Neue Werttreiber für Wohnimmobilien?
Die Illusion, Wohnimmobilien seien unabänderlich wertbeständige und sichere Wirtschaftsgüter, ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Deshalb verwundert es nicht, dass Begriffe wie Energieeffizienz und energetische Sanierung, Werthaltigkeit und Nachhaltigkeit in aller Munde sind.
Immobilienmärkte unterliegen, wie die Anforderungen an die Immobilien selbst, einem bislang nicht gekannten Wandel. Da liegt es nahe, nicht marktfähige oder nur eingeschränkt marktfähige Immobilien an die Nachfrage anzupassen. Zunehmende Bedeutung gewinnen energetische Sanierungen, die eine Verbesserung der Energieeffizienz bewirken. Dabei fassen wir den Begriff „energetische Sanierung“ weit im Sinne von Investitionsmaßnahmen in Wohngebäude, die über reine Instandhaltung hinaus zu einer merklichen Verbesserung der Energieeffizienz führen. Unstreitig ist, dass durch energetische Sanierungen nicht mehr marktfähige Immobilien ihre Marktfähigkeit zurückgewinnen können. Energetische Sanierungen können aber auch dazu führen, dass lediglich Kosten ohne ökonomische oder ökologische Wirkung ausgelöst werden. Was nützt eine energetisch optimierte Immobilie an einem Standort, an dem keine Nachfrage besteht? Insoweit bewirken energetische Sanierungen stets ökonomische und ökologische Effekte. Im Rahmen der Immobilienbewertung interessiert vor allem, inwieweit geplante oder bereits realisierte energetische Sanierungen den Wert von Immobilien verändern. Das Maß der Wert-änderung orientieren wir im Folgenden am Verkehrswert (Marktwert) der Immobilie. In § 194 des Baugesetzbuches wird der Marktwert als ein objektivierter Immobilienwert definiert, in dem alle den Wert beeinflussende Eigenschaften der Immobilie erfasst werden. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass diese Eigenschaften im gewöhnlichen Geschäftsverkehr wertbeeinflussend sind. Der Marktwert kann grundsätzlich mit dem Vergleichswert-, Sachwert- oder Ertragswertverfahren quantifiziert und begründet werden.
Vergleichswert
Liegt eine hinreichende Zahl an Käufen energetisch sanierter Objekte in vergleichbarem Zustand vor, kann der Werteinfluss grundsätzlich aus den Kaufpreisen abgeleitet werden. Das Vergleichswertverfahren scheitert jedoch i.d.R. an einer zu geringen Transaktionszahl. Liegen nur wenige Kauffälle vor, kann mit Hilfe des Vergleichswertverfahrens bestenfalls eine Plausibilisierung ermittelter Immobilienwerte erfolgen.
Sachwert
Sachwerte beruhen auf Substanzkosten, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit einem Marktwert aufweisen. Substanzkosten beinhalten weder ökonomische noch ökologische Werteinflüsse. Insoweit bleibt eine energetische Sanierung im Rahmen einer Sachwertermittlung per se außen vor. Eine mit Gründen versehene Anpassung der Substanzkosten an die Marktverhältnisse zur Berücksichtigung energetischer Sanierungen mit ihren ökonomischen und ökologischen Werteinflüssen ist infolge fehlender Marktdaten ausgeschlossen. Damit scheidet das Sachwertverfahren als Begründungsmittel für den Marktwert energetisch sanierter Immobilien in aller Regel aus.
Ertragswert
Meist kann der Marktwert nur durch einen „mittelbaren Vergleich“, das Ertragswertverfahren ermittelt werden. Der mittelbare Vergleich im Ertragswertverfahren bezieht sich vor allem auf Erträge und Bewirtschaftungskosten, Nutzungszyklus und Restnutzungsdauer, Vermietungschance und Nachfrage. In nachstehender Tabelle ist die Ertragswertermittlung eines Wohngebäudes mit neun Wohnungen dargestellt. Der Jahresrohertrag entspricht der ortsüblichen Vergleichsmiete. Betriebskosten werden, soweit zulässig, auf die Mieter umgelegt bzw. von den Mietern unmittelbar getragen. Für den Fall, dass im Wesentlichen grundstücksmarktübliche Bedingungen ohne besondere energetische Sanierung vorliegen, ergibt sich eine Bewertung, die der ersten Spalte der Tabelle entspricht. In der zweiten Spalte sind mögliche Auswirkungen energetischer Sanierungen auf Wertansätze und Werte gelistet, wobei die energetische Sanierung und die damit ausgelösten Kosten vor dem Wertermittlungsstichtag wirksam waren. Die Gegenüberstellung zeigt, dass insbesondere Erträge (ortsübliche Vergleichsmieten), Bewirtschaftungskosten, Verzinsungshöhe (Liegenschaftszinssatz) und Nutzungszyklus (Restnutzungsdauer) beeinflusst sein können. Eine Besonderheit des Wertermittlungsmodells ist, dass ggf. niedrigere Betriebskosten infolge energetischer Sanierung nicht bei den Bewirtschaftungskosten, sondern beim Jahresrohertrag erfasst werden. Erhöhte Chancen der Vermietung und eine verbesserte Marktgängigkeit werden vorzugsweise durch die Änderung der Verzinszungshöhe erfasst. Grundsätzlich können alle Parameter der Wertermittlung – kumulativ und in unterschiedlicher Intensität – beeinflusst sein. Zu beachten bleibt, dass Werteinflüsse nicht doppelt Berücksichtigung finden dürfen.
Die Gegenüberstellung der Ertragswertermittlungen zeigt, dass durch energetische Sanierungen erhebliche Wertdifferenzen ausgelöst werden können. In unserem Beispiel ist der Ertragswert infolge energetischer Sanierung von 450 000 € auf 600 000 € angewachsen. Stehen die Investitionskosten für energetische Sanierungen noch an, so sind die Investitionskosten wertmindernd zu berücksichtigen, indem der Ertragswert durch die ausstehenden Investitionskosten gemindert wird. Die Praxis zeigt, dass die Investitionskosten für energetische Sanierungen nicht in allen Fällen durch entsprechende Werterhöhungen kompensiert werden können. Neben einer rein stichtagsbezogenen und damit kurzfristigen Betrachtung der Wertänderung muss vor allem die Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit der Immobilie beachtet werden. Dies gilt besonders für Wohnimmobilien in volatilen Märkten und Zeiten. In dieser Situation sind unabhängige Immobilienbewertungen bezogen auf die bestehende Situation wie auf die zukünftige Marktposition der Immobilie unumgänglich, sind verantwortliche und verantwortbare Entscheidungen zu treffen. Dies gilt besonders für Geschäftsführer und Vorstände von Unternehmen, die zunehmend die Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit des Immobilienbestandes im Auge haben und handeln müssen.