Flexibler Wohnraum: Fest gemauert war mal

In einer Serie mit dem BMUB präsentieren wir Projekte aus der Bauforschung. In Teil 24 geht es um experimentellen Wohnungsbau.

Die Frage zur Zukunft des Bauens ist in den letzten Jahren zunehmend von bauphysikalischen Aspekten und hier vor allem der Energieeffizienz bestimmt. Dies ist vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschärfenden Umweltfragen absolut notwendig und verständlich. Dennoch bauen wir nicht in erster Linie Gebäude zur Energieeinsparung sondern zum Aufenthalt von Menschen, zum Arbeiten, Wohnen und Leben im Allgemeinen. Gebäude müssen daher, neben höchster Energieeffizienz, selbstverständlich auch höchsten gestalterischen Anforderungen genügen. Menschen müssen sich hier in erster Linie wohlfühlen.

Es bedarf daher dringend einer ganzheit­­li­­­chen Betrachtung von Gebäuden. Dies ist, bei aller Verwässerung des Begriffs, die wesentliche Essenz der viel diskutierten „Nachhaltigkeit“.
Trotz teilweise geäußerter anderslautender Meinungen steht dabei die Energieeffizienz und Gestaltungsfreiheit keineswegs in einem Widerspruch und dies auch nicht unter hinzuziehen wirtschaftlicher Gesichtspunkte.

Die Zukunft des Bauens liegt hierbei im Bestand. Dessen Modernisierung in energetischer aber eben auch architektonischer Hinsicht ist zwingend notwendig. Aus dieser Feststellung lassen sich aber auch die wesentlichen Anforderungen für heutige Neubauten – die Bestandsbauten der Zukunft – ableiten. Neben höchster Energieeffizienz muss hier vor allem die Flexibilität zur dauerhaften Nutzung im Vordergrund stehen. Die für Neubauten aufzuwendenden Ressourcen müssen einerseits minimiert werden (Stichwort „Graue Energie“) aber eben auch durch höchste Flexibilität dauerhaft genutzt werden können. Für die Nutzungsphase sollte Bedarfsminimierung weiterhin im Vordergrund stehen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch sogenannte „Plus-Energie-Häuser“ einen erheblichen CO2-Fussabdruck hinterlassen. In diesem Sinne wird ein durch das Land NRW geförderter „experimenteller“ Wohnungsbau vorgestellt.

Aufgabenstellung

In vielen Hochschulstädten, so auch in Wuppertal ist die Anzahl der Studierenden stark angestiegen. Dieser Trend wird jedoch nicht dauerhaft anhalten. Insofern galt es ein Gebäude zu entwickeln, das neben der Erstnutzung zum studentischen Wohnen zukünftig auch für andere Nutzergruppen mit geänderten Raumkonstellationen bewohnbar bleibt.

Städtebauliche Einbindung

Die Aufteilung der Nutzfläche auf drei Gebäudekörper und deren Platzierung im Gelände, auf den in der steilen Topografie vorhandenen Geländeplateaus, unterstützt die städtebaulichen Qualitäten. So kann für alle Bewohner Ausblick, passive Solarnutzung und Freiraumqualität sichergestellt werden. Die geschaffene öffentliche Durchwegung des privaten Grundstücks, ermöglicht eine Verknüpfung zwischen Universität und städtischer Struktur. Diese Vermittlerrolle wird durch die mögliche flexible Nutzung zwischen studentischem Wohnen bis hin zum familiengerechten Wohnen unterstützt. Die Eigenarten des Ortes und der ortstypischen Topografie werden zum charakteristischen Merkmal der Wohnanlage.

Flexibilität

Die kompakten, in ihren Abmessungen optimierten Baukörper umschließen ein schmales Treppenhaus. Die gesamte Nutzfläche ist frei von tragenden Bauteilen und Steigesträngen. Flachdecken ermöglichen den freien horizontalen Leitungsverzug. Die Grundrisse der Studentenapartments können bei Bedarf zu I- bis  3-Personen-Wohnungen im Sinne des öffentlichen Wohnraumförderprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen umgenutzt werden.

Topografie als Chance

Das Gebäude reagiert auf die Besonderheiten des Ortes. Am Hang liegend ist es weder von oben, noch von unten direkt mit Fahrzeugen erreichbar. Das Gebäude wird auf jeder Ebene über Stege und Brückenkonstruktionen als Außenerschließung organisiert, an die seitlich ein Aufzug angestellt ist. Durch den so gesicherten direkten Ausgang in jeder Ebene wird der Fluchtweg auch ohne Anleiterung sichergestellt.

Statt der eigentlich notwendigen zwei gebauten Rettungswege als zwei Treppenhäuser entsteht so eine hochflexible, frei konfigurierbare Grundrisslösung. Die einzelnen Ebenen sind alternativ strukturiert als Studentenwohnanlage mit 6-Personen-Wohngemeinschaften, bzw. als 1-Personen- und 3-Personen-Wohnungen gemäß  Wohnraumförderprogramm.

Baustoffauswahl

Optimierte Ressourcenverbräuche lassen sich am besten durch eine optimierte Baustoffauswahl erreichen. Ressourcenintensive Materialien wie Beton werden auf ein Minimum für die Geschossdecken reduziert und können hier ihre Fähigkeiten des Schall- und Brandschutzes sowie die thermische Speicherfähigkeit einbringen. Die für den Energieverbrauch der Nutzungsphase maßgebliche Gebäudehülle besteht aus großformatig vorgefertigten Holztafelelementen. Neben den positiven Werten der Ökobilanz des Werkstoffs Holz werden auch die materialimmanenten Vorteile von Leichtigkeit, Recyclebarkeit und Wärmebrückenfreiheit optimierend genutzt.

Qualitätssteigerung durch Vorfertigung

Die drastische Reduzierung des Heizwärmebedarfes lässt die Ausführungsqualität der Baukonstruktion in den Vordergrund rücken. Energieverluste durch wärmebrücken oder ungewollte Lüftungsverluste über Undichtheiten steigen in Ihrer Relevanz erheblich bei einer verbesserten Gebäudehülle. Insbesondere die Erstellung der Luftdichtheit ist dabei unter Baustellenbedingungen und dem Verfall der Handwerkerqualität durch den extremen Preisdruck oft nur sehr unzureichend möglich. Die Vorfertigung unter kontrollierten Werkstattbedingungen mit entsprechender möglicher Qualitätskontrolle kann hier nicht nur qualitätssteigernd sondern auch zeit- und kostensenkend helfen den Bauprozess besser kalkulierbar zu gestalten.

Passivhaus-Optimierung

Die klassische Passivhausauslegung mit einer Beheizung nur über Luft ist im mehrgeschossigen Wohnungsbau theoretisch möglich, jedoch nicht immer sinnvoll und wirtschaftlich darstellbar. Insofern wurden verschiedene Varianten zur Lüftungstechnik jeweils mit zusätzlichen Heizkörpern zur kostengünstigen individuellen Einstellung der Raumtemperatur untersucht. Die minimierten Heizflächen (300x300mm) wurden so dimensioniert und stationiert, dass Fehlbedienungen verhindert werden. Für eine Beheizung bei geöffnetem Fenster (nur  Drehöffnung möglich, keine Kippstellung!) sind sie nicht ausreichend. Aufgrund der behaglichen Oberflächentemperaturen auch im Fensterbereich (Dreifachverglasung), kann die Heizfläche zur individuellen Nachregulierung im rückwärtigen, durch Möbel nicht verstellbaren Raumbereich angeordnet werden.

Verbesserung des Energiekonzepts

Die Versorgung der Gebäude mit Energie wurde im Verbund mit dem Bestandsgebäude „Neue Burse“ geplant. In einem vergleichenden Gutachten wurden drei Varianten zur Versorgungsoptimierung analysiert und bewertet:

Variante 1 - Bestand als Referenz mit Fernwärme WSW aus einem Kohlekraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, einer Gasturbine u. Spitzenlastkesseln.

Variante 2 - Biogas-BHKW 50kWel mit Fernwärme-Spitzenlastabdeckung, mit Nutzungsgrad 30% elektrisch und 60% thermisch.

Variante 3 - Holzpelletkessel für die Grundlast mit Fernwärme Spitzenlastabdeckung, Nutzungsgrad von 85%.

Fazit des Gutachtens: Es wurde eine Nutzwertanalyse mit den Kriterien im Verhältnis von 60 % Kosten / 20% Co2-Emmission / 20% Preisstabilität erstellt. Bei dieser Gewichtung ist die BHKW-Lösung knapp die empfehlenswerteste.

Prof. Christian Schlüter,Dipl.-Ing. Architekt BDA
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