Barrierefrei, aber richtig!

Demografische und soziale Entwicklungen führen dazu, dass in der Baubranche ein Umdenken stattfinden muss. Die DIN 18040 setzt auf Konzepte, die eine Gleichstellung aller Menschen ermöglicht und so die Autonomie Einzelner nicht untergräbt.

Wohnungsbaugesellschaften stehen bei dem Neubau einer Immobilie wie auch bei einer Bestandsrenovierung vor sehr komplexen Entscheidungen. Da in den meisten Fällen nicht von Anfang an feststeht, wer in eine Wohnung oder einen Hausabschnitt einzieht, kann es mitunter nach Bezug zu vielen Veränderungen kommen, wenn Mieter beispielsweise einen Rollstuhl benötigen, Kinder bekommen oder ältere Generationen einziehen. „Ein ansteigender Trend ist das sogenannte Mehrgenerationenhaus, in dem von jungen Menschen über Familien bis zu Senioren alle in einer harmonischen Gemeinschaft leben“, erklärt ALUMAT-Juniorchefin Claudia Rager-Frey.

Prognosen aus dem „Pflegereport 2030“ der Bertelsmann Stiftung verzeichnen innerhalb der nächsten rund zwanzig Jahre ein Anwachsen der Bevölkerung im pflegebedürftigen Alter um rund 48 %. Grund hierfür sind gute Krankenversorgungen und die steigende Lebenserwartung. Zudem ging aus der Forschungsstudie „Wohnen im Alter – Marktprozesse und wohnungspolitischer Handlungsbedarf“ vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hervor, dass von 40 Mio. Wohnungen in Deutschland im Jahr 2011 nur lediglich 500.000 altengerecht umgesetzt waren. In den kommenden Jahren kann nach Aussagen des Münchner Professors Lothar Marx, Mitglied des Normenausschusses für barrierefreies Bauen und betreutes Wohnen, davon ausgegangen werden, dass eine Großzahl dieser Menschen zu Hause betreut wird. Dies fordert ein Umdenken in der Gestaltung und Sanierung von Bauprojekten, um für Senioren, Kinder und Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen universelle Lebensräume zu schaffen.

Behindertengerecht ist von gestern

Bezogen auf Bau- und Einrichtungskonzepte, bedeutet eine behindertengerechte Umgebung eine Anpassung an eingeschränkte körperliche Fähigkeiten oder kognitive Schwächen. „Grundsätzlich beziehen sich viele Kon­zepte auf eine nachträgliche Aufrüstung durch spezielle Hilfen in Räumen oder durch Umbau bereits bestehender Bauwerke“, be­­merkt Rager-Frey und ergänzt: „Allerdings steht dies meist in Verbindung mit nur einem Faktor, wie beispielsweise der Nutzung von Rollstühlen, und lässt andere Faktoren wie Sehbehinderungen, ältere Menschen, Kinder oder andere Nutzergruppen unter Umständen außer Acht.“

Unter dem Aspekt der Gleichstellung und Berücksichtigung mannigfaltiger Faktoren, die Bewegungen einschränken, lassen behindertengerechte Konzepte allumfassende Lö­­sungsansätze vermissen. Es muss bedacht werden, dass ebenfalls Transporte von schweren Gepäckstücken, Kinderwagen oder auch Trolleys Bewegungsfreiheiten einschränken, auch wenn die Nutzer körperlich keine Defizite haben. In diesem Fall leisten barrierefreie Bauausführungen gesteigerten Komfort. „Das ist ja der Clou an Barrierefreiheit. Für Menschen, die darauf angewiesen sind, leistet Barrierefreiheit einen entscheidenden Beitrag zur persönlichen und räumlichen Autonomie und fällt im besten Fall ansonsten nur durch komfortable Nutzung auf“, so Rager-Frey.

Eine große Idee für einen gemeinsamen Nenner – Barrierefreiheit

Bauen für alle, universelles Bauen oder auch menschengerechtes Bauen, all diese Bezeichnungen lassen sich unter einem Begriff zu­­sammenfassen: Barrierefreiheit. Diese ganzheitlichen Konzepte berücksichtigen bei Produkten, Dienstleistungen und auch Bauprojekten eine Nutzung von so vielen unterschiedlichen Personengruppen wie möglich. Maßgebliche Richtlinien für Baugesellschaften sind in der neuen DIN 18040 verankert. Diese gibt für öffentliche und nun auch für private Gebäude Maßnahmenpläne vor, die konkret festlegen, welche Anforderungen an barrierefreie Umgebungen gestellt werden.

„Zum Beispiel legt die Norm fest, welche Anforderungen in Türbereichen bestehen“, sagt Claudia Rager-Frey. So muss, je nachdem, ob eine Dreh- oder Schiebetür genutzt wird, stets ausreichend Platz zur Verfügung stehen. Im Fall einer Drehtür legt die DIN 18040 150 cm vor und hinter der Tür fest, um genügend Platz zum Rangieren mit einem Rollstuhl zu ermöglichen. Zwischen Türgriffseite und der nächstliegenden Wand sind mindestens 50 cm einzuplanen, wenn es sich hier um eine Ecke handelt. Bei einer Schiebetür reichen 120 cm, allerdings muss dann rechts und links ein zusätzlicher Abstand von 50 Zentimetern bestehen. In jedem Fall fallen die Türmaße in der Breite mit 90 und in der Höhe mit 205 cm aus.

„Die Norm leistet so gesehen einen großen Beitrag zur Orientierung für Bauherren und -gesellschaften. So legt sie beispielsweise Freiräume in Räumen fest und gibt Planungsgrundlagen für Sanitärräume und Einrichtungen sowie Küchen“, sagt Claudia Rager-Frey und hebt hervor: „Auch für Türen und Zuwegungen finden sich in der Norm feste Angaben, wie Tür- und Flurbreiten. Unter anderem besagt die Auflage, dass untere Türanschläge, wie sie bei Türschwellen vorkommen, nicht mehr zulässig sind.“

Von der Idee zur Umsetzung – Lösungen entwickeln und finden

Die Norm 18040 legt Planungsgrundlagen fest. Umgesetzt werden müssen diese je­­doch von Architekten, Ingenieuren und Bauunternehmen. Einführungen der Norm oder auch einzelner Punkte in technische Baubestimmungen kann jedes Bundesland selbst bestimmen. Fehlen Lösungen für barrierefreies Bauen jedoch, erschweren derartige Auflagen die Umsetzung eines Bauprojektes in den einzelnen Bundesländern erheblich. „Es gilt an dieser Stelle mit Lö­­sungen zu unterstützen, denn eine Idee kann nur realisiert werden, wenn die nötigen Mittel zur Verfügung stehen“, verdeutlicht Rager-Frey. Dies betrifft Technik, Funktionalität und Design von Bauelementen und -systemen.

Unter Berücksichtigung der Anforderung der DIN 18040 hat das Familienunternehmen aus Kaufbeuren eine patentierte Magnet-Doppeldichtung entwickelt, die für Türen sowohl als bodengleiche Nullschwelle fungiert und gleichzeitig Schutz gegen Feuchtigkeit und Zugluft bietet. Um beide Anforderungen zu erfüllen, setzt ALUMAT auf Magnetismus in Kombination mit einem ausgefeilten und wartungsarmen Wasserablaufsystem. „Egal, ob es sich um Regen, Fassadenwasser oder Schnee handelt, jegliche Feuchtigkeit wird durch einen unter der Schiene liegenden Abfluss weg­­geleitet. Zusätzlich verhindert eine ver­stellbare Silikon-Schleifdichtung im ­Wet­terschenkel Schmutzansammlungen und so­­mit Funktionsbeeinträchtigungen“, erklärt Rager-Frey.

Um 48 % könnte die Anzahl der Pflegebedürftigen laut „Pflegereport“ der Bertelsmann-Stiftung bis 2030 steigen.

Von 40 Mio. Wohnungen in Deutschland sind nur 500.000 altengerecht umgesetzt.

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