„Hydrophilen Putztechnologien gehört die Zukunft“

Im vergangenen Jahr hat Saint-Gobain Weber die Initiative ergriffen und einen wichtigen Schritt Richtung Zukunft getan: Mit der Umstellung auf die „AquaBalance“-Technologie bietet das Unternehmen jetzt ausschließlich biozidfreie, hydrophil eingestellte Fassadenputze an. Wieso sich Weber dazu entschlossen hat, erklärt Georg Kolbe, Leiter Produktmarketing Putz- und Fassadensysteme.

Herr Kolbe, warum die Abkehr von Bioziden?

Kolbe: Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste ist Umwelt- und Gesundheitsschutz. Biozide kommen in vielen organischen Fassadenputzen zum Einsatz, um zu vermeiden, dass sich Algen und Pilze an der Fassade bilden. Die Kombination von mehreren Wirkstoffen wie Diuron und Terbutryn sorgt dafür, dass Algen und Pilzsporen abgetötet werden. Allerdings beschränkt sich die Wirkung nicht auf Algen und Pilze. ‚Biozid‘  bedeutet übersetzt ‚Leben tötend‘ und so ist es nicht verwunderlich, dass diese Stoffe auch für Umwelt und Gesundheit bedenklich sind. Einige Biozide stehen im Verdacht, gewässerschädigend und krebserregend zu sein.

Weber arbeitet seit Jahren konsequent daran, diese schädlichen Stoffe durch bessere Alternativen zu ersetzen. Es geht aber auch um die Effizienz des Biozideinsatzes, also die Dauerhaftigkeit des Algenschutzes. Biozide müssen wasserlöslich sein, um ihre Wirkung zu entfalten. Dass bedeutet, dass sie sich in Tau oder Regen lösen und aus der Fassade ausgewaschen werden. Mit den von der Fassade abfließenden Wassertropfen gelangen Biozide in den Boden, Bäche und Flüsse und belasten das Grundwasser. Durch das stetige Ausschwemmen der Biozide ist die Schutzwirkung an der Fassade nur von kurzer Dauer. Bereits nach wenigen Jahren ist die Fassade ungeschützt, Algen und Pilze können sich ungehindert ansiedeln.

Hat die Politik auf diese Erkenntnisse bereits reagiert?

Kolbe: Durchaus. Die Höchstmenge von Bioziden in Putzen und Farben wurde bereits vor Jahren gesetzlich reglementiert. Das Umweltbundesamt geht einen Schritt weiter und hat sich klar gegen biozidhaltige Fassadenputze ausgesprochen. Und doch werden diese immer noch als Alternative zu den bewährten und herkömmlichen Lösungen angeboten. Mit der AquaBalance-Technologie bezieht Weber Stellung und schließt Produkte mit Bioziden zum Algenschutz nach und nach aus seinem Fassadenputz-Sortiment aus.

Völlig biozidfreie Putze sind gesetzlich aber noch nicht gefordert. Wollen Sie sich mit der AquaBalance-Reihe absichern, falls es in den nächsten Jahren dazu kommt?

Kolbe: Im Sinne von Umwelt und Verbrauchern wäre es wünschenswert, wenn der Einsatz von Bioziden zum Algenschutz komplett verboten würde – schließlich gibt es ja funktionierende Alternativen. Natürlich käme es uns in diesem Fall zugute, dass wir diese Hausaufgaben bereits erledigt haben. Auslöser für die konsequente Umstellung auf die AquaBalance-Technologie war aber nicht der Wunsch nach Absicherung, sondern die Überzeugung, dass wir die herkömmliche Technologie durch eine effizientere und umweltschonendere ersetzen können. Da sehen wir uns als Baustoffhersteller in der Pflicht.

Über die Themen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz wird auch in der Bauindustrie schon seit einigen Jahren diskutiert. Trotz vieler Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit haben sich aber die angebotenen Produkte vielfach kaum verändert. Besonders deutlich wird dies bei der Frage nach dem Schutz der Fassade vor Algen- und Pilzbewuchs. Deswegen hat Weber sich entschlossen, biozidfreie Fassadenputze nicht länger parallel zu herkömmlichen, biozidhaltigen Putzen anzubieten, sondern konsequent auf AquaBalance-Technologie umzustellen.

Der Umstellung sind aber sicherlich einige Schritte vorausgegangen?

Kolbe: Das stimmt. So etwas geschieht nicht von heute auf morgen. Saint-Gobain Weber hat bereits vor mehr als 15 Jahren angefangen, eine physikalische Wirkweise zu erforschen, die alternative Ansätze zum Schutz vor Algen- und Pilzbewuchs an der Fassade bietet und Biozide langfristig verdrängen sollte. Durch die jahrzehntelange Erfahrung in der Herstellung mineralischer Putzmörtel gelang es schließlich, deren hydrophiles Prinzip zu verstärken und auch auf organische Putze anzuwenden. Vor zehn Jahren brachte Weber dann den ersten pastösen Putz mit hydrophiler Oberfläche auf den Markt. Damals war dies ein radikaler Bruch mit der vorherrschenden Meinung, nur mit Bioziden seien algenfreie Fassaden zu erzielen.

Am Markt sind dennoch auch Putze gefragt, die Biozide beinhalten. Warum nicht beides anbieten?

Kolbe: Wir haben lange beides angeboten, aber nur die AquaBalance-Putze offensiv beraten. Natürlich überlegt es sich jeder Hersteller gut, ob er Produkte, die dem Kunden vertraut sind, aus dem Sortiment nimmt. Viele ziehen sich auf die Position zurück ‚Wir sind gezwungen, das anzubieten, da die Kunden es nachfragen.‘ Diese Haltung hat bis zu einem bestimmten Punkt auch ihre Berechtigung, aber teilweise muss man sich auch fragen, ob man damit nicht zu schnell eingefahrenen Prozessen und Denkweisen beigibt. Viele Kunden sind offen für umweltfreundlichere Alternativen, erfragen aber nicht aktiv, ob es welche gibt. Wir nehmen ihnen die Entscheidung ab, indem wir ausschließlich biozidfreie Produkte anbieten.

Wie kommt es, dass im Markt so viel Ungewissheit besteht?

Kolbe: Lange Zeit herrschte selbst in Expertenkreisen Uneinigkeit darüber, ob hydrophile oder hydrophobe Putze die effektivste Abwehr gegen Algen- und Pilzbefall darstellen – eine Frage, die eng mit dem Einsatz von Bioziden zum Algenschutz verknüpft ist. Putzoberflächen mit einer hydrophoben, wasserabweisenden Wirkung sind darauf ausgelegt, dass Regen- oder Tauwassertropfen daran abperlen. Da die Tropfen häufig nicht schwer genug sind, um auf der Fassade abzurollen und zudem Putzoberflächen nie ganz glatt sind, laufen diese auf den Beschichtungen nicht wie erwünscht ab, sondern schaffen als stehende Feuchtigkeit ideale Bedingungen für Algen und Pilze. Hydrophile Putze dagegen nehmen Wasser kontrolliert auf und geben es rasch wieder an die Atmosphäre ab. Heute hat der hydrophile Ansatz, der ohne Biozide zur Algenabwehr auskommt, selbst ehemalige Kritiker überzeugt. Lediglich eingefahrene Gewohnheiten verhindern noch die flächendeckende Abkehr von Bioziden.

Biozide sind also nicht notwendig?

Kolbe: Nein. Die AquaBalance-Technologie verhindert Algenwachstum sehr effektiv ohne den Einsatz von Bioziden. Stattdessen greift sie das hydrophile Wirkprinzip mineralischer Putze auf und verstärkt es. Wie bei einem Löschblatt wird die Feuchtigkeit von der Oberfläche abgezogen, in feinen Kapillaren gespeichert und bei steigenden Temperaturen dann kontrolliert wieder abgegeben. Auch organisch abbindende Dispersionsputze lassen sich mit den feuchteregulierenden, hydrophilen Eigenschaften mineralischer Putze ausstatten und sind damit ebenso widerstandsfähig gegenüber Algen und Pilzen wie ihre mineralischen Pendants.

Die Annahme, hydrophile Fassadensysteme würden im Kern langfristig durchfeuchten, ist immer noch hier und da zu hören.

Kolbe: Feuchtemessungen belegen, dass Feuchteschäden an Fassaden in aller Regel durch konstruktive Mängel hervorgerufen werden, die langfristig zu einem ‚Absaufen‘  des Systems führen. Dabei handelt es sich explizit nicht um grundlegende Schwächen der untersuchten Putze, sondern um Planungs- oder Ausführungsfehler. Hydrophile Putzsysteme nehmen Feuchtigkeit nur an der Oberfläche auf und geben sie rasch wieder an die Luft ab, tiefere Putzschichten bleiben davon unberührt.

Und wie kommen die AquaBalance-Putze im Markt an?

Kolbe:Inzwischen hat sich die Technologie am Markt fest etabliert. Bei der Gestaltung haben Bauherren und Planer alle Möglichkeiten, Handwerker können dank des breiten Putzsortiments alle bewährten Putztechniken biozidfrei ausführen. Die Mehrkosten für den Bauherren sind dabei minimal – in einigen Bundesländern können Bauherren für den Einsatz biozidfreier Fassadenputze und –farben sogar spezielle Fördergelder beantragen. So konnten bereits über 15 Millionen Quadratmeter Fassadenfläche mit AquaBalance-Putzen ausgeführt und dabei etwa 63 Tonnen Biozide eingespart werden.

„Mit der AquaBalance-Technologie bezieht Weber Stellung und schließt Produkte mit Bioziden zum Algenschutz nach und nach aus seinem Fassadenputz-Sortiment aus.“

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