Alles liegt auf dem Tisch
„Moment mal!“: Die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) bezieht Stellung.
Zahlen, Appelle, Lösungen – alles liegt auf dem Tisch. Was jedoch nach wie vor fehlt, ist ein angemessenes, entschlossenes und schnelles Handeln der Bundesregierung, um der dramatischen Entwicklung am deutschen Wohnungsmarkt zu begegnen.
Zunächst der Blick auf die neuesten Zahlen: In Deutschland fehlen 700.000 Mietwohnungen. Das ist das größte Wohnungsdefizit seit zwei Jahrzehnten. Zu diesem Ergebnis ist kürzlich die vom Pestel Institut und dem schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstitut ARGE veröffentlichte Studie „Bauen und Wohnen in der Krise“ gekommen. Insgesamt verläuft der Wohnungsneubau schleppend: 2021 wurden 293.393 Wohnungen neu gebaut. 2022 ist diese Zahl aller Voraussicht nach weit unterschritten worden. Und 2023? Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass es einen dramatischen Einbruch geben wird. Das Ziel der Koalition, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, ist mittlerweile völlig unrealistisch.
Eine starke Dynamik gibt es darüber hinaus auf der Nachfrageseite, denn Deutschland erlebt momentan eine demografische Zeitenwende. Kürzlich vermeldete das Statistische Bundesamt, dass im ersten Halbjahr 2022 erstmals mehr als 84 Millionen Menschen in Deutschland gelebt haben: Experten rechnen mit einem kräftigen Wachstum der Bevölkerungszahl Richtung 90 Millionen. Hierunter sind viele Flüchtlinge aus der Ukraine. Allein 2022 sind eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. Vor allem im niedrigen und mittleren Preissegment wird somit ein wachsender Wohnraumbedarf zutage treten, dem nur begegnet werden kann, indem mehr Wohnungen gebaut werden.
Was uns zu den Appellen bringt: In einem offenen Brief haben im Dezember 17 Verbände und Kammern zum Wohnungsbau zwölf Forderungen an die Bundesregierung herangetragen. Der Tenor: Die Abwärtsspirale kann gestoppt werden, wenn die Bundesregierung schnell und konsequent die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Mit dieser Forderung ist die Wohnungsbau- und Immobilienbranche nicht allein: Auch der Deutsche Mieterbund warnte unlängst vor einem „ungeahnten Desaster“ auf dem Wohnungsmarkt und forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Bemerkenswert ist dabei, dass der Mieterbund nicht große Änderungen des Mietrechts oder gar einen Mietendeckel gefordert hat, so wie er es gebetsmühlenartig seit Jahren macht. Auch der Mieterbund hat erkannt, dass nur eine Ausweitung des Angebots hilft.
Um dem Wohnraummangel entgegen zu wirken, muss das Rad nicht neu erfunden werden. Es sollten insbesondere jene Hürden abgebaut werden, die dem zügigen Bau von bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnungen im Wege stehen. Es wäre ein großer Schritt nach vorn, wenn endlich Planungssicherheit und ein investitionsfreundliches Klima für alle Akteure der Wohnungswirtschaft inklusive der privaten Bauherren hergestellt werden könnten.
Zu erreichen wäre das, wenn es ein verbindliches und rundes Förderkonzept gäbe, auf das sich alle Akteure verlassen können. In Zahlen ausgedrückt: Benötigt wird eine Neubauförderung mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro jährlich. Damit auch größere Projekte effektiv gefördert werden können, ist das EU-Beihilferecht anzugehen. Die derzeitige De-Minimis-Regelung limitiert den Gesamtbetrag der Beihilfen, die einem Unternehmen gewährt werden dürfen, innerhalb von drei Veranlagungszeiträumen grundsätzlich auf 200.000 Euro.
Zudem sollten prioritär baureife Grundstücke, geeignete Konversionsflächen und Bestandsflächen aktiviert werden. Daneben könnten modulare, serielle und typisierte Bauweisen in Kombination mit digitalen Tools helfen, bezahlbare, qualitätsvolle und klimaschonende Wohnungen zu schaffen. Typisierte Wohngebäude würden darüber hinaus die Errichtung neuer Wohngebäude beschleunigen, weil der Planungszeitraum dadurch wesentlich verkürzt wird.
Schließlich bedarf es eines politischen Aufbruchssignals. Selten war dafür die Gelegenheit so günstig wie zu Anfang dieses Jahres: Unsere Branche kann mit Klara Geywitz auf eine beherzt handelnde Ministerin bauen. Sie benötigt ein klares und mutiges Bekenntnis des Kanzlers, dass das Thema Wohnungsbau endlich zur Top-Priorität der Ampelkoalition wird. Ausreichend vorhandener und erschwinglicher Wohnraum ist ein entscheidender Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land. Angesichts ständig neuer innenpolitischer und außenpolitischer Herausforderungen sollte in unser aller Interesse jetzt gehandelt werden.