Digitale Standards für smarte Gebäude

IoT-Lösungen: Hat das Durcheinander bald ein Ende?

Es herrscht babylonisches Sprachengewirr zwischen den IoT-Lösungen für Gebäude. Auch über die verbauten Produkte existiert keinerlei Dokumentation. Das Projekt DROPS will durch einen offenen Datenstandard eine Universalsprache für Smart Buildings entwickeln und für Materialtransparenz sorgen. Ein Vorhaben, das es in sich hat.

Immobilienunternehmen, die ein Smart Building bauen wollen, haben einiges vor sich: Sie müssen nicht nur einen Architekten finden, der sich auf die Planung intelligenter Gebäude versteht, sondern auch einen erfahrenen Systemintegrator an der Seite haben, der sich mit den diversen Standards von IoT-Lösungen für Gebäude auskennt und weiß, sie zu einem vernetzt funktionierenden Ökosystem zu verbinden.

Soll ein Bestandsgebäude schlau nachgerüstet werden, verhält sich die Sache ähnlich schwierig. Auch dafür ist erhebliches IT-technisches Wissen notwendig, damit die softwarebasierten Komponenten untereinander und mit bereits vorhandenen Geräten kommunizieren und interagieren. Hinzu kommt die Notwendigkeit, alle verbauten Produkte systematisch zu dokumentieren, um die Informationen für die Bewirtschaftung nutzen zu können, weshalb an der digitalen Planung mittels Building Information Modeling (BIM) kein Weg vorbeiführt.

Standard-Wirrwarr schreckt ab

Angesichts dieser Komplexität machen Immobilienunternehmen einen weiten Bogen um Smart Buildings, obwohl sie ein wichtiger Baustein für zukunftsfähige Städte und Quartiere sind. Eine bedarfsgerechte Versorgung mit erneuerbaren Energien ist nur ein Anwendungsfall. Zwar entstehen seit Jahren beispielgebende Projekte, wie etwa das 2015 fertiggestellte Aktiv-Stadthaus der AGB in Frankfurt, das von der GSW Sigmaringen zwischen 2017 und 2019 realisierte Smart City-Quartier „Future Living Berlin“ und das seit 2017 im Bau befindliche 88 Hektar umfassende Stadtquartier Franklin Village nordöstlich der Mannheimer Innenstadt. Doch über den Status von Leuchttürmen haben es schlaue Gebäude und vernetzte Stadtviertel bisher nicht hinaus geschafft. Zu unbekannt ist das Terrain auf das man sich für die ihre Planung begeben muss. Zumal es keine einheitliche Definition gibt, was ein Gebäude als Smart Building qualifiziert. Ist es bereits schlau, wenn Außentemperaturfühler mit Heizungsthermostaten gekoppelt sind und die Beleuchtung per Präsenzmelder funktioniert?

Vor allem hadern die am Bau Beteiligten mit der Sprachenvielfalt von IoT-Lösungen. XMPP, DDS, CoAP, KNX, Modbus, BacNet, EnOcean, Zigbee, Z-Wave, Bluetooth, LoRa - um nur einige Standards und Protokolle zu nennen - sind für die Meisten böhmische Dörfer. Wie sollen sie beurteilen, welche Lösung die richtige ist? Doch warum müssen sich Bauherren und Planer überhaupt mit dieser Frage beschäftigen? Schließlich ist es nicht ihre Aufgabe, dem Sprachen-Wirrwarr beizukommen, sondern muss Sache der Produktanbieter sein. Meilenstein für das Bauen.

Auf Initiative des digitalen Immobilienverwalters REOS haben sich das Beratungsunternehmen Drees & Sommer (Dreso), der Projektentwickler Strabag Real Estate und die HafenCity Universität (HCU) im Rahmen des Forschungsprojekts DROPS zusammengetan, um gemeinsam einen offenen Standard für alle betriebsrelevanten Daten zu definieren, wozu die in der Planungs- und Bauphase gesammelten Informationen zum BIM ebenso gehören wie die Daten der eingesetzten Materialien, auch Data of Material (DoM) genannt. Während REOS den IoT-Standard entwickelt, kümmert sich Dreso um alle Fragen zu BIM und zur Kreislauffähigkeit von Materialien und übernimmt zugleich die Projektkoordination.

Strabag Real Estate wird den konzipierten IoT-Standard in seinem Büro-Neubau in Hamburg verwenden. Die Ergebnisse der Vorhaben analysiert und dokumentiert die HCU. Überdies kommt er im Projekt „Melting Port“ in der westlichen Hamburger HafenCity zum Einsatz, wo er die Gerätefunktionen in einem 263-Zimmer-Hotel der Steigenberger-Marke „House of Beats“, in 200 Apartments für Studierende und Auszubildende der GBI-Markenfamilie „SMARTments“ sowie auf rund 4.600 Quadratmeter Bürofläche vernetzt steuern soll.

Das Team hat sich viel vorgenommen. Gelingt es ihm den Standard-Wirrwarr zu harmonisieren, wäre das ein Meilenstein für die Konzeption von Smart Buildings. Es gäbe eine Lingua franca über die sich alle IoT-Lösungen verständigen können. Das Senden und Empfangen von Daten wäre problemlos machbar. Zudem bestünde über die zu entwickelnde Cloud-Plattform, die als Datendrehscheibe fungieren wird, die Möglichkeit, das Potenzial schlauer Gebäude für einen optimalen Betrieb auszuschöpfen. Aufgrund der im BIM hinterlegten und ständig aktualisierten Informationen ließen sich darüber hinaus alle Bauteile wiederverwenden, so dass derart geplante Gebäude in Zukunft als Rohstofflager nutzbar sind. Nicht umsonst zählt das Vorhaben zu den wichtigsten vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten strategischen Einzelprojekten im Rahmen der Entwicklung digitaler Technologien und wird mit 2,3 Mio. Euro unterstützt.

Schnittstellen-Problematik auflösen

Von den insgesamt acht Arbeitspaketen, die das bis Ende 2023 laufende Projekt umfasst, sind beinahe drei Drittel erledigt. Abgeschlossen ist die Analyse vorhandener IoT-Standards und die Identifikation relevanter Stakeholder, wie Hersteller und Planer, deren Unterstützung wichtig für Akzeptanz des offenen Standards ist. Zudem erstellte das Team von REOS gemeinsam mit den Kollegen von Dreso eine Liste mit Attributen, die der IoT-Standard beinhalten soll und die mit Hilfe von BIM in die Gesamtarchitektur einfließen. Dazu gehören beispielsweise der Objektname (z. B. „Sensor_1“ oder „Steckdose_1“), die Geräte-Serienummer und die Raumbezeichnung, damit jedes Bauteil eindeutig identifizierbar ist. Hinzu kommen geometrische und funktionale Merkmale. Auch eine Systemarchitektur ist skizziert, die für das Zusammenspiel von Hard- und Software sorgt. 

Ferner tüftelte der zuständige REOS-Projektleiter Michael Leupold an der Beschreibung für eine Standard-Schnittstelle zur Ansprache eines IoT-Gateways. Der Clou: Sein Ansatz hebelt die Inkompatibilität von IoT-Lösungen dadurch aus, dass sich die Geräte anhand ihrer Funktionen erkennen und zuordnen, unabhängig davon, welchen Standard sie nutzen. „Wir wollen ja keinen eigenen Standard entwickeln, sondern die vorhandenen harmonisieren“, erklärt der Wirtschaftsmathematiker und Elektrotechniker seine Herangehensweise an die Schnittstellen-Problematik. Auf diese Weise ist ein Datenaustausch zwischen IoT-Lösungen möglich, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen. 

Diese in der IT als „Mapping Service“ bezeichnete Zuordnung von Daten müsse man sich wie die laufende Aktualisierung eines Telefonbuchs vorstellen, erläutert REOS-Chef Tom Leppin. „Gibt es Änderungen, werden sie an entsprechender Stelle eingearbeitet.“ Mit der Zeit entstehe so eine dynamische Datenbank, die jede Menge strukturierte Informationen enthalte. Diese systematische Protokollierung ist nicht nur essentiell für die Planung eines smarten Gebäudes, sondern auch für dessen smarte Bewirtschaftung, da stets aktuelle Informationen über Ressourcenverbräuche und Anlagenzustände abrufbar sind. Obendrein ist die Abhängigkeit von Herstellern passé, da sich jedes Gerät in das digitale Ökosystem integrieren lässt.

Interoperabilität als Wettbewerbsvorteil  

Als Testfeld für die Einsatzfähigkeit der Standard-Schnittstelle dienten die Kommunikationsabläufe in Fassadenkomponenten zur Sonnenschutzsteuerung, die 2019 Gegenstand im Kontext einer Studie der HCU zu energieoptimiertem Bauen waren. Parallel dazu fand im Juni 2022 ein Workshop mit rund 30 ausgewählten Hardwarepartnern, Sensorherstellern und Projektentwicklern statt, bei dem die Implementierung des Datenstandards diskutiert wurde. Seitens der Hersteller gab es zunächst Befürchtungen, womöglich Quellcodes offenlegen zu müssen und dadurch Alleinstellungsmerkmale preiszugeben.

Diese Besorgnis erwies sich jedoch als unbegründet, da es im Kern um die Vorgabe einer Kommunikationsstruktur mittels eines Templates geht, über das auch spezielle Funktionen integrierbar sind. So nutzt jede Lösung weiterhin ihren Datenstandard und behält die Oberhand über ihre Eigenheiten, ist aber dennoch kompatibel. Zu den bisher gewonnenen Partnern gehören das renommierte Architekturbüro Gerkan, Mark und Partner, die Organisation International Building Performance and Data Initiative (IBPDI) sowie die Unternehmen Wibutler und BUD Bau- und Dienstleistung. Weitere Interessenten kämen demnächst hinzu, versichert Leupold. Denn jeder wisse, dass Interoperabilität in Zukunft das entscheidende Kriterium für die Wahl einer IoT-Lösung sein werde, was zur Mitarbeit motiviere. REOS-Chef Leppin geht davon aus, dass Interoperabilität ein Wettbewerbsvorteil sein wird und Hersteller von proprietären Lösungen in Ausschreibungen das Nachsehen haben werden.

CO2-Bilanz auf Knopfdruck

Während man bei REOS mit dem IT-Part beschäftigt ist, kümmert sich BIM-Manager Balte Jorns bei Dreso um die Dokumentenvorlagen für die digitale Planung des Büroneubaus von Strabag Real Estate und schafft so eine ­Infrastruktur, um BIM in die Arbeitsprozesse zu integrieren. Hier steckt der Teufel im Detail. „Alle Bauteile müssen einheitlich benannt sein, damit die Datensätze maschinell lesbar sind und korrekt weiterverarbeitet werden können“, so der Architekt. Beispielsweise dürfen Sensoren nicht erst als „Sensor 1“ fort folgend betitelt sein, um dann mit Unterstrich als „Sensor_1“ irgendwo aufzutauchen, genauso wie es nicht gestattet ist, dass Stahlträger sowohl unter dem Namen „Stahlträger“ als auch mit der Abkürzung „STW“ vorkommen. 

Was trivial klingt, hat weitreichende Folge. Denn interpretiert BIM die Bauteile aufgrund fehlerhafter Bezeichnung unterschiedlich und ordnet sie falsch zu, entsteht kein kohärentes Gebäudemodell, was aber Sinn und Zweck von BIM ist, um etwaige Fehler bereits in der Planungsphase zu erkennen und zu beheben und nicht erst auf der Baustelle oder im Betrieb. Umgekehrt lassen sich Potenziale ausschöpfen, die ohne digitales Gebäudemodell unentdeckt blieben. Im Fall von IoT-Lösungen bietet BIM den Vorteil, vernetzte Funktions- und daraus folgende Wirkungsweisen im Gebäude am Computer simulieren zu können. So lassen sich etwa Szenarien für das optimale Heizen und Kühlen entwerfen oder eine aufeinander abgestimmte Kommunikation zwischen sicherheitstechnischen Anlagen überprüfen. 

Deshalb wacht der BIM-Manager, bei dem die Fäden zusammenlaufen, mit Argusaugen darüber, dass alles seine Ordnung hat. Zumal auch die Kreislauffähigkeit der Materialien abzubilden ist. Hier brachte Dreso seine Expertise aus realisierten Cradle-to-cradle-Projekten ein, wie dem Bau des Holz-Hybridgebäudes „The Cradle“ in Düsseldorf und dem ersten hierzulande nach Cradle-to-Cradle-Prinzipien konzipierten Wohnhochhaus „Moringa“ in der Hamburger HafenCity. Die von Dreso entwickelte BIM-fähige Systematik und Datenbank ermöglicht, die Informationen aus dem BIM-Modell verlustfrei in einen elektronischen Materialpass zu transferieren. Per Knopfdruck ist so die Materialverwertbarkeit oder der CO2-Fußabdruck eines Gebäudes ersichtlich. 

Chancen für innovative Wertschöpfungsketten

Nachdem der Prototyp des Templates fast fertig und die Cloud-Plattform so gut wie erstellt ist, die für die Datenverarbeitung zuständig sein wird, laufen die Vorbereitungen für den Realeinsatz in den geplanten Gebäuden. Ob am Ende ein normenreifer Standard entsteht, der Eingang in die Richtlinienreihe 2552 „Building Information Modeling“ des VDI finden, die der komplexen Thematik eine Ordnung gibt, bleibt abzuwarten. Für REOS-Chef Leppin ist wichtig, der Immobilienbranche mit den Projekten zu demonstrieren, dass der Einsatz von BIM in der Planung die Grundvoraussetzungen für eine effiziente Nutzungsphase ist. Denn noch seien die Vorzüge, die BIM für die Gestaltung von innovativen Wertschöpfungsketten entlang des Gebäudelebenszyklus biete, hierzulande nicht erkannt, bedauert er. Die Ende 2023 vorzustellenden Forschungsergebnisse werden zeigen, ob der DROPS „gelutscht“ ist.  

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