reaktion auf den von der Bundesregierung beschlossenen Klimaschutzplan 2050, der eine kurzfristig hinzugefügte zusätzliche Mehrbelastung für den Gebäudesektor in Deutschland enthält, sehen die...

mehr