„Jede vorgesehene Abdichtungsvariante ist kritisch zu prüfen“
Über die Dachsanierung und die Auswahl möglicher Materialvarianten sprach das BundesBauBlatt mit Jürgen Bünker, von der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Dachdecker- und Klempnerhandwerk.
Herr Bünker, welches Schadensbild zeigte sich Ihnen bei der Begehung des Daches? Gab es schon Folgeschäden und wie sahen die aus?
Das Schadensbild bei Begehung zeigte sich durch eine Vielzahl an Einschnitten und Rissen in der Dacheindeckung aus Titanzink im Bereich der Stehfalze (Haft-Befestigungen) sowie an Dachdetails wie Kehlen, Dacheinbauteilen etc. Zudem wies die Dacheindeckung aus Titanzink eine Vielzahl von Löchern im Bereich der Überlappungen und Befestigungen der bituminösen Vordeckbahn auf. Folgeschäden durch immer wieder eindringendes Niederschlagswasser in tropfbar flüssiger Form ließen sich durch bereits vielzählige Reparaturen und Überarbeitungen minimieren, was bei erster Inaugenscheinnahme deutlich wurde.
Konnten Sie die Ursachen des Schadens ausmachen? Welche waren es?
Die Ursachen für die verschiedenen Schäden an der Dachdeckung lassen sich wie folgt definieren:
1. Die Dachdeckung schneidet sich im Bereich der Stehfalze (Haftbefestigungen) an hervorstehenden Nagelköpfen und/oder den Haftenecken durch die Längenänderungen der Dacheindeckung auf – in der Folge kommt es zu Einschnitten und Rissen in der Dachdeckung.
2. Zu große Scharenlängen der Dachdeckung aus Titanzink mit einer Länge von ca. 12,80 m im Zusammenhang mit nicht geeigneten Haften, Befestigungen, Kehl- und Gratausbildungen sowie Ausführungen an Dacheinbauteilen. Hier kommt es in der Folge zu Spannungsrissen in der Dacheindeckung.
3. Große Mengen Sekundärtauwasser im Bereich der Überlappungen und Befestigungen der bituminösen Vordeckbahn. Das hat Löcher in der Dacheindeckung durch Korrosion an der Unterseite der Dachdeckung zur Folge.
4. Weitere technische Mängel, die maximal geringfügig zum Schadensbild beigetragen haben, sind die Ausführung der Dachdeckung als Winkelstehfalzdeckung und fehlende zusätzliche Dichtungsmaßnahmen in den Falzen, insbesondere bei Neigungsgrenzen gegen Null.
Welches Sanierungskonzept haben Sie vorgeschlagen?
Vorgeschlagen wurde eine Komplettsanierung der Dachdeckung nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik gemäß Regelwerk ZVDH bzw. ZVSHK als Doppelstehfalzdeckung aus Titanzink. Dabei sollten alle notwendigen, technischen Parameter wie z.B. Vordeckbahn, Strukturmatte, Scharlängen, Aufteilung mit Lüftungsfirst, konische Bahnen z.B. im Bereich Kehle, zusätzliche Dichtungsmaßnahmen in den Falzen, Be- und Entlüftungen, Befestigungsmittel, Befestigungsabstände, Detailausführungen, gegebenenfalls mit zusätzlichen Leistenausbildungen als Dehnungsmöglichkeit etc. den zur Zeit der Ausführung gültigen Regelwerken angepasst werden.
Warum haben Sie eine Alternative mit einer Kunststoffdachbahn vorgestellt?
Bei Gesprächen mit der Hausverwaltung und einem Eigentümer wurde relativ schnell deutlich, dass mein Gutachten neben einer Kostenschätzung für die Komplettsanierung der Dachdeckung als Doppelstehfalzdeckung aus Titanzink auch eine qualitativ hochwertige, wirtschaftlichere Ausführungsalternative enthalten soll. Dabei entschied ich mich für eine hochpolymere Abdichtung aus Kunststoffbahnen auf Basis EVA mit innenliegender Verstärkung, die materialspezifisch hochwertig, regelwerkskonform nach ZVDH (Flachdachrichtlinie) sowie DIN 18531 für diesen Anwendungsfall einsetzbar, und der vorhandenen Dachgeometrie einschl. aller Dachdetails mühelos anzupassen ist. Darüber hinaus wäre bei dieser Alternative die Möglichkeit gegeben, mit speziellen Strukturprofilen auf der Abdichtung die Optik einer Stehfalzdeckung zu erzeugen, soweit dieses gewünscht würde.
Welche Erfahrungen haben Sie als Dachdecker und Sachverständiger mit Kunststoffdach-Abdichtungen gemacht?
Durch meine langjährige Erfahrung als Dachdecker und als Sachverständiger kann ich sagen, dass die heutige, hohe Erwartungshaltung an Abdichtungen, unabhängig davon, ob nicht genutzte oder genutzte Dächer, Bauwerksabdichtungen o.ä., erfüllbar sind. Bei der heutigen Auswahl hochwertiger Abdichtungsstoffe ist eine allgemeinverbindliche Aussage, die eine Bahn ist „gut“, die andere Bahn ist „nichts“, meiner Ansicht nach fehl am Platze. Vielmehr ist auf den Anwendungsfall einzugehen und jede vorgesehene Abdichtungsvariante kritisch zu prüfen, ob sie geeignet oder nicht geeignet ist. So wird man schnell herausfinden, dass „alle“ hochwertigen Abdichtungsstoffe ihre Daseinsberechtigung haben.