Gebäudebegrünung

Fassadengrün gegen Hitzestress

Infolge des Klimawandels heizen sich Wohnquartiere zunehmend auf. Abkühlung können begrünte Fassaden bringen. Unlängst realisierte die Wohnbau Wörth im Rahmen eines Neubauprojektes eine Fassadenbegrünung und machte dabei wertvolle Erfahrungen.

Bei Fassadenbegrünung denken viele Menschen an den mit Efeu bewachsenen Altbau oder an die Brandmauer eines Hinterhofgebäudes, an der das Grün emporsprießt. In den 1980er Jahren gab es in Deutschland zahlreiche Ideen, „Betonwüsten“ in Städten durch möglichst viel „Biomasse“ optisch aufzuhübschen. Mittlerweile dienen begrünte Dächer und Fassaden zu weit mehr. Sie sind Bestandteil der Klimaanpassungsstrategie vieler Städte, als Ausgleich für Bodenversiegelungen und um das Mikroklima zu verbessern. Zugleich sollen sie als Wasserspeicher fungieren, der einen geregelten Regenrückhalt mit verzögertem Abfluss ermöglicht sowie Ersatzlebensraum für Flora und Fauna bietet.

Ihre positive Umweltwirkung ist beachtlich: Laut Bundesverband Gebäudegrün (BuGG) ist ein Quadratmeter begrünte Dachfläche in der Lage, 30 Liter Wasser zu speichern, die Lufttemperatur um 1,5 Grad Celsius zu senken, 800 Gramm CO₂ aufzunehmen und Lärm um 20 Dezibel zu mindern. Die Werte einer begrünten Fassade sind ähnlich gut.

Diese Kraft der Natur will man in Wörth am Rhein nutzen. Denn die in der Region Oberrheingraben liegende Stadt wird zukünftig noch stärker vom Klimawandel betroffen sein. Bereits heute sind mehrere aufeinander folgende Sommertage mit über 30 Grad Celsius keine Seltenheit. Wissenschaftler gehen davon aus, dass länger anhaltende Hitzewellen in einigen Jahren wahrscheinlich sind. Hinzu kommen weitere Wetterextreme, auf die sich die Stadt einstellen muss, wie Starkregen und Trockenperioden. Abhilfe sollen unter anderem Grünfassaden schaffen. Die städtische Wohnbau Wörth erprobt im Zuge eines Neubaus die Kombination von Fassade und Pflanzen. Leicht ist die Zusammenführung nicht.

Umgehen mit gewichtigen Hindernissen 

Rückblick: Eigentlich war die Planung für den Bau des viergeschossigen Wohngebäudes zwischen zwei Bestandsobjekten in der Mozartstraße bereits abgeschlossen und die Auftragsvergabe stand an. Auf 1.300 Quadratmetern Wohnfläche sollten 22 Ein- und Zwei-Zimmer-Apartments vornehmlich für Personen ab 60 Jahren entstehen. 18 der öffentlich geförderten Wohnungen würden barrierefrei, fünf davon rollstuhlgerecht erbaut. Neben einem Zugang ohne Schwellen hätten alle Wohnungen eine bodentiefe Dusche, einen Hauswirtschaftsraum sowie einen schönen Balkon zur Westseite. Auf dem Gründach bekämen die Mieter zudem Hochbeete zur Bepflanzung.

Der Clou sollte die begrünte Fassade auf der Westseite des Gebäudes sein, wo Blumen und Blüten entlang der Vorstellbalkone vom Boden bis zum Flachdach wachsen. Doch daraus wurde nichts. „Denn die vorgesehenen Vorstellbalkone aus Aluminum hätten die Lasten der Rankanlage niemals aufnehmen können“, berichtet Petra Pfeiffer, Geschäftsführerin der Wohnbau Wörth. An das Gewicht der lebenden Materie, die Wasser aufnimmt und Wind und Schnee standhalten muss, hatte keiner der Planungsbeteiligten – weder Architekt noch Landschaftsarchitekt oder Statiker – gedacht.

Dabei kommen je nach Pflanzenart einige Kilos zusammen, die die Fassade tragen muss. Eine ausgewachsene Waldrebe etwa bringt bis zu 30 Kilogramm auf die Waage und das Gewicht eines Blauregen kann nach einigen Jahren über 800 Kilogramm betragen. Erst als es um die praktische Umsetzung ging, kam der Aha-Moment durch Hinweise spezialisierter Fachfirmen. Also brauchte es einen Plan B.

Interdisziplinär geplant ist fast gewonnen 

Aus Zeit- und Budgetgründen – durch das Hin und Her zwischen den Parteien auf der Suche nach einer Lösung waren etliche Wochen mehr vergangen als ursprünglich veranschlagt – entschied man sich schließlich für die Fassadenbegrünung der Ostseite mittels eines standardisierten Seilsystems und Tragkonsolen, die an der Wand befestigt werden. Das reduzierte den Planungsaufwand und das Projekt kam ein Stück voran. „Diese Lösung besaß zudem den Charme, dass dadurch die Zuwegung zu den Wohnungen, die über einen Laubengang führt, zukünftig begrünt sein wird“, so Pfeiffer.

Dieses Mal saßen zur Abstimmung neben dem Architekten, der den Fassadenplan änderte, und dem Statiker auch der Seilsystemanbieter sowie ein Brandschutzexperte mit am Tisch. Denn außer konstruktiven Fragen gab es die Pflanzenauswahl zu klären, die wiederum für die Statikberechnung relevant war. Obendrein musste der Brandschutzexperte grünes Licht geben. „Dem fehlten jedoch belastbare Informationen zur Brandlast und zum Brandverhalten von Fassadenbegrünungen, da diese scheinbar zu selten realisiert werden, so dass eine Einzelfallbewertung stattfand“, erinnert sich Thomas Hutzel, zuständiger Projektleiter der Wohnungsgesellschaft.

Eine brandschutztechnische Nachweisprüfung für Fassadenkonstruktionen mit Begrünung ist der Brandingenieurin Julia Noder-Schaab zufolge in der Tat mangels eingeführter technischer Baubestimmungen im Vergleich zu Dachbegrünung nicht möglich. Erschwerend hinzu kommt, dass die Fassadenbegrünung nicht im Anwendungsbereich der Prüfnorm DIN 4102-20:2017-10 (Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen) liegt und damit über kein anerkanntes Prüfverfahren verfügt. Demnach führte an einer Einzelfallprüfung kein Weg vorbei, die dank der fachübergreifenden Zusammenarbeit reibungslos verlief. Allerdings kostete die Prozedur weitere Zeit – und Geld.   

Bald rankt bunte Blütenpracht 

Mittlerweile ist der Neubau fertiggestellt. Im September 2023 wurden alle Arbeiten abgeschlossen und die Wohnungen sind inzwischen bezogen. An den vertikal verlaufenden Drahtseilen, die sich parallel über die 300 Quadratmeter große Ostfassade spannen, ranken die Pfeifenwinde, das immergrüne Geißblatt und die fünfblättrige Akebie empor. Die Wandkonsolen, an denen die Drahtseile befestigt sind, könnten Lasten von maximal 18 Kilonewton tragen, was einer Zugkraft von 1.800 Kilogramm entspreche und ausreiche, um die Pracht zu halten, versichert Hutzel.

Alle Pflanzen seien winterhart und würden über ein automatisches System bewässert. Die regelmäßige Pflege wie Auslichtungs- oder Verjüngungsschnitte und das Entfernen verdorrter Triebe geschieht durch das unternehmenseigene Grün-Team. „Pro Quadratmeter fielen 57,50 Euro für das Seilsystem und 1,65 Euro für die Pflanzen an, plus die Gerüstkosten.“ Schöner Nebeneffekt: Da die begrünte Fassade gegenüber den beiden bestehenden Wohngebäuden liegt, haben auch die Nachbarn etwas von dem Blütenzauber.

Trotz der Widrigkeiten, besonders beim Brandschutz, fällt das Fazit von Geschäftsführerin Pfeiffer positiv aus: „Auch wenn wir teures Lehrgeld bezahlen mussten, weil sich keiner der Beteiligten mit der Materie auskannte, sind Fassaden- und Dachbegrünungen aus unserer Sicht ein wertvoller Beitrag zur Anpassung an die Klimafolgen.“ Finanziell darstellbar wäre das Projekt aber nur, weil die Finanzierung vor der Zinserhöhung gestanden hätte. Sonst seien 5,70 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter nicht möglich.

Es braucht mehr Wissenstransfer

Was die engagierte Macherin für unerlässlich hält, ist der stärkere Austausch zwischen Wohnungsunternehmen, Planenden und Experten im Bereich Fassadenbegrünung. „Hier braucht es unbedingt mehr Austausch von Know-how.“ Das sieht Gunter Mann, Präsident des Bundesverbandes GebäudeGrün (BuGG), genauso: „Immerhin sind wir mit dem VdW Rheinland Westfalen und dem Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften in Kontakt und haben die Broschüre ‚Gebäude- und Quartiersbegrünung – lebenswert, nachhaltig, kommunikativ‘ entwickelt.“

Das kann aber nur ein Anfang sein. Denn die Nachfrage nach Fassadenbegrünung steigt: 2022 wurden rund 146.000 Quadratmeter Fassadenfläche mit wand- und/oder bodengebundener Fassadenbegrünung neu begrünt, im Jahr zuvor waren es etwa 86.600 Quadratmeter. Im Fokus standen primär gewerblich und öffentlich genutzte Gebäudefronten von Büros, Einkaufszentren, Schulen oder Bibliotheken. Doch auch Wohngebäudefassaden kommen zur Begrünung in Betracht, um die Folgen des Klimwandels in Quartieren abzumildern.

Laut Angaben des BuGG reduziert eine Fassadenbegrünung die sommerliche Oberflächentemperatur um bis zu 19 Grad Celsius und erhöht die Luftfeuchte um mindestens 20 Prozent. Die Pionierarbeit der Wohnbau Wörth dürfte demnach noch viele Nachahmer finden. Zumal immer mehr Städte und Gemeinden derartige Maßnahmen fordern und fördern.

Förderprogramme & Zuschüsse

Neben einigen Kommunen (Aachen, Frankfurt/Main, Freiburg, Hannover, Karlsruhe, Kiel, Oldenburg, u.a.) bieten manche Bundesländer (darunter Hessen, NRW, Thüringen) eine direkte Förderung von Gebäudebegrünung an.

Außerdem bestehen Bundesförderprogramme wie die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) und für serielle Sanierung, bei denen Gebäudegrün als förderfähige Maßnahme integriert ist.

Darüber hinaus ermöglichen die Programme der Städtebauförderung eine Bezuschussung von Dach- und Fassadenbegrünung als Teil der grünen Infrastruktur.

Infos unter www.gebaeudegruen.info

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