Alle Emissionen auf null
In Kooperation mit dem Berliner Startup ecoworks testet die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) in einem Pilotprojekt im Rheingau, ob seriell vorgefertigte Fassadenelemente in Verbindung mit Photovoltaik und Wärmepumpen wirtschaftlich sinnvoll sind. Das angestrebte Ziel für den Betrieb: ein Null-Emissionshaus.
Rüdesheim am Rhein – ein Inbegriff deutscher Fachwerk-Romantik und Weinbautradition. Die Tatsache, dass hier international anerkannte Weine wie Rheingauer Riesling oder Assmannshäuser Spätburgunder wachsen, sorgt für einen kontinuierlichen Touristenstrom. Doch neben pittoresken Fachwerkhäusern und historischen Weingutsvillen finden sich auch zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser aller Epochen. Bestände, die gemäß internationaler Vereinbarungen in den nächsten drei Jahrzehnten klimaneutral werden müssen. In einigen Fällen eine echte Herausforderung!
Pilotprojekt mit Signalwirkung
Eines dieser Gebäude-Ensembles umfasst 28 Wohnungen und ist von erheblichem Modernisierungsbedarf geprägt. Es wurde von der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) für ein gemeinsames Pilotprojekt mit dem Berliner Startup ecoworks ausgewählt. Das Ziel: Durch Vollmodernisierung einen Net-Zero-Standard erreichen. Gleich zwei Innovationen sollen in den zwei dreigeschossigen Häusern aus den 1930er Jahren und den dazwischen gebauten zweistöckigen Gebäuden aus 1970 beweisen, dass eine derartige Maßnahme auch für ältere Wohnhäuser möglich ist – und zwar so günstig, dass am Ende die Warmmiete nur unwesentlich steigt.
Schritt 1 der Lösung: Seriell vorgefertigte Fassadenmodule und Dachelemente, die den derzeitigen Energieverbrauch von 250 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter (kWh/m2a) auf den KfW-Effizienzhaus-55-Standard und damit einen Verbrauch von weniger als 35 kWh/m2a bringen. In die einzelnen Bauteile sind Fenster, Mineralfaser-Dämmung und Einbauten für die Haustechnik bereits integriert. Vor Ort werden sie wie eine zweite Haut vor die vorhandene Fassade gesetzt, was die Arbeitszeit deutlich verkürzt.
Schritt zwei: Eine über ein Contracting-Modell finanzierte Photovoltaik-Anlage treibt eine Luft-Wärmepumpe an und stellt so die Energie für Heizung und Warmwasser bereit. Das großzügig dimensionierte Kraftwerk soll zudem die Hausinstallationen und – über ein Mieterstrommodell – auch die Haushalte mit Strom versorgen. Angestrebt ist, dass die Gebäude unterm Strich mehr Energie produzieren als sie verbrauchen und damit CO2-neutral werden. Der derzeitige Ausstoß von Kohlendioxid liegt durchschnittlich bei über 70 Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr – diese blieben der Umwelt zukünftig erspart.
NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer erläutert die Intention des ersten Pilotversuchs in Hessen, in den die Unternehmensgruppe voraussichtlich rund 2,9 Mio. Euro investieren wird: „Die CO2-Minimierung im Bestand ist Teil unserer Klimastrategie, zu der wir uns auch gegenüber der Landesregierung verpflichtet haben. Wir vertrauen darauf, mit dieser industriellen Variante unsere Quote in der Modernisierung zu erhöhen und halten Wort beim Energiesprong Volume Deal.“ Mit dieser gemeinsamen Aktion wollen Wohnungs- und Bauwirtschaft einen ersten Durchbruch bei der Marktentwicklung vorgefertigter Dämmlösungen in Deutschland erzielen. Beim Volume Deal, koordiniert von der Deutschen Energie-Agentur, stellen 22 Wohnungsunternehmen über 11.000 Wohnungen bereit, die in den nächsten vier Jahren seriell saniert werden.
Recycling-Materialien als Dämmstoffe
Die Zusammenarbeit mit ecoworks nahm ihren Anfang beim letztjährigen Contest des NHW-eigenen Startup Accelerators hubitation, bei dem die Berliner ins Finale einzogen. Die junge Gesellschaft versteht sich als Bauunternehmer und Energieversorger zugleich. ecoworks setzt auf industrielle Vorfertigung, modulare Bauweise und hocheffiziente Energiesysteme. „Unser Ziel ist es, den Wohnungsbestand nachhaltig zu gestalten, die Energiewende in Deutschland endlich in den Gebäudesektor zu bringen und Häuser zu Kraftwerken umzubauen“, so Geschäftsführer Emanuel Heisenberg.
Das Modernisierungsverfahren ist revolutionär: Zunächst erfasst ein 3D-Laserscanner alle sichtbaren Elemente des Hauses und stellt ein elektronisches Aufmaß für das Gebäude und ein dreidimensionales Architekturmodell her. Die Daten sind die Basis für die industrielle Fertigung. Heisenberg: „Durch die digitale Datenerfassung und die Wiederverwendung von Leitdetails können wir die Planungsphase verkürzen, mithilfe der vorgefertigten Module die Bauzeit gegenüber konventionellen Modernisierungen deutlich verringern.“ Synergieeffekte, die auch die NHW für sich nutzen möchte. Karin Hendriks, Leiterin des Unternehmensbereichs Modernisierung / Großinstandhaltung: „Mit diesem Pilotprojekt wollen wir prüfen, ob wir Kosten reduzieren und Effizienzgewinne bei der Montage erzielen können. Zudem wollen wir testen, ob wir mit einer solchen industriellen Vorfertigung generell die Modernisierungsrate in unseren Beständen steigern können.“
Die technischen Voraussetzungen scheinen gegeben. Die maßgeschneiderten Elemente werden heute noch in Brandenburg von Hand produziert, geplant ist aber eine automatisierte Fertigungsstraße. „Unsere Fassadenmodule bestehen aus einem Holzrahmenbau, der mit Glasfaserdämmstoff aus Recycling-Material gefüllt wird, der höchstmöglichen ökologischen Standards genügt und zufriedenstellende Dämmwerte erzielt“, erläutert Heisenberg.
Kaum Mehrbelastung für die Mieter
Parallel setzt ecoworks auf innovative Energietechnik. Eine Tochtergesellschaft des Berliner Startups installiert über ein Contracting-Modell finanzierte Photovoltaik-Anlagen inklusive Stromspeicher auf den Dächern. Die liefern Strom für eine Luft-Wärmepumpe sowie eine kontrollierte Wohnraum-Belüftung. Das Gebäude produziert dadurch idealerweise so viel Energie, wie die Haushalte für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen. Die komplette Anlagentechnik ist in einem Energiemodul außerhalb der Häuser untergebracht. Sie wird die nächsten 15 Jahre von ecoworks betrieben, gewartet und instandgehalten.
Die Bewohner dürfen sich nach Abschluss aller Arbeiten nicht nur über mehr Wohnkomfort freuen, auch die Mieten werden nur moderat steigen. Derzeit gehen die Planer davon aus, dass sich die aktuelle Kaltmiete nur minimal erhöht. Einer geringfügigen Steigerung der Grundmiete stehen deutliche Einsparungen bei Heiz- und Nebenkosten gegenüber. Hendriks: „ecoworks hat für diese drei Gebäude einen Kostenneutralitätsnachweis geführt. Demnach werden die Mieter durch die Modernisierung nicht übermäßig belastet.“ Wenn alles reibungslos vonstattengeht, erbringt das Pilotprojekt den Beweis, dass mithilfe vorgefertigter Elemente ein klimafreundliches Gebäude kostengünstig und schnell realisierbar ist.
Gelungene Kooperation
Baubeginn ist jetzt im Sommer 2020. Aber bereits im Vorfeld profitieren beide Projektpartner. „Durch die Unterschiede in der Struktur und im Alter beider Unternehmen fällt es ecoworks leichter, bekannte Denkmuster zu verlassen. Dadurch können Vorschläge und Lösungen erarbeitet werden, die keinen Konventionen oder Erwartungen gerecht werden müssen“, erkläutert Hendriks. Heisenberg ergänzt: „Für unsere Entwicklung kommt dem Projekt eine besondere Bedeutung zu, da wir von der Größe und der Erfahrung der NHW profitieren.“
Lesen Sie auch das Interview mit der NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer zum Thema, www.bundesbaublatt.de
Wenn alles reibungslos vonstattengeht, erbringt das Pilotprojekt den Beweis, dass mithilfe vorgefertigter Elemente ein klimafreundliches Gebäude kostengünstig und schnell realisierbar ist.