Wie schön müssen Häuser und Straßenzüge sein?
Der Artikel behandelt die Frage, in welchem Stil Immobilien im Stadtkontext gebaut werden sollten. Es zeigt sich: Repräsentative Stile haben höheres Ansehen. Immobilien werden im Kontext anderer Immobilien bewertet. Staffelgeschosse sind kritisch. Modern wird nicht generell abgelehnt, sondern geradezu gesucht, wenn bestimmte Anforderungen erfüllt werden.
Einleitung
„Hübsch hässlich habt ihr‘s hier“, sagte der große deutsche Schauspieler Heinz Rühmann, als er 1960 den Pater Brown spielte. Ein klassisches Film-Zitat. Auf Immobilien im Städtekontext würde dieser Spruch auch gut passen. Denn neben Schönem gibt es auch viel Unschönes. Was aber macht das aus, ob eine Immobilie oder ein ganzer Straßenzug als hübsch oder hässlich oder als ästhetisch belanglos angesehen wird?
Eine Kette von empirischen Erhebungen in allen Teilen Deutschlands (über die auch in dieser Zeitschrift schon berichtet wurde) seit 2010 hat bereits intensiv die monetären Wirkungen einzelner Bauelemente untersucht, die eher als schön, hässlich oder ästhetisch belanglos angesehen wurden.[1] Weniger intensiv wurden Immobilien als Ganzes oder Straßenzüge als Ganzes untersucht. Diese Lücke soll nun gefüllt werden. Deshalb werden im Folgenden die Forschungsfragen gestellt: Wann ist eine Immobilie „schön“? Und: Welches ästhetische Empfinden gibt es für ganze Straßenzüge? Ziel ist, eine möglichst hohe Mietzahlungsbereitschaft durch Wahl der richtigen ästhetischen Anmutung von Immobilien zu erreichen.
Die Beantwortung von Fragen zur ästhetischen Wirkung von Immobilien kann für vier am deutschen Immobilienmarkt wichtige Gruppen relevant sein, nämlich private Bauherren, Vermieter, Bauträger und die kommunale Stadtplanung, für die es wichtig ist zu wissen, welche Gestaltungen von Immobilienkontexten bis hin zu Straßenräumen von den Nutzern vorteilhaft bewertet werden.
Bisherige Erkenntnisse
Unter Ästhetik versteht man den optisch bedingten sinnlichen Eindruck von etwas. Mader hat die ästhetischen Aspekte von Immobilien in dem Begriff „Stil“ summiert. Damit fasst er die Attribute von Immobilien zusammen, die eine sinnliche Empfindung beim Betrachter auslösen.[2] Diese Abgrenzung wird hier übernommen.
Typische Erkenntnisse aus Untersuchungen zum Stil von Immobilien sind u.a.: Eine positive Beurteilung eines Stils erhöht die Zahlungsbereitschaft und die Einzugsbereitschaft. Fassaden müssen reichhaltig gestaltet sein. Große ungestaltete Flächen sind wertmindernd und verringern die Einzugsbereitschaft. Flachdächer sind unbeliebt. Der Kontext von Immobilien ist sehr wichtig. Homogenität des Kontextes ist wertsteigernd. Unterschiedliche Höhen von Immobilien werden stark negativ bewertet. Moderne Gebäude, die historische Ensembles unterbrechen, wirken sehr negativ und mindern den Wert der gesamten Zeile. Gepflegtheit ist wertsteigernd. Auch Begrünung wirkt positiv. Modernität ist nicht per se negativ, hält aber die genannten Kriterien oft nicht ein und wird dann abgelehnt. Die Bauformen der Gründerzeit werden meist am besten bewertet.[3]
Es wurden nun in zwei neuen Umfragen im Herbst 2022 zwei Marktsegmente untersucht. Eine Untersuchung betraf eine Gruppe von Einfamilienhäusern, bei denen nach der ästhetischen Wertigkeit der Immobilien auf einer 10er-Skala gefragt wurde. Die zweite Untersuchung betraf Straßenzüge mit Reihenhäusern und Mehrfamilienhäusern, die zum einen homogenen, zum anderen heterogenen Charakter aufwiesen. Es wurde nach der ästhetischen Wertigkeit sowie nach der Bereitschaft gefragt, eine erhöhte Miete zu bezahlen.
Ergebnisse Einzelimmobilien
Welche Ergebnisse wurden erzielt?
Modern wird nicht generell abgelehnt, sondern geradezu gesucht. Hinter Modernität steht ein modernes Leben mit zeitgemäßen Küchen und Bädern. Was die Menschen aber vor allem suchen, ist eine Ausstrahlung eines Gebäudes hinsichtlich gewünschter Kriterien. Edel, dominant, herrschaftlich sind dabei hoch bewertete Kriterien (Abb. 1). Gemütlich und einladend werden geringer gewichtet (Abb. 2). Ein ärmlicher Eindruck ist schlecht. Die Verursacher der positiven oder negativen Einschätzungen sind nicht die Bauformen an sich, sondern die Werte, die sie transportieren. Bauformen, die sich nicht einordnen und dadurch bewerten lassen, werden stark abgelehnt. Das trifft klobige und kastenförmige Kubaturen, abweisende fensterlose Wände, wie das bei vielen modernen Architekturen im Bauhausstil der Fall ist (Abb. 3). Unbekannte Bauformen werden eher negativ bewertet. Was bekannt ist, lässt sich besser einordnen.
Ergebnisse Straßenzüge
Was gilt für Immobilien im Straßenzusammenhang?
Homogene Straßenzüge werden bevorzugt. Genau wie bei den Einzelhäusern, werden klassische Stilvarianten am höchsten bewertet (Abb. 4). Edel wirkende helle Fassaden sind besser als Anmutungen mit düsteren Tönungen. Materialien, die mit Armut verbunden werden, werden schlechter bewertet. Elegantes Weiß mit klassischer Ornamentik erzielen die höchste Zustimmung. Der Abstand zu den übrigen Alternativen ist erstaunlich hoch. Man kann, wenn man sich die Bewertungen ansieht, zu dem Schluss kommen, dass in Deutschland am Bedarf weitgehend vorbeigebaut wird.
Langweilige, karge Vor- und Nachkriegsbauten werden vergleichsweise schlecht bewertet (Abb. 5). Es fehlt Fassadenschmuck und Gestaltungen wirken rein funktional bedingt und von „Not“ gekennzeichnet. Es werden keine Aussage transportiert wie z.B. repräsentativ, heimelig, gemütlich, edel, dominant. Monotonie und gleichförmige Tristess bestimmten die Straßenzüge. Das mögen die Menschen eher nicht.
Abgelehnt werden aber auch moderne Straßenzüge. Auffällig viele neue Bauten haben Fassaden, die genauso wenig Charakter aufweisen wie die der Nachkriegsbauten (Abb. 6). Dass es angeblich „Bauhausfassaden“ seien, zieht nicht. Unbeliebt sind Staffelgeschosse. Solche Dachformen geben den Häusern kaum Struktur. Sie wirken wie aufgesetzte Fremdkörper. Die Häuser erhalten eine absonderliche Form, die sich mit keinerlei Aussage verbinden lässt (Abb. 6; Abb. 7). Das zieht diese Häuser, die man viel in Reihenhaussiedlungen findet, nach unten.
Wie werden nun Straßenzüge bewertet, wenn sie keinen homogenen, sondern einen heterogenen Eindruck machen. Was müssen Bauherren und Architekten beachten müssen, wenn sie neue Gebäude in bestehende Strukturen hineinpflanzen?
– In Bezug auf homogene Gebäudereihen von hoher Wertigkeit gilt: wenn eine solche Reihe unterbrochen wird, dann wird dies extrem negativ bewertet. Einen größeren Fehler kann man praktisch nicht machen.
– Wenn dagegen eine Kette von nichtssagenden, ausdrucksschwachen Gebäuden (Abb. 8) durch andersartige Bauten unterbrochen wird, dann wird das positiv zur Kenntnis genommen (Abb. 9). Dies gilt auch dann, wenn die abweichenden Gebäude für sich genommen selbst kaum ästhetische Reize besitzen. Wichtig ist einfach nur die Unterbrechung der Monotonie. Die ästhetische Bewertung des Straßenzugs steigt und die Zahlungsbereitschaft erhöht sich.
Gesamtwürdigung
Was sind nun die allgemeinen Schlussfolgerungen, die man aus den aufgezeigten Befunden ziehen kann?
Die untersuchten Gebäude und Straßenzüge überspannen einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren. Es wurde deutlich, dass der im Fin de Siècle des 19. Jahrhunderts geprägte klassisch-gründerzeitliche Stil auch heute noch die höchsten Bewertungen hinsichtlich Ästhetik und Bereitschaft zu erhöhten Mietzahlungen erhält. Dies ist eine Bestätigung der Erkenntnisse aus der Literatur.
Die niedrigsten Bewertungen erhalten belanglose Bauten, die keine oder nur gering ausgeprägte architektonische Struktur erkennen lassen, wo Fenster eher funktionale Löcher in Wänden sind und sich Baulinien nicht zu einem interpretierbaren Bild zusammensetzen. Menschen suchen Bauten, die sich interpretieren lassen und Werte vermitteln. Werte wie edel, dominant, herrschaftlich werden mehr geschätzt als Werte wie gemütlich oder geborgen oder Anknüpfungen an ärmliche Anmutungen.
Einen Gegensatz modern gegen alt gibt es nicht. Moderne Bauten erzielen teilweise sehr hohe Bewertungen. Aber moderne Bauten strahlen zu häufig keine Aussagen aus, die eine hohe Wertigkeit bei den Nutzern besitzen. Moderne Bauten sind in dieser Hinsicht oft nichtssagend. Im Einfamilienhausbereich werden Bauten abgelehnt, wenn sie kastenförmig oder klotzartig daherkommen und große ungestaltete fensterlose Wandflächen haben. Häufig haben moderne Bauten Staffelgeschosse, welche überwiegend auf Ablehnung stoßen. Ein strukturlos gestaltetes Staffelgeschoss aufgesetzt auf zwei langweilige Untergeschosse ist eine Blaupause für Ablehnung. Es entstehen Gebäude, die praktisch keine Aussage haben. Wenn derartige Gebäude dann noch in Reihe uniform nebeneinanderstehen, ist das schon fast der GAU, der größte anzunehmende Unfall. Genau das bestimmt aber die Reihenhausarchitektur der letzten Jahre.
Homogene Straßenzüge sind beliebter als heterogene, wo jeder baut, wie er will und darf. Aber Homogenität muss geschickt eingesetzt werden: Wenn Häuser für sich als nichtssagend gelten, dann ist das serielle Nebeneinanderstellen identischer Gebäude in langen Ketten unbeliebt. Wenn hier ein abweichendes Gebäude die Kette unterbricht, ist das sogar vorteilhaft. Ein Wechseln von Farbtönungen wird in der Bauindustrie schon lange praktiziert.
Insgesamt ist eine hohe Korrelation zwischen der ästhetischen Bewertung von Immobilien und der Bereitschaft zu erhöhter Mietzahlung festzustellen. Oder anders formuliert: Für ein und dasselbe Gebäude ist die Bereitschaft einzuziehen und eine erhöhte Miete zu bezahlen, eng mit der Gestaltung und ästhetischen Bewertung der Immobilie bzw. des Straßenzuges korreliert. Der Korrelationskoeffizient liegt über 97 Prozent, was dies beleuchtet.
Literaturverzeichnis [1] vgl. Mader, N. A.: Der Wertbeitrag von Stil bei Immobilien, 2010. vgl. Küster, N.: Schönheit und Wert von Immobilien, 2014. vgl. Günther, T.: Wert von Immobilien – Der Wert von Immobilien in Abhängigkeit von seinem Baustil und seiner Ästhetik, 2016. vgl. Hellwig, S.: Schönheit um jeden Preis? Einflussfaktoren der Ästhetik in der Immobilienbranche, 2016. [2] vgl. Mader, N. A.: Der Wertbeitrag von Stil bei Immobilien, 2010. [3] vgl. Thießen, F./Günther, T./Hellwig, S./Küster, N.: Fluch und Segen des Bauhausstils, 2017. vgl. Mader, N. A.: Der Wertbeitrag von Stil bei Immobilien, 2010. vgl. Küster, N.: Schönheit und Wert von Immobilien, 2014. vgl. Günther, T.: Wert von Immobilien – Der Wert von Immobilien in Abhängigkeit von seinem Baustil und seiner Ästhetik, 2016.