Gebäudehülle im Fokus: Werkstofftag von Caparol setzt mit neuen Technologien und Design Akzente

Was müssen Gebäudehüllen in Zukunft leisten? Und wie kann das Handwerk für den dringend benötigten Nachwuchs attraktiv werden? Spannende Antworten darauf gab der 21. Caparol-Werkstofftag Anfang November in Ober-Ramstadt. Mehr als 120 Gäste aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutierten im Eduard-Murjahn-Saal über Visionen und neue Technologien.

Gebäudehüllen haben Einfluss auf das gesamte Wohnen und müssen deshalb viel mehr leisten als früher. Zugleich steigen die technischen Möglichkeiten. Wie Theorie und Praxis hier zusammenkommen können, war Thema der Fachtagung. Unter dem Titel „Funktionalität der Gebäudehülle: Heizung – Akustik – Umwelt – Energie – Design“ kamen Experten aus dem Handwerk und von wissenschaftlichen Institutionen zusammen, um sich über Entwicklungen und Innovationen in der Branche auszutauschen. „Der Caparol-Werkstofftag ist eine feste Größe im Kalender der Experten“, freute sich Stefan Ehle vom Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz angesichts der zahlreich erschienenen Gäste. „Das ist ein Treffen für Vor- und Querdenker.“

Warum ein Zusammenwirken kluger Köpfe nötig ist, machte Dr. Ralf Murjahn zuvor in seiner Begrüßungsansprache deutlich: Einer Studie der Lackindustrie zufolge ist das Geschäft mit Fassadenfarben rückläufig. Das liege zum einen daran, dass die Produkte immer effizienter werden. Zum anderen sind auch die Oberflächen immer besser geworden. „Als Folge werden Renovierungszyklen länger“, so Murjahn. Hinzu komme der starke Trend hin zu Klinker- oder Vorhangfassaden. Letztere werden jedoch nur montiert – i.d.R. durch Fassadenbauer und nicht durch das Maler- und Stuckateurhandwerk. „Wir müssen die Geschäftsfelder für das Handwerk weiterentwickeln“, forderte der CEO der DAW SE deshalb die Zuhörer zu Offenheit gegenüber neuen  Technologien auf. Impulse dahingehend gab die Veranstaltung zuhauf. Franz Xaver Neuer, Leiter Technik Caparol, führte souverän durch die vier großen Themenblöcke „Kondensationsfreie Fassade“, „Umwelt und Energie“, „Schall und Akustik“ sowie „Funktionales Design“. „Funktionen der Fassade werden wichtiger“, kündigte Neuer an. Schutz vor Feuchtigkeit, Langlebigkeit und Schönheit, das seien Selbstverständlichkeiten, die heutzutage nicht mehr ausreichten. „Sie müssen sich  weiterqualifizieren und Ihre Mitarbeiter mitnehmen. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance für uns.“ Die Redner boten dahingehend neben handfesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch spannende Zukunftsvisionen. Ergänzt wurden die Vorträge mit Ausstellungen, bei denen sich die Zuhörer in den Pausen jeweils noch intensiver informieren konnten.

Über Fassadenheizungen sprach Dr. Helge Kramberger, Geschäftsführer des Dr. Robert-Murjahn-Instituts (RMI). Algen- und Pilzbefall sei nach wie vor eine Herausforderung. „Je grüner die Fassade, desto größer ist das Problem“, dem man mit Lösungsansätzen wie Nährstoffentzug, dem Einsatz von Bioziden oder Dachüberständen effektiv entgegenwirken will. „In den meisten Regionen Deutschlands ist Tauwasserbefall ein viel größeres Problem als Schlagregen“, erklärte Kramberger. Denn entscheidend für das Wachstum von Algen und Pilzen sei nicht die Wassermenge, sondern die Dauer der Nässe an der Gebäudehülle. Um das zu belegen, hat das RMI eigens eine inzwischen zum Patent angemeldete Messmethode entwickelt. Luftfeuchte, -temperatur und die Oberflächentemperatur der Fassade sind für Tauwasserbefall verantwortlich. Ein mit sensiblen Infrarot-Reflexionssensoren ausgestattetes, intelligentes Fassadentrocknungssystem könnte das in den meisten Fällen verhindern. Für die Stromversorgung wäre auch Photovoltaik denkbar, um die elektrisch leitfähige Grundierfarbe zu erwärmen, wie es sie für den Innenraum bereits gibt. Außen angewendet, wäre der Maler wieder gefragt. „Versierte Fachhandwerker könnten sich so neue Geschäftsfelder erschließen“, betonte Kramberger. Außerdem werde der Beruf mit neuen Technologien auch für den dringend benötigten Nachwuchs interessant. „Vielleicht bilden wir künftig Malertroniker aus – darüber müssen wir nachdenken.“

Mit dem Thema Umwelt und Energie setzen sich Max Gimpel-Henning, Product Manager der Green City Solutions GmbH aus Berlin, und Dr. Thomas Loewenstein, Projektentwicklung Fassade bei der DAW SE, auseinander. Gimpel-Henning stellte in seinem Vortrag einen „Naturstoff mit magischen Eigenschaften“ vor und erklärte, dass Moose durch ihre Filterfunktion die Luftqualität eindeutig verbessern können. „Im Gegensatz zu Dr. Kramberger suchen wir das Grün“, scherzte Gimpel-Henning: „Je grüner, desto besser.“ Moose sind lebende Organismen. Labortests bescheinigen dem Naturstoff eine 97-prozentige Filterkapazität für schädliche Feinstaub-Kristalle. Darin steckt viel Potenzial, denn viele Todesfälle lassen sich auf schlechte Luft zurückführen: „Luftverschmutzung ist der viertgrößte Killer“, so Gimpel-Henning. Feinstaub besteht aus winzigen Salzkristallen. Moos kann Teile des Salzes direkt mit Bakterien zersetzen und zum Teil auch verstoffwechseln, „wenn optimale Bedingungen herrschen.“ Moose benötigen Feuchtigkeit und kühle Temperaturen. Mit IOT-Technologie ans Internet angeschlossen, könnten Mooswände automatisch belüftet und bewässert werden. Und mittels einzelner Platten kann Moos auch auf Fassaden angewendet werden. Gemeinsam mit der DAW entwickelt Green City Solutions das System AeroCare: Module von je einem Quadratmeter Größe und einem Gewicht von unter 20 kg „Die durchlüftete Grünfassade bringen wir gemeinsam auf den Markt“, kündigte Kramberger an.

Dr. Thomas Loewenstein beschwor die „energetisch aktivierte Fassade“: Warum die Flächen nicht vermehrt für Photovoltaik oder Solarthermie nutzen, um Strom und Warmwasser für die Gebäude zu erzeugen? „Nachhaltige Energie wird immer wichtiger und muss dort erzeugt werden, wo sie gebraucht wird.“ Für die Nutzung der Sonnenstrahlen gibt es zwei Möglichkeiten: Photovoltaik erzeugt Strom, Solarthermie Wärme. Doch Wärme kann praktisch nicht in Strom umgewandelt werden. „Umgekehrt ist das schon einfacher“, sagte Loewenstein. Was sich auf Dächern längst etabliert habe, sei auch in der Vertikalen denkbar und an verschiedenen Gebäuden bereitserfolgreich getestet worden. Dachflächen in Städten seien begrenzt, weil hohe Gebäude davon wenig bieten. Fassaden bieten hier ein ungenutztes Potenzial. Gerade im Winter, wenn die Sonne tief steht, ist der Winkel der Sonnenstrahlen für das Auftreffen auf der Fassade günstiger. „Im Idealfall wirken Photovoltaik und WDVS zusammen.“ Daran arbeiten Loewenstein und seine Kollegen. Die Fassadenmodule mit den Kollektoren sind als Gestaltungselement architektonisch integrierbar, da sie in allen Formen und Farben gestaltet werden können. „Das macht die energetisch aktivierte Fassade auch optisch interessant.“ Auch in wirtschaftlicher Hinsicht sei die Entwicklung absolut sinnvoll „durch die Abrechnung mit der Energieeinsparverordnung“.

Einen Einblick in Schall und Akustik gaben Prof. Dr.-Ing. Holger Techen, Studiengang Architektur an der Frankfurt University of Applied Science, Robert Schwemmer, Geschäftsführer der Naporo Klima Dämmstoff GmbH mit Sitz in Österreich, und Hardy Rüdiger, Leiter Bautechnik FDT bei Caparol. Alle Drei sind sich einig: Fassaden können einiges leisten, um Straßen- oder Fluglärm zu verringern. Der promovierte Bauingenieur Holger Techen referierte zum Thema akustisch wirksame Fassaden. Städte werden immer dichter, immer mehr Menschen wohnen in immer mehr Häusern. „Gebäudehüllen wirken als Lärmverstärker.“ In Regionen wie dem Rhein-Main-Gebiet kommt zum Straßenlärm durch den Frankfurter Flughafen noch der „Lärm von oben“ hinzu. Um dem entgegenzuwirken, müsse der Reflexionspegel gesenkt werden. „Beim Thema Lärmreduzierung in Städten der Zukunft müssen Lösungen für Fassaden gefunden werden.“ Techen und sein Team testeten dahingehend verschiedene Fassaden-Module aus Kunststein, Textil, Metall oder Lamellen. Die Leitfrage: Wie müssen WDVS modifiziert werden, um akustische Wirksamkeit zu erzeugen? Das Ergebnis: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen hängt maßgeblich vom jeweiligen Standort ab. „Wenn man die richtigen  Module am richtigen Standort einsetzt, kann man erhebliche lärmmindernde Effekte erzielen.“ Diese Module müssen künftig in WDVS integriert werden. „Da sind Sie als Handwerker gefragt.“ Robert Schwemmer präsentierte Hanf als natürlichen Dämmstoff. „Hanf ist multifunktionell und kann in Form von Platten oder als flexibler Dämmstoff sowohl für Neubauten als auch bei Sanierungen verwendet werden.“ Sommers wie winters bietet Hanf einen hervorragenden Wärme- und Hitzeschutz. Die Hanfplatte wirkt wie eine Feder und kann so die Aufprallenergie von Hagelkörnern mindern. Und, das zeigte Schwemmer mit Hilfe von Videos eindrücklich, Hanf dient auch dem Schallschutz. Vor allem in Verbindung mit Ziegeln oder Massivholz verbessern die Hanfplatten den Schallschutz der Außenwand wesentlich. „Hanf bindet mehr CO2 im Wachstum, als die Produktion emittiert“, benannte Schwemmer einen weiteren Vorteil.

Hardy Rüdiger knüpfte an Themen seiner Vorredner an, machte aber zugleich deutlich: „Die Pauschallösung für alle Probleme gibt es nicht.“ Funktionen wie Schallschutz seien bisher bei der Planung von WDVS nur am Rande thematisiert worden. Dabei biete gerade das Chancen zur Entwicklung – nicht nur im Handwerk, sondern auch in der Politik und Gesellschaft: „Guter Schallschutz macht auch Bauplätze in lärmintensiveren Gegenden attraktiv.“ Doch die Gebäudehülle dürfe man nicht isoliert betrachten. Neben der Fassade gibt es Elemente wie Türen, Fenster oder Rolladenkästen. „Hier wirkt eine Vielzahl an Einzelkomponenten zusammen“, verdeutlichte Rüdiger. Bei der Fassadenkonstruktion muss also die Summe der akustischen Eigenschaften aller Bauteile betrachtet werden.

Funktionales Design stand erstmals auf der Tagesordnung des eher technikorientierten Werkstofftags. Doch die Referenten Margit Vollmert, Leiterin des Caparol FarbDesignStudios, und Professor Markus Schlegel, Prodekan Internationalisierung an der HAWK Hildesheim, verdeutlichten dem Auditorium, weshalb die Gestaltung als Zukunftsthema erkannt wurde. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, zitierte Vollmert den berühmten Ausspruch des bekannten Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick: „Auch Fassaden kommunizieren.“ Sie bieten je nach Gestaltung Orientierung oder weisen auf die Nutzung des Gebäudes hin. Farben und Formen müssen dabei im Kontext betrachtet werden, zudem müssen Design und Funktion zusammen gehen. Gestaltung und Handwerk könnten hier viel voneinander lernen. „Architekten und Meisterschüler müssen zusammenarbeiten“, forderte Vollmert. Dass Städte typische Farbigkeiten aufweisen, verdeutlichte sie anhand umfangreicher, ortsbezogener Farbrecherchen: „Wir haben heute alle Möglichkeiten und sollten die richtigen Farben finden, die hinsichtlich Funktionalität und Umgebung passen – sie wirken in Zeiten der Globalisierung identitätsstiftend.“

Dass der Werkstoff Putz einen wichtigen Teil unserer Baukultur ausmacht, verdeutlichte Markus Schlegel anhand der Studie „renderingCODES“, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Putzes untersucht und erforscht wird. Für die Fassadengestaltung steht heute eine Vielzahl an Werkstoffen und Werkstoffbearbeitungstechniken wie Lasern, Fräsen oder auch Drucken zur Verfügung. Putz spiegelt aktuell nicht die gestalterischen Zukunftsthemen wider. Deshalb müsse sich der traditionelle Werkstoff neu aufstellen und als hochwertiges Mittel zur Gestaltung neu etablieren. Um Impulse zur Gestaltung künftiger Gebäudehüllen zu erhalten, wurden in Worklabs mit Planern, Handwerkern und Studierenden neue Ideen und Visionen für die Stadt der Zukunft und ihre Fassaden entwickelt. Sechs übergeordnete Leitthemen wurden dabei identifiziert. Sie zeigen die Anforderungen an die zukünftige Gebäudehülle und damit auch an Putz: Neben dem auch künftig wichtigen Thema Bestand und tradierte Werkstoffe zeichnen Vernetzung und Digitalisierung, Individualisierung durch Robotik, modular reversibles Bauen und die grüne Fassade die entwickelten Szenarien aus. Dabei sind Aspekte wie Multifunktionalität, Wandlungsfähigkeit und Fassaden mit ökologischem Mehrwert sowie Materialien mit Authentizität und identitätsstiftendem Charakter wesentlich. „Der Putz der Zukunft ist nicht ein Putz“, sagte Schlegel, „es wird viele Variationen und Möglichkeiten geben“. Wenn Putz wieder als Synonym für Zukunft und gestalterische Aktualität stehen soll, wird die Gebäudehülle mit Putz multifunktionaler sein und mehr leisten müssen.

In ihren Schlussworten bedankten sich Jan Bauer, Präsident des Bundesverbandes Farbe Gestaltung Bautenschutz, und Thomas Schmid, Stellvertretender Vorsitzender Ausbau und Fassade im ZDB, für die „Leitveranstaltung von und mit der Branche“ (Bauer) und „das Feuerwerk an Neuigkeiten“ (Schmid). Der Werkstofftag sei ein toller Rahmen, um gemeinsam Visionen zu entwickeln. „Es gibt keine vergleichbare Veranstaltung, bei der die Malerelite zusammenkommt“, stimmte Bauer zu. Caparol aktiviere die Fassade, mache sie lebendig. Dadurch entstehe ein Mehrwert für Umwelt und Bewohner, aber natürlich auch für das Gewerbe. Wenn es gelinge, Mehrwert für Kunden zu generieren, „dann endet auch die Preisdiskussion.“ Aber: „Auf den Baustellen ist oft noch das alte Handwerk“, bedauerte Schmid. „Aber wir müssen über unseren Tellerrand hinausblicken und die Branche nach vorne bringen.“ Die Aufgabe werde nun sein, die breite Masse an Kollegen mitzunehmen.

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