Für alle ein Plus
Nachdem bundesweit bereits mehrere Einfamilienhäuser als Plusenergiegebäude realisiert wurden, zeigt nun auch ein Mehrfamilienhaus in Frankfurt, dass es übers Jahr mehr Energie erzeugt als verbraucht. Durch eine sehr hohe Energieeffizienz in Kombination mit dem Einsatz regenerativer Energien wird auch hier der Energieüberschuss möglich.
Im Frühjahr 2014 werden die Mieter in das Mehrfamilienhaus an der Cordierstraße 4 im Frankfurter Gallusviertel einziehen – eines der ersten Mehrfamilienhäuser mit Energiegewinn und vollständig regenerativer Energieversorgung. Die Eigentümerin ABG Frankfurt Holding errichtet das Haus als Ersatzneubau eines maroden 20er Jahre-Gebäudes in einem bestehenden Stadtviertel. Dadurch ergeben sich zusätzliche Herausforderungen für das Planungsteam: Eine Ost/West-Ausrichtung des Gebäudes und die Verschattung durch Baumbestand und Nachbargebäude erschweren solare Gewinne und die Energieerzeugung mit Sonnenenergie. Das Gebäude umfasst 17 Mietwohnungen mit 2 bis 5 lichtdurchfluteten Zimmern und Wohnflächen zwischen 53 und 100 m² sowie großzügigen Balkonen im Südwesten.
Der elektrische Energieverbrauch und der Verbrauch für Warmwasser liegt bei Mehrfamilienhäusern aufgrund der dichteren Personenbelegung pro m² Wohnfläche typischerweise höher als in einem Einfamilienhaus, während aufgrund der Kompaktheit des Gebäudes weniger (Dach-)Fläche pro m² Wohnfläche für die solare Energieerzeugung zur Verfügung steht. Diese Herausforderungen konnte das Planungsteam rund um das Büro faktor10 mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Institut Wohnen und Umwelt erfolgreich lösen.
Effizienzkonzept
Der Weg zum Energiegewinn im Mehrfamilienhaus führt über eine Erhöhung der Energieeffizienz in allen Bedarfsbereichen. Basis ist der Passivhausstandard zur Minimierung des Heizwärmebedarfs. Darauf aufbauend sind vor allem Effizienzverbesserungen bei der Warmwasserbereitung und dem Haushaltsstromverbrauch erforderlich. Für den Neubau des Gebäudes Cordierstraße 4 in Frankfurt wurde aus diesem Grund ein ganzheitliches Effizienzkonzept entwickelt, durch das der Energiebedarf des Gebäudes deutlich reduziert wird. Die Eckpunkte dieses Konzepts lauten:
– Reduzierung des Heizwärmebedarfs durch Bauweise im Passivhaus-Standard
– Reduzierung des Energiebedarfs für die Warmwasserbereitung durch Absenkung der Warmwassertemperatur beigleichzeitigem Legionellenschutz, Verringerung der Verteilverluste und Spararmaturen zur Reduktion des Wasserverbrauchs
– Reduzierung des Hilfsstroms durch besonders energieeffiziente Anlagentechnik
– Reduzierung des privaten Haushaltsstromverbrauchs durch vorinstallierte Küchen mit Geräten bester Energieeffizienzklassen, vorinstallierte energieeffiziente Beleuchtung in der gesamten Wohnung und vereinfachter Abschaltung des Standby-Verbrauchs.
Der durch die sehr hohe Energieeffizienz des Gebäudes reduzierte Energiebedarf wird mit den regenerativen Energien Photovoltaik, Solarthermie und Biomethan gedeckt. Eine solarthermische Anlage mit Vakuum-Röhrenkollektoren deckt den Großteil des Warmwasserbedarfs, ein Biomethan-betriebenes Blockheizkraftwerk mit Brennwertnutzung den kompletten Restwärmebedarf. Dies wird möglich durch den Einsatz von zwei sehr großen Pufferspeichern, die eine entsprechende Leistungsreserve für Lastspitzen bereitstellen. Die Kombination von solarthermischer Anlage und BHKW hat zum Ziel, den Einsatz des regenerativen Brennstoffs Biomethan möglichst gering zu halten und gleichzeitig das Biomethan in dem wärmegeführten BHKW sehr effizient zu nutzen. Dies ist auch aus Sicht der Ressourcenschonung und des begrenzten Biomasse-Potenzials Deutschlands geboten.
Zeitlicher Ausgleich von Erzeugung und Bedarf
Als Nebenprodukt der Wärmeerzeugung wird elektrische Energie produziert. Aufgrund der Kombination von solarthermischer Anlage und wärmegeführtem BHKW zur Wärmeerzeugung wird nur in Zeiten ungenügender solarer Einstrahlung vom BHKW Wärme und elektrische Energie produziert. Dies führt dazu, dass in Kombination mit der installierten Photovoltaik mit einer Größe von insgesamt 49,7 kWP, die überwiegend in strahlungsreichen Zeiten Strom erzeugt, sich auch die beiden Stromerzeuger Photovoltaik und BHKW optimal ergänzen.
Dadurch kann ein sehr guter zeitlicher Ausgleich von elektrischer Energieerzeugung und Energiebedarf erreicht werden, dies ist ein großer Vorteil des angewendeten Konzeptes. Somit reduzieren sich die Auswirkungen auf das elektrische Netz und es muss kaum Energie im Elektronetz jahreszeitlich „zwischengespeichert“ werden. Das Gebäude an der Cordierstraße 4 produziert auf Monatsbasis so viel elektrische Energie wie es verbraucht. Um den Ausgleich zwischen Bedarf und Erzeugung weiter zu erhöhen, wird ein elektrischer Energiespeicher eingebaut, durch den ein Ausgleich zwischen Bedarf und Erzeugung auf Stundenbasis zu über 80 % erreicht werden kann.
Energieüberschuss im MFH ist möglich
Neben der ausgeglichenen Monatsbilanz wird in der Jahresbilanz ein deutlicher Überschuss an elektrischer Energieerzeugung erreicht. Dieser wird hauptsächlich in den Sommermonaten durch die Photovoltaikanlage produziert - sie ist auch bei dem Gebäude an der Cordierstraße 4 entscheidender Faktor für den Energiegewinn. Es wurden daher gleich mehrere Photovoltaikanlagen montiert: auf einem Teil des Daches des Wohngebäudes, auf dem auch die solarthermische Anlage installiert ist, auf dem Carport und an der Südfassade.
Entscheidend für eine hohe solare Energieerzeugung (Solarthermie und Photovoltaik) ist eine bestmögliche Nutzung der dafür geeigneten Flächen. Die Anlagen wurden hinsichtlich der Flächenausnutzung, Neigung und Ausrichtung optimiert. Dies führt zu hohen Erträgen und begrenzt die Kosten: Je besser die sehr gut geeigneten Dachflächen mit hocheffizienten Modulen für die solare Energieerzeugung ausgenutzt werden können, umso weniger Photovoltaik muss an der Fassade installiert werden um den Energiegewinn erzielen zu können. Photovoltaik-Fassadenelemente sind leider zurzeit noch sehr teuer, zusätzlich werden die Fassaden insbesondere im städtischen Bereich durch die umliegende Bebauung zu einem Teil der Zeit verschattet, sodass die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde elektrischer Energie zum heutigen Zeitpunkt relativ hoch sind.
Die wissenschaftliche Planungsbegleitung des Passivhauses mit Energiegewinn an der Cordierstraße wurde durch das Hessische Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz finanziell gefördert. Der Bericht zum Projekt ist unter www.iwu.de abrufbar. Aufgrund des energetischen Konzepts wurde das Gebäude sowohl in das Modellvorhaben „Auf dem Weg zum EffizienzhausPlus“ der Deutschen Energieagentur als auch als Modellprojekt für Gebäude im EffizienzhausPlus-Standard des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aufgenommen. Die ABG Frankfurt Holding demonstriert mit dem Gebäude bereits heute, wie sparsame, vollständig regenerativ versorgte Gebäude von Morgen aussehen können.
Der durch die sehr hohe Energieeffizienz des Gebäudes reduzierte Energiebedarf wird mit den regenerativen Energien Photovoltaik, Solarthermie und Biomethan gedeckt.
Das Gebäude an der Cordierstraße 4 produziert auf Monatsbasis so viel elektrische Energie wie es verbraucht.