Konzepte gegen die Trostlosigkeit öffentlicher Plätze
Technokratischer Planungseifer, der Wunsch nach grenzenloser Mobilität und einseitiges Profitdenken gefährden die integrative Kraft unserer Städte. Tendenzen der Ausgrenzung und des Verfalls nehmen zu. Wir brauchen einen neuen Umgang mit öffentlichen Räumen.
Seit langem schon sind viele unserer Innenstädte zu gesichtslosen Shoppingmeilen verkommen. Neu ist, dass die immer gleichen bunt-banalen Werbebotschaften, die lieblos gestalteten Ladeninterieurs und die standardisierten Warenangebote immer öfter zu empfindlichen Umsatzeinbußen führen. In den ausschließlich zu Shopping-Centern umfunktionierten Stadtvierteln wird über Kundenrückgänge und mangelndes Kaufinteresse geklagt. Dagegen hilft auch die Aufrüstung mit immer aggressiveren Werbemaßnahmen nichts. Als deutliches Zeichen des Niedergangs verlassen zuerst die renommierten Geschäfte das sinkende Schiff, Ein-Euro-Shops und Billigfilialen rücken nach. Am Ende stehen die Ladenlokale leer, Müll und Unrat häufen sich. Solche Orte machen Angst. Besonders nach Ladenschluss wirken sie wie ausgestorben.
Ist das nicht Schwarzmalerei? Jedenfalls ist das Konzept Fußgängerzone umstritten. In den 1970er Jahren noch euphorisch als Allheilmittel zur Stärkung der Innenstädte gefeiert, werden die Shopping-Center heute nicht nur für die Kommerzialisierung der städtischen Kernbereiche verantwortlich gemacht, sondern auch für die Verkehrsschneisen, Parkplätze und Tiefgaragen in den Peripherien, die oft nicht nur ästhetische Katastrophen sind, sondern auch das soziale Leben erlahmen lassen.
Wiederbelebungsversuche
Wie nun sollen Stadtplaner diesem festbetonierten Status Quo begegnen? Kosmetische Retuschen reichen hier nicht, denn der heruntergekommene öffentliche Raum ist nicht durch die Ausstaffierung mit schickem Stadtmobiliar zu retten. Im Gegenteil: Willkürlich verstreute Sitzbänke, Wartehäuschen, Poller, Papierkörbe, Blumenkästen und Laternen sind ebenso unansehnlich wie manierierte architektonische Kapriolen, die entweder im Gewand der Postmoderne daherkommen oder anheimelndes Lokalkolorit verbreiten sollen. All diese städtebaulichen Verzweiflungstaten wirken aufgesetzt und verfehlen deshalb ihren Zweck.
Eines steht fest: Eine derart komplexe Aufgabe wie die Gestaltung öffentlicher Räume erlaubt kein einseitiges Profitdenken, sondern gebietet Nachhaltigkeit. Die Politik und die kommunalen Verwaltungen dürfen Entscheidungen nicht allein privaten Investoren überlassen. Der öffentliche Diskurs über Baukultur muss intensiviert werden. Und es müssen überzeugende Argumente her, die dem kollektiven Rückzug in die Vororte und in die private Gemütlichkeit begegnen. Denn die abgeschottete Welt reiner Wohnstraßen ist das logische Pendant zur Fußgängerzone: Auch hier verkümmert das öffentliche Leben.
Nutzungsvielfalt versus Isolation
In der Fachwelt besteht schon lange Einigkeit darüber, dass städtebauliche Konzepte, die eine rigide Trennung in einseitig funktionalisierte Bereiche vorsehen, der integrativen Kraft unserer Städte eher schaden. Zudem führt das Pendeln zwischen Wohngebieten, Business-Centern, Einkaufszonen und Freizeitparks zu chronisch überfüllten Straßen. Die dazwischen liegenden Stadträume fallen dem Autoverkehr zum Opfer und verkommen zu einem Niemandsland, das nur dazu da ist, möglichst schnell durchquert zu werden.
Der Architekt und Stadtplaner Walter Ackers plädiert dafür, „die Innenstädte nicht einseitig dem Einzelhandel auszuliefern“, sondern „die Vielfalt aus Wohnen, Kultur, Arbeit, Einkauf und Unterhaltung zu einer besonderen Qualität auszubauen.“ Solche Appelle sind nicht neu. Bereits in den 1970er Jahren, auf dem Höhepunkt des technokratischen Planungseifers, warnte Alexander Mitscherlich in seinem berühmten Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ vor den Konsequenzen technokratischer Nutzungstrennung und thematisierte die Lebens- und Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume. Und der Schweizer Soziologe Lucius Burghardt erklärte, die Stadt als „räumliche Realisierung von Gesellschaftlichkeit“ werde erst möglich durch eine Vielfalt sich überlagernder Nutzungen.
Gute Beispiele
Zwangsläufig werden uns viele städtebauliche Sünden der Vergangenheit noch lange begleiten. Aber es gibt auch Zeichen für ein Umdenken. Städte und Gemeinden bemühen sich um einen behutsameren Umgang mit öffentlichen Räumen und auch auf Bundesebene gibt es entsprechende Initiativen. Ein Beispiel ist die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) in Auftrag gegebene Studie „Kommunale Kompetenz Baukultur“. Ein praxisnaher „Werkzeugkasten der Qualitätssicherung“ fasst die Ergebnisse der Studie zusammen und gibt Entscheidern aus Kommunalpolitik und -verwaltung konkrete Hilfen an die Hand, wie sie ihre Entscheidungsspielräume zugunsten von mehr Baukultur nutzen können.
Gelebte Baukultur zeigt sich auch an der Bereitschaft einer Stadt, ihre Bewohner in stadtplanerische Prozesse einzubeziehen. Ein gutes Beispiel für aktive Bürgerbeteiligung ist das Unortkataster der Stadt Köln, das im Jahr 2005 ins Leben gerufen wurde. Die Kölner verfügen seither über eine Internetplattform, auf der sie Mängel im Stadtbild beschreiben und bewerten können.
Vorbildliche Städte
Häufig zeigen gerade Städte mit einem reichen historischen Erbe besonderes Engagement in Sachen Baukultur. Um die alte Substanz zur Geltung zu bringen, wird bei neuen architektonischen Elementen auf laute und modische Effekte verzichtet und die verwendeten Materialien werden passend zum Bestand ausgewählt. Wohltuend wirkt auch die Reduzierung von störender Sekundärarchitektur, die den Plätzen ihre Weite und ihre große Linie nimmt. Dass auch die Integration von technischer Infrastruktur gelingen kann, hat die Stadt Hamburg mit ihrem neuen Müllsammelplatz an der St. Michaelis-Kirche bewiesen. Wo zuvor ein meist überfüllter 240-l-Container den Bereich vor dem Haupteingang verunstaltete, fügt sich die neue Abfallsammelanlage mit ihrem zurückhaltenden Design harmonisch in das architektonische Gesamtgefüge ein. Durch den Bewuchs mit Rankpflanzen tritt sie noch mehr in den Hintergrund. Ihre Ästhetik besteht gerade darin, dass man sie kaum wahrnimmt. Am Beispiel Abfallentsorgung wird deutlich, dass nicht nur auf baukulturelle Aspekte, sondern auch auf die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Menschen geachtet werden muss. Hier hat die Weltkulturerbestadt Bamberg Sinn fürs Detail bewiesen: Die beiden Müllsammelstellen an den städtebaulich wichtigen Orten Heinrichsdamm und Wilhelmsplatz lassen sich auch von Rollstuhlfahrern bedienen. Gleichzeitig werden durch das unterirdische Entsorgungskonzept, bei dem nur die Einwurfschächte sichtbar sind, die wichtigen Blickachsen auf die mittelalterlichen Fassaden freigehalten. Auch wirtschaftlich ist das System attraktiv und zeigt, dass baukulturelle Kompetenz und Kostenbewusstsein sich nicht widersprechen müssen: Die relativ hohen Anfangskosten amortisieren sich schnell durch Einsparungen bei den Betriebskosten. Während zur Leerung konventioneller Sammelcontainer drei bis vier Personen erforderlich sind, kann diese Arbeit bei Unterflurcontainern von nur einer Person bewältigt werden. Zudem wird aufgrund des höheren Fassungsvolumens seltener geleert, eine größere Menge an Haushalten abgearbeitet und die häufig anfallenden Reinigungsarbeiten an den konventionellen Standorten entfallen.
Das Bewusstsein für Baukultur kann durchaus auch Teil einer Unternehmensphilosophie sein. So hat der Lieferant der Bamberger Unterflursammelanlage und des Müllsammelplatzes an der St. Michaelis-Kirche, das Mönchengladbacher Unternehmen Paul Wolff, einen hohen Anspruch an die architektonische und ästhetische Qualität seiner Produkte. Geschäftsführer Wolf Menzel sieht in der neuen Generation von Abfallsystemen einen konkreten Beitrag zur Reduzierung von Sekundärarchitektur und zur Aufwertung öffentlicher Räume. „Auch Veränderungen im Detail“, so Menzel, „können das Ganze im ungünstigen Fall zerstören. Konventionelle Abfallsysteme animieren immer wieder zu wilder Müllentsorgung. Sie machen Lärm, verbreiten unangenehme Gerüche und eine unbehagliche Atmosphäre. Das kann im konkreten Fall auch die großartige Wirkung eines historischen Stadtbildes zunichtemachen.“
Fazit
Stadtentwicklungsplanung kann nur dann erfolgreich sein, wenn alle Akteure bereit sind, Verantwortung zu übernehmen: sowohl Vertreter aus Politik, Kommunalverwaltungen und Privatwirtschaft als auch Stadtplaner und Architekten und natürlich die Bürger einer Stadt. Lebendige Stadträume sind Aktionsräume, ihre Bedeutung entsteht durch den sozialen Gebrauch. Der Tendenz zur Isolation, zur Ausgrenzung und zur rücksichtslosen Gewinnmaximierung muss entgegengewirkt werden, denn in der Stadt als Raum der Alltagserfahrung reproduzieren sich die gesellschaftlichen Verhältnisse. Eine Formulierung von Walter Ackers bringt es auf den Punkt: „Das Stadtbild ist gebaute Umgangsform.“
Konzept Fußgängerzone – Fluch oder Segen?
Eine derart komplexe Aufgabe wie die Gestaltung öffentlicher Räume erlaubt kein einseitiges Profitdenken, sondern gebietet Nachhaltigkeit.